• fotopassion3105 02/05/2020 21:29

    Nun muss ich Dir widersprechen. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und Menschenleben gegeneinander aufzurechnen, dem hat das Bundesverfassungsgericht vor einigen Jahren eine ganz klare und eindeutige Absage erteilt. Als es entschied, man kann nicht das Leben einiger hundert von Terroristen entführten Passagiere gegen das Leben von mehreren 10.000 Besuchern in einem Fußballstadion aufrechnen. Und so verhält es sich bei allen Menschen. Welches Leben ist wertvoller? Das eines 70-jährigen Firmengründers, der mehrere Millionen an Steuern im Jahr zahlt oder das eines 20-Jährigen, dessen Familie seit mehreren Generationen auf staatliche Leistungen angewiesen ist? Das Leben eines Bankers oder das Leben eines Feuerwehrmannes? Das Leben eines Arztes oder das einer Krankenschwester? Die Liste könnte man sicher fortsetzen. Für mich bleibt es dabei: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und für mich untrennbar verbunden mit der Würde ist das Leben. 
    Wollen wir wirklich, dass unsere Kinder in einer Welt aufwachsen, in der die Frage nach der Würde nicht mehr gestellt wird und menschliches Leben nach ökonomischen oder sonstigen Kriterien bewertet und eine Hierarchie von lebenswertem und weniger lebenswertem Leben erstellt wird? Das hatten wir schon mal. Und ich werde mein, wie auch immer bewertetes, Leben lang mich dafür einsetzen, dass es so weit nicht mehr kommt. 
    Liebe Grüße
    Claudia
  • Anette Z. 02/05/2020 22:26

    Ich würde die Diskussion gerne öffentlich weiter führen weil ich es wichtig finde, dass  man sich über das Problem Gedanken macht. Und ich finde: Die Entscheidung über den Wert von Menschenleben und Menschenwürde ist gefällt worden. Hast du heute die Bilder aus Spanien gesehen? Da ist ein ganzes Land in seinen Wohnungen eingesperrt worden. Wochenlang. Eine klare Verletzung der Menschenwürde. Der Grund war ehrenhaft: Tausende oder zehntausende Menschenleben retten.

    Ob die Entscheidung richtig war, wage ich nicht zu beurteilen. Aber sie ist getroffen worden. Wie wie viele andere in der Coronakrise. Und wenn derartig schwerwiegende und ethisch schwere Entscheidungen getroffen werden, dann müssen wir die Verantwortung akzeptieren. Hier geht es um reale Entscheidungen und nicht um das abstrakte Konzept, was gegeneinander abgewogen werden darf oder nicht. Die Seuche hat uns gezwungen, abzuwägen. Freiheit gegen Leben. Existenzgrundlage gegen Leben. Manchmal tatsächlich Leben gegen Leben. Was ist wertvoller?
    Auch die Entscheidung, dass wir alles tun müssen, um möglichst viele Menschen vor einer Infektion zu retten, ist eine Entscheidung. Und sie bedingt, dass die ganze Welt die Konsequenzen trägt. Das ist sicher eine Entscheidung, die keiner treffen will. Aber sie wurde getroffen.

    Ich kenne jemand, der es gerade eine Woche vor dem Shutdown von Deutschland geschafft hat, aus einer beginnenden Depression auszubrechen. Was, wenn der durch den Lockdown einen Rückfall bekommt und sich umbringt? Und wie viele Menschen wie ihn gibt es noch? Da WERDEN Leben gegeneinander aufgerechnet. Und niemand kann etwas daran ändern. Wir sind es den Menschen schuldig, das zu akzeptieren. Eben weil jeder Mensch verdient hat, dass seine Würde und seine Probleme berücksichtigt werden in der Kriese. Die Würde jedes Menschen sollte unantastbar sein. Aber die Realität tastet sie an. Immer wieder. Wir können nur den besten Weg durch die Kriese suchen. Den, bei dem möglichst wenig Schaden angerichtet wird. Und das geht nur dann, wenn wir unsere Verantwortung akzeptieren. Akzeptieren, dass wir diese strittigen Entscheidungen treffen müssen.
    Gruß, Anette
  • fotopassion3105 03/05/2020 14:28

    Da gebe ich Dir Recht. Es ist wichtig, dass sich unsere Gesellschaft über solch existentielle Fragen Gedanken macht. Und dass darüber kontrovers gestritten wird. Denn ob es uns gefällt oder nicht: die Frage ist in der Welt und lässt sich durch Ignorieren weder lösen, noch wieder aus der Welt schaffen. Und wir sollten auch die Diskussion führen, in welcher Welt wollen wir künftig leben? Welche Werte sind uns wichtig? Welche Lehren wollen und müssen wir aus der aktuellen Krise ziehen? Denn die wirtschaftliche und gesellschaftliche Normalität vor dem Shutdown hat Menschen das Leben gekostet. Auch, aber natürlich nicht nur das Leben von Depressiven. Auch ich kenne einen depressiven Menschen, einen, dem gerade der Shutdown neuen Antrieb gegeben hat. Weil da nämlich für eine kurze Zeit eine andere, humanere Normalität vorstellbar war.  
    Viele Grüße
    Claudia