Ich bin natürlich sehr froh, lieber Eckhard, dass Kerstin wieder einmal eine so profunde Besprechung geliefert hat.
Mir wäre sonst kaum mehr übrig geblieben, als "charmantes, witziges Bild". denn sowohl die Beatles als auch Ballett gehören für mich zu den Dingen, auf welche die Menschheit gerne hätte verzichten können :))
Selbstredend hätte man sich mit dem Text auseinander setzen können..
Da ich allerdings in den letzten Tagen "Ausgang" hatte, ist es doch auch sehr schön, wenn man einmal auf die Arbeit anderer Mitstreiter verweisen darf !
Lieber Eckhard, der erste Eindruck, den man erhält, wenn man das Bild betrachtet – ohne es sogleich mit dem Titel zu verknüpfen – ist der einer gewissen Gegensätzlichkeit, einem Widerspruch, den man aufgrund der Ausrichtung der Tiere zueinander zu erkennen meint, einem Dualismus oder gar einer symbolisch aufzufassenden Polarität als einer speziellen Form des Dualismus.
Da man nun die Vögel nur auf den ersten Blick und im Zusammenhang mit der ästhetischen Beurteilung der Aufnahme im Sinne einer sehr gelungenen und wunderschönen Strandfotografie als Möwen sehen wird, sie in der weiteren Betrachtung jedoch – und dies schließt der Titel des Bildes und der Text des Beatles-Liedes wiederum ein – als Metapher heranziehen kann, erlaubt das Foto bzw. die Konstellation in der Aufnahme diverse und durchaus weitreichende Interpretationsansätze, die sich, wie so oft im Kontext mehrschichtiger Betrachtungsweisen, mit gesellschaftlichen Fragestellungen ebenso auseinandersetzen können wie mit Deutungsmöglichkeiten im zwischenmenschlichen, sehr persönlichen Bereich.
Interessant und in Bezug auf die Bildinterpretation ausbaufähig erscheint mir beispielsweise auch das Bild der Möwen, das Walter Benjamin einmal im Zyklus "Nordische See" entwarf - das man ansatzweise auch hier finden kann - bzw. die Erläuterungen dazu im verlinkten Text: „Mit einem Male gab es zwei Möwenvölker, eines die östlichen, eines die westlichen, linke und rechte, so ganz verschieden, dass der Name Möwen von ihnen abfiel.“ http://www.zedelwerk.com/uploads/tx_linkselectorforpdfpool/Widerspiel.pdf
Ein weiterer Eindruck, den man gewinnt und den auch Stefan bereits ansprach, geht von der Möwe ganz links hinten aus, die scheinbar nicht mehr gewillt ist, bei diesem Ballett mitzumachen, die vielleicht auch nicht mehr in der Lage ist, mitzuhalten oder die bei dieser Probe ausgeschlossen wird. Hier sind verschiedene Betrachtungsweisen möglich, wobei ja auch der Begriff Ballett als solcher in seiner historischen Entwicklung und Bedeutung differenziert betrachtet werden kann. Das Zusammenspiel der Möwen erscheint mir dabei längst nicht so frei, sorglos und spielerisch, wie es das „Federspiel“ noch vermitteln kann. Hier haben wir es dagegen mit einer Ordnung zu tun, einem Abgestimmtsein aufeinander, einer Geschlossenheit in einer Gruppe, die auch Meinungen oder Moralvorstellungen symbolisieren dürfte und die jede Form der Individualität auffällig und möglicherweise sogar als Ausgrenzung erscheinen lässt.
“Von der Geburt bis zum Tod, von einem Montag zum anderen, von morgens bis abends ist alles, was man tut, vorgefertigte Routine. Wie sollte ein Mensch, der in diesem Routinenetz gefangen ist, nicht vergessen, dass er ein Mensch, ein einzigartiges Individuum ist, dem nur diese einzige Chance gegeben ist, dieses Leben mit seinen Hoffnungen und Enttäuschungen, mit seinem Kummer und seiner Angst, mit seiner Sehnsucht nach Liebe und seiner Furcht vor dem Nichts und dem Abgetrenntsein zu leben?“ (Erich Fromm: Die Kunst des Liebens)
Betrachtet man im Zusammenhang von Individualität und Ausgrenzung den Beatles-Song, so gibt es neben einem möglichen Bezug des Liedes zu einer der Affären John Lennons während seiner Ehe mit Cynthia Lennon auch den Hinweis auf die damals noch illegale Homosexualität des Managers der Beatles, Brian Epstein, die im Verborgenen stattfinden und geheim gehalten werden musste, eine Form der Individualität, die durchaus massive Ausgrenzungen zur Folge hätte haben können. http://www.beatleswiki.org/wiki/You've_Got_To_Hide_Your_Love_Away
Überlieferte Moralvorstellungen, gesellschaftliche Normen, scheinbar allgemeingültige Verhaltensmuster bestimmen und regeln nach wie vor das Zusammenleben und tangieren in weiten Bereichen die persönliche Entwicklung eines Menschen in seinem jeweiligen Lebensumfeld. Vieles davon ist natürlich sinnvoll oder ganz einfach notwendig, um die Abläufe und das Zusammenspiel in einer Gesellschaft zu gewährleisten. Dabei muss aber auch gelten, nicht alles als gegeben hinzunehmen, Dinge zu hinterfragen, über Normen und Regeln nachzudenken, um eine vernünftige Balancezu finden, die es erlaubt, als Mitglied einer Gruppe – wie auch immer sich diese zusammensetzt - zugleich selbstbestimmt, glücklich und erfüllt leben und agieren zu können; dies dann nicht nur für sich zuzulassen, sondern in tolerierbarem Rahmen auch anderen zuzugestehen. - Nun ist das bekanntlich nicht immer ganz einfach und die Bezeichnung „eine Probe“ deshalb auch in diesem Zusammenhang sehr gut gewählt, da Überlegungen und Versuche diesbezüglich, aber auch Ansätze, neue Wege zu betreten, gewiss nicht immer reibungslos umzusetzen sind.
Gesellschaftliche Normen und die eingangs bereits angesprochenen Widersprüche sind neben persönlichen Verhaltensweisen auch Kernstück und Reibungsbereich im literarischen Stoff, der dem Ballett Giselle zugrunde liegt. Die Liebe der jungen Frau aus bäuerlichen Verhältnissen zum Herzog Albrecht wird als unmöglich dargestellt und zerbricht nicht zuletzt an gesellschaftlichen Konventionen. „Eine Probe“ unter Beachtung der Standesverhältnisse musste zwar fast zwangsläufig misslingen, interessanterweise wird aber, wie nachzulesen ist, auch die gesellschaftliche Ordnung selbst berührt, indem „das Prinzip der standesgemäßen Ehe durch eine andere Liebe gestört wird“. http://books.google.de/books?id=PnwPL0KzvbAC&pg=PA225&lpg=PA225&dq=giselle+interpretation&source=bl&ots=6A9ThIEsRl&sig=n91N2md2qj1xyK5SKZM8DwYJhjM&hl=de&ei=_TPNScyjKYSpsAaKoaiiCA&sa=X&oi=book_result&resnum=3&ct=result#PPA225,M1
Der in diesem Kontext ebenfalls angesprochene Aspekt (Gaston Bachelard) von Innen und Außen, aber auch von Allein- und Dabeisein, Endlichkeit und Weite, Geborgenheit und Gefahr, Gefangenschaft und Freiheit erlaubt bzw. fordert eine Ausweitung des ursprünglichen Interpretationsansatzes auch auf andere Bereiche. Und so gibt es heute neben der ursprünglichen Fassung zahlreiche Neu-Interpretationen des Balletts, die sich zwischen der Selbstfindung einer jungen Frau http://www.staatstheater-darmstadt.de/spielzeit/Giselle%20M. und der Prostitution mit dem Ausweg des Freitodes bewegen. http://www.theaterportal.de/detail_stueck?pident=393196
Natürlich gibt das Stück der Giselle noch weitaus mehr her. Allein der durchaus vielleicht sogar als egoistisch zu betrachtende Beweggrund Albrechts, ein wenig Ablenkung vom höfischen Leben zu finden und die junge Frau zu erobern, obwohl ihm bewusst sein musste, dass diese Liebe aufgrund seiner Verlobung mit Bathilde ohne jede Chance auf eine Zukunft war, ist ein Ansatz, über den es sich aus menschlichen und moralischen Gründen nachzudenken lohnt.
„Tanzen offenbart die Bewegung der Seele und der Liebe.“ In Gestalt der Wilis wird der Tanz zur Waffe der Rache. Aber: "Love will find a way". Die Zeile aus dem Beatles-Song findet an dieser Stelle eine Verknüpfung zum Ballett. Die Liebe, die Giselle über den Tod hinaus für Albrecht empfindet, rettet ihm das Leben und lässt Vergebung zu. Das ist eine Reaktion, über die man eine Weile nachdenken muss, die, obwohl nicht mehr aus der realen Welt heraus geschehen, in ihrer Großherzigkeit kaum nachzuvollziehen ist.
Verstehen kann man sie jedoch durchaus, und sich in gewisser Weise daran orientieren, ganz besonders, wenn man eine Parallele zieht, den Stoff der Giselle unter einem anderen Gesichtspunkt betrachtet.
Damit könnte man sogar an den Tod Jesus Christus am Kreuz denken, durch den die Schuld und Sünde der gesamten Menschheit aufgehoben und vergeben wurde: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Gott sandte den Sohn nicht in die Welt, um die Menschen zu verurteilen, sondern um sie zu retten.“ (Johannesevangelium 3,16)
Vielleicht noch am Rande anzumerken wäre, dass im Bild die in den erläuternden Texten zum Stück der Giselle genannte Darstellung der "Figur des Dritten" und die Erscheinung der Wilis als "Corps" gut zu erkennen sind, wenn man sie in diesem Kontext sehen möchte.
Es ist also sowohl ein sehr schönes als auch in Bezug auf die Interpretationsmöglichkeiten sehr dichtes Bild.
Es ist die Symmetrie und die Anmut die uns Menschen immer wieder fasziniert. Das Grazile und die Feinheiten die unser Interesse weckt. Und wie soll es anders sein, das gegen den Strom schwimmen. Auch wenn es diese Vögel nicht für uns so machen, trifft es hier auf Dein Bild zu. Sehr schön gefällt mir auch die zentrale Schärfe und die schönen Schatten der Dolen (danke Carsten)
Lieber Eckhard,
nach dem Studium der der verschiedenen You-Tube-Links, der dem Ballett zugrunde liegenden Handlung, der Sichtung Deiner Bildverlinkungen, Sektion und Einstellzeit und der Übersetzung des Beatle-Titels hatte ich – leicht erschöpft und irritiert - das Gefühl, dass mir noch irgendein Baustein fehlte. Ich scrollte und scrollte – und – da war es wieder: Dein Foto natürlich!!! :-)
Ein ähnliches Foto hatte ich kürzlich auch von Usedom mitgebracht. Es waren nur drei Tänzer(innen) in einer Reihe. Leider schlief eine davon. Somit war mein Foto nicht Ballett-tauglich. Ich selbst bin allerdings auch nicht so verknüpfungstauglich für hintergründige Fotos. Ich muss aber sagen: Du hast mich mal wieder überzeugt!
Außer der Anmut der rechtsblickenden Darsteller mit ihrer augenfälligen Choreografie ergänzen die drei vermeintlichen Außenseiter das statische Bild zu einer Geschichte (In einem ‚Nur-Foto’ wären die 3 Störquellen!). Wie in einem Ballett rücken einige Darsteller von der Bühne ab, um vielleicht von der anderen Seite wieder aufzutauchen, um mit den anderen eine neue Formation zu bilden. - Und wenn man lange genug hinschaut, werden die Möwen zu „Wilis“. Hoffentlich fällt nicht einer der ‚Möwenrüden’ nach dem Tanz tot um! ;-) Aber Albrecht wurde ja auch durch die Macht der Liebe geschützt.
Mein Favorit der Links: Alessandra Ferri und Sting (zweite Hälfte)! (Wobei ich den von Andreas gemachten Hinweis nicht schmälern möchte!)
Vielleicht habe ich nicht mal ansatzweise Deine Bildintension getroffen, aber das macht (mir) nichts. Ich habe ´was Neues kennengelernt!
Ist dir bewusst , daß du mit deinem zweiten Link zu youtube ein "besonderes" Stück gewählt hast? Es ist mit einem großen Bratschensolo ;-)), welches man als angehender Orchestermusiker in den Orchesterstudien in seinem Repertoire hat(te). Leider ist es bei meinen zahlreichen Probespielen nie dran gekommen.
Über den Bezug zu den Vögeln muss ich noch ein bisschen nachdenken;-))
Gruß Andreas
Hallo Eckhard,
woher wusstest Du, daß genau das Lied eines meiner Leiblingstsücke der Beatles ist? Was sich mir noch nicht ganz erschließt, ist "Giselle" ... Dafür muss ich mir vermutlich die Links ansehen, oder? Schaffe ich vermutlich erst am WE :-( Nach meinem Urlaub hat mich der Alltag mit seiner ganzen Gewalt wieder...
LG, Stefan
P.S.: Was mir gerade noch aufgefallen ist: ein Vögelchen tanzt aus der Reihe und steht mit beiden Beinen im Leben ;-)
Carsten Mundt 28/03/2009 11:58
Ich bin natürlich sehr froh, lieber Eckhard, dass Kerstin wieder einmal eine so profunde Besprechung geliefert hat.Mir wäre sonst kaum mehr übrig geblieben, als "charmantes, witziges Bild". denn sowohl die Beatles als auch Ballett gehören für mich zu den Dingen, auf welche die Menschheit gerne hätte verzichten können :))
Selbstredend hätte man sich mit dem Text auseinander setzen können..
Da ich allerdings in den letzten Tagen "Ausgang" hatte, ist es doch auch sehr schön, wenn man einmal auf die Arbeit anderer Mitstreiter verweisen darf !
lg Carsten
Bringfried Seifert 28/03/2009 11:27
irgendwann wird es perfekt sein, das Ballett.Gruß, Bringe
Kerstin Stolzenburg 28/03/2009 7:06
Lieber Eckhard, der erste Eindruck, den man erhält, wenn man das Bild betrachtet – ohne es sogleich mit dem Titel zu verknüpfen – ist der einer gewissen Gegensätzlichkeit, einem Widerspruch, den man aufgrund der Ausrichtung der Tiere zueinander zu erkennen meint, einem Dualismus oder gar einer symbolisch aufzufassenden Polarität als einer speziellen Form des Dualismus.Da man nun die Vögel nur auf den ersten Blick und im Zusammenhang mit der ästhetischen Beurteilung der Aufnahme im Sinne einer sehr gelungenen und wunderschönen Strandfotografie als Möwen sehen wird, sie in der weiteren Betrachtung jedoch – und dies schließt der Titel des Bildes und der Text des Beatles-Liedes wiederum ein – als Metapher heranziehen kann, erlaubt das Foto bzw. die Konstellation in der Aufnahme diverse und durchaus weitreichende Interpretationsansätze, die sich, wie so oft im Kontext mehrschichtiger Betrachtungsweisen, mit gesellschaftlichen Fragestellungen ebenso auseinandersetzen können wie mit Deutungsmöglichkeiten im zwischenmenschlichen, sehr persönlichen Bereich.
Interessant und in Bezug auf die Bildinterpretation ausbaufähig erscheint mir beispielsweise auch das Bild der Möwen, das Walter Benjamin einmal im Zyklus "Nordische See" entwarf - das man ansatzweise auch hier finden kann - bzw. die Erläuterungen dazu im verlinkten Text: „Mit einem Male gab es zwei Möwenvölker, eines die östlichen, eines die westlichen, linke und rechte, so ganz verschieden, dass der Name Möwen von ihnen abfiel.“ http://www.zedelwerk.com/uploads/tx_linkselectorforpdfpool/Widerspiel.pdf
Ein weiterer Eindruck, den man gewinnt und den auch Stefan bereits ansprach, geht von der Möwe ganz links hinten aus, die scheinbar nicht mehr gewillt ist, bei diesem Ballett mitzumachen, die vielleicht auch nicht mehr in der Lage ist, mitzuhalten oder die bei dieser Probe ausgeschlossen wird. Hier sind verschiedene Betrachtungsweisen möglich, wobei ja auch der Begriff Ballett als solcher in seiner historischen Entwicklung und Bedeutung differenziert betrachtet werden kann. Das Zusammenspiel der Möwen erscheint mir dabei längst nicht so frei, sorglos und spielerisch, wie es das „Federspiel“ noch vermitteln kann. Hier haben wir es dagegen mit einer Ordnung zu tun, einem Abgestimmtsein aufeinander, einer Geschlossenheit in einer Gruppe, die auch Meinungen oder Moralvorstellungen symbolisieren dürfte und die jede Form der Individualität auffällig und möglicherweise sogar als Ausgrenzung erscheinen lässt. “Von der Geburt bis zum Tod, von einem Montag zum anderen, von morgens bis abends ist alles, was man tut, vorgefertigte Routine. Wie sollte ein Mensch, der in diesem Routinenetz gefangen ist, nicht vergessen, dass er ein Mensch, ein einzigartiges Individuum ist, dem nur diese einzige Chance gegeben ist, dieses Leben mit seinen Hoffnungen und Enttäuschungen, mit seinem Kummer und seiner Angst, mit seiner Sehnsucht nach Liebe und seiner Furcht vor dem Nichts und dem Abgetrenntsein zu leben?“ (Erich Fromm: Die Kunst des Liebens)
Betrachtet man im Zusammenhang von Individualität und Ausgrenzung den Beatles-Song, so gibt es neben einem möglichen Bezug des Liedes zu einer der Affären John Lennons während seiner Ehe mit Cynthia Lennon auch den Hinweis auf die damals noch illegale Homosexualität des Managers der Beatles, Brian Epstein, die im Verborgenen stattfinden und geheim gehalten werden musste, eine Form der Individualität, die durchaus massive Ausgrenzungen zur Folge hätte haben können. http://www.beatleswiki.org/wiki/You've_Got_To_Hide_Your_Love_Away
Überlieferte Moralvorstellungen, gesellschaftliche Normen, scheinbar allgemeingültige Verhaltensmuster bestimmen und regeln nach wie vor das Zusammenleben und tangieren in weiten Bereichen die persönliche Entwicklung eines Menschen in seinem jeweiligen Lebensumfeld. Vieles davon ist natürlich sinnvoll oder ganz einfach notwendig, um die Abläufe und das Zusammenspiel in einer Gesellschaft zu gewährleisten. Dabei muss aber auch gelten, nicht alles als gegeben hinzunehmen, Dinge zu hinterfragen, über Normen und Regeln nachzudenken, um eine vernünftige Balancezu finden, die es erlaubt, als Mitglied einer Gruppe – wie auch immer sich diese zusammensetzt - zugleich selbstbestimmt, glücklich und erfüllt leben und agieren zu können; dies dann nicht nur für sich zuzulassen, sondern in tolerierbarem Rahmen auch anderen zuzugestehen. - Nun ist das bekanntlich nicht immer ganz einfach und die Bezeichnung „eine Probe“ deshalb auch in diesem Zusammenhang sehr gut gewählt, da Überlegungen und Versuche diesbezüglich, aber auch Ansätze, neue Wege zu betreten, gewiss nicht immer reibungslos umzusetzen sind.
Gesellschaftliche Normen und die eingangs bereits angesprochenen Widersprüche sind neben persönlichen Verhaltensweisen auch Kernstück und Reibungsbereich im literarischen Stoff, der dem Ballett Giselle zugrunde liegt. Die Liebe der jungen Frau aus bäuerlichen Verhältnissen zum Herzog Albrecht wird als unmöglich dargestellt und zerbricht nicht zuletzt an gesellschaftlichen Konventionen. „Eine Probe“ unter Beachtung der Standesverhältnisse musste zwar fast zwangsläufig misslingen, interessanterweise wird aber, wie nachzulesen ist, auch die gesellschaftliche Ordnung selbst berührt, indem „das Prinzip der standesgemäßen Ehe durch eine andere Liebe gestört wird“. http://books.google.de/books?id=PnwPL0KzvbAC&pg=PA225&lpg=PA225&dq=giselle+interpretation&source=bl&ots=6A9ThIEsRl&sig=n91N2md2qj1xyK5SKZM8DwYJhjM&hl=de&ei=_TPNScyjKYSpsAaKoaiiCA&sa=X&oi=book_result&resnum=3&ct=result#PPA225,M1
Der in diesem Kontext ebenfalls angesprochene Aspekt (Gaston Bachelard) von Innen und Außen, aber auch von Allein- und Dabeisein, Endlichkeit und Weite, Geborgenheit und Gefahr, Gefangenschaft und Freiheit erlaubt bzw. fordert eine Ausweitung des ursprünglichen Interpretationsansatzes auch auf andere Bereiche. Und so gibt es heute neben der ursprünglichen Fassung zahlreiche Neu-Interpretationen des Balletts, die sich zwischen der Selbstfindung einer jungen Frau http://www.staatstheater-darmstadt.de/spielzeit/Giselle%20M. und der Prostitution mit dem Ausweg des Freitodes bewegen. http://www.theaterportal.de/detail_stueck?pident=393196
Natürlich gibt das Stück der Giselle noch weitaus mehr her. Allein der durchaus vielleicht sogar als egoistisch zu betrachtende Beweggrund Albrechts, ein wenig Ablenkung vom höfischen Leben zu finden und die junge Frau zu erobern, obwohl ihm bewusst sein musste, dass diese Liebe aufgrund seiner Verlobung mit Bathilde ohne jede Chance auf eine Zukunft war, ist ein Ansatz, über den es sich aus menschlichen und moralischen Gründen nachzudenken lohnt.
„Tanzen offenbart die Bewegung der Seele und der Liebe.“ In Gestalt der Wilis wird der Tanz zur Waffe der Rache. Aber: "Love will find a way". Die Zeile aus dem Beatles-Song findet an dieser Stelle eine Verknüpfung zum Ballett. Die Liebe, die Giselle über den Tod hinaus für Albrecht empfindet, rettet ihm das Leben und lässt Vergebung zu. Das ist eine Reaktion, über die man eine Weile nachdenken muss, die, obwohl nicht mehr aus der realen Welt heraus geschehen, in ihrer Großherzigkeit kaum nachzuvollziehen ist.
Verstehen kann man sie jedoch durchaus, und sich in gewisser Weise daran orientieren, ganz besonders, wenn man eine Parallele zieht, den Stoff der Giselle unter einem anderen Gesichtspunkt betrachtet.
Damit könnte man sogar an den Tod Jesus Christus am Kreuz denken, durch den die Schuld und Sünde der gesamten Menschheit aufgehoben und vergeben wurde: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Gott sandte den Sohn nicht in die Welt, um die Menschen zu verurteilen, sondern um sie zu retten.“ (Johannesevangelium 3,16)
Vielleicht noch am Rande anzumerken wäre, dass im Bild die in den erläuternden Texten zum Stück der Giselle genannte Darstellung der "Figur des Dritten" und die Erscheinung der Wilis als "Corps" gut zu erkennen sind, wenn man sie in diesem Kontext sehen möchte.
Es ist also sowohl ein sehr schönes als auch in Bezug auf die Interpretationsmöglichkeiten sehr dichtes Bild.
Kerstin
Thomas vom See 27/03/2009 16:19
Es ist die Symmetrie und die Anmut die uns Menschen immer wieder fasziniert. Das Grazile und die Feinheiten die unser Interesse weckt. Und wie soll es anders sein, das gegen den Strom schwimmen. Auch wenn es diese Vögel nicht für uns so machen, trifft es hier auf Dein Bild zu. Sehr schön gefällt mir auch die zentrale Schärfe und die schönen Schatten der Dolen (danke Carsten)Gruß Thomas
Karl-Dieter Frost 26/03/2009 21:35
Lieber Eckhard,nach dem Studium der der verschiedenen You-Tube-Links, der dem Ballett zugrunde liegenden Handlung, der Sichtung Deiner Bildverlinkungen, Sektion und Einstellzeit und der Übersetzung des Beatle-Titels hatte ich – leicht erschöpft und irritiert - das Gefühl, dass mir noch irgendein Baustein fehlte. Ich scrollte und scrollte – und – da war es wieder: Dein Foto natürlich!!! :-)
Ein ähnliches Foto hatte ich kürzlich auch von Usedom mitgebracht. Es waren nur drei Tänzer(innen) in einer Reihe. Leider schlief eine davon. Somit war mein Foto nicht Ballett-tauglich. Ich selbst bin allerdings auch nicht so verknüpfungstauglich für hintergründige Fotos. Ich muss aber sagen: Du hast mich mal wieder überzeugt!
Außer der Anmut der rechtsblickenden Darsteller mit ihrer augenfälligen Choreografie ergänzen die drei vermeintlichen Außenseiter das statische Bild zu einer Geschichte (In einem ‚Nur-Foto’ wären die 3 Störquellen!). Wie in einem Ballett rücken einige Darsteller von der Bühne ab, um vielleicht von der anderen Seite wieder aufzutauchen, um mit den anderen eine neue Formation zu bilden. - Und wenn man lange genug hinschaut, werden die Möwen zu „Wilis“. Hoffentlich fällt nicht einer der ‚Möwenrüden’ nach dem Tanz tot um! ;-) Aber Albrecht wurde ja auch durch die Macht der Liebe geschützt.
Mein Favorit der Links: Alessandra Ferri und Sting (zweite Hälfte)! (Wobei ich den von Andreas gemachten Hinweis nicht schmälern möchte!)
Vielleicht habe ich nicht mal ansatzweise Deine Bildintension getroffen, aber das macht (mir) nichts. Ich habe ´was Neues kennengelernt!
Gruß KD
Andreas Denhoff 26/03/2009 15:27
Ist dir bewusst , daß du mit deinem zweiten Link zu youtube ein "besonderes" Stück gewählt hast? Es ist mit einem großen Bratschensolo ;-)), welches man als angehender Orchestermusiker in den Orchesterstudien in seinem Repertoire hat(te). Leider ist es bei meinen zahlreichen Probespielen nie dran gekommen.Über den Bezug zu den Vögeln muss ich noch ein bisschen nachdenken;-))
Gruß Andreas
Carsten Mundt 26/03/2009 11:16
Eigentlich heissen die Dinger ja Hupfdohlen und nicht Hupfmöwen ..:)
Stefan Adam 26/03/2009 11:08
Hallo Eckhard,woher wusstest Du, daß genau das Lied eines meiner Leiblingstsücke der Beatles ist? Was sich mir noch nicht ganz erschließt, ist "Giselle" ... Dafür muss ich mir vermutlich die Links ansehen, oder? Schaffe ich vermutlich erst am WE :-( Nach meinem Urlaub hat mich der Alltag mit seiner ganzen Gewalt wieder...
LG, Stefan
P.S.: Was mir gerade noch aufgefallen ist: ein Vögelchen tanzt aus der Reihe und steht mit beiden Beinen im Leben ;-)