Anlass für die Veröffentlichung des Fotos bzw. der Serie „Non omnis moriar (1-5)“ war, Du weist darauf auch in deiner Antwort an Gert hin, der 71. Jahrestag der Reichspogromnacht, die eine beispiellose, vom nationalsozialistischen Regime geplante und gelenkte Ermordung jüdischer Bürger im gesamten Deutschen Reich auslöste, die viele der verblendeten Mitmenschen in jener Zeit in vollem Umfang mittrugen oder vor der sie – vielleicht aus nachvollziehbarer Angst um das eigene Wohlergehen und das ihrer Familien – die Augen verschlossen und den Nachbarn oder den einstigen Freund plötzlich nicht mehr kannten, wobei jedoch nicht unerwähnt bleiben darf, dass der unglaubliche Mut Einiger in diesem braunen Sumpf, der das Land verschlang, auch unzählige Leben retten half, indem sie die Menschen versteckten, verpflegten, aus der Gefahrenzone brachten.
Mein Bild „Aus dem Reich der Schatten“, das hier bereits verlinkt wurde, war, ähnlich wie auch bereits das
Anfang 2008, zunächst aus ebendiesem Gedenken heraus eingestellt worden.
Nun muss man die mit dem Einstelldatum verbundene, etwas konzentriertere Sicht auf die Verfolgung, Diskriminierung und organisierten Verbrechen an Menschen jüdischen Glaubens oder auch nur jüdischer Abstammung oder Aussehens in diesem Bild-Kontext unbedingt ausdehnen auf alle Verfolgten, Gefangenen und Getöteten des NS-Regimes, an denen, gerade in solchen Lagern, ähnlich großes Unrecht an Leib und Seele begangen wurde.
Das Konzentrationslager Buchenwald bestand offiziell bekanntlich als sogenanntes Arbeitslager zwischen Juli 1937 und April 1945. Wie man nachlesen kann, waren dort während dieser Zeit etwa 250000 Menschen aus allen Ländern Europas und sogar darüber hinaus inhaftiert, darunter politisch Verfolgte, Juden, Sinti und Roma, Asoziale, Kriegsgefangene oder sogar einfach nur Menschen, die aus anderen Ländern hierher zum Arbeiten verschleppt wurden usw..
Wie unterschiedlich die Zusammensetzung der Häftlingsbelegschaft war, die im Oktober 1944 fast 90000 Menschen umfasste und die im Laufe der Jahre auch sehr stark von den Kriegshandlungen und –schauplätzen der Deutschen beeinflusst war, zeigt auch folgendes Zitat: „Die äußere Bezeichnung der Häftlinge war folgende: Fortlaufende Nummerierung und farbiger Dreieckswinkel an der linken Brustseite und am rechten Hosenbein. Rot für die Politischen, zweitmalig Eingelieferte, sogenannte Rückfällige, mit einem gleichfarbigen Querstreifen über dem Winkel; Grün für Kriminelle, Violett für Bibelforscher, Schwarz für die Asozialen, Rosa für die Homosexuellen, zeitweise Braun für die Zigeuner und in bestimmten Aktionen eingelieferte Asoziale. Die Juden trugen unter ihrer roten, grünen, schwarzen, violetten oder sonstigen Markierung ein querstehendes gelbes Dreieck, so dass ein sechszackiger Stern entstand. Die sogenannten ‚Rassenschänder’ trugen über dem gelben bzw. grünen Dreieck einen querstehenden schwarzen Dreiecksrand.“ (Quelle: David A. Hackett „Der Buchenwald-Report, S. 56)
Die Zahl der Todesopfer wird für Buchenwald insgesamt auf etwa 56000 geschätzt. Darunter waren 11000 Juden, auch völlig unschuldige Kinder. Der bereits erwähnte „Buchenwald-Report“ gibt zu dem, was man im Laufe der Jahre bereits gehört und gelesen hat, einen detaillierten Einblick in die Kaltblütigkeit, den Sadismus, die Grausamkeiten, zu denen die Bestien der SS fähig waren. Es ist eigentlich unvorstellbar, wenn man das liest, und doch ist es geschehen. Was man dabei auch ganz besonders verinnerlicht, ist die Tatsache, dass hier oft nicht allein auf Befehl der Kommandantur hin gehandelt wurde, sondern völlig willkürlich, aus Spaß am Erniedrigen, Quälen, am Töten, am bloßen Abschlachten. Die selbsternannten Herrenmenschen waren sich ihrer Sache und ihrer Überlegenheit so gewiss, dass sie am Abend bzw. „nach getaner Arbeit“ ohne Gewissensbisse in ihre Privathäuser und –wohnungen, zu ihren Familien zurückkehren konnten, um dort ein normales und bürgerliches Leben zu führen, wo man sich auch der Kultur und der Kunst nicht verschloss. Das völlig Absurde wird dann noch gesteigert, wenn man liest, dass die Ehefrau des Lagerkommandanten Koch beispielsweise in Madeira-Wein badete, während nur einige hundert Meter entfernt Dutzende täglich einen qualvollen Hungertod starben.
Es ist jedoch nicht nur das Gedenken an die vielen zu Tode Gequälten, die Vorstellung der unglaublichen Gräueltaten, die im Lager im Namen des NS-Regimes und seiner Ideologie verübt wurden, wenn man am Tor steht, über die leere weite Fläche des Appellplatzes und die Fundamente der Baracken blickt und der eisige Wind einen auch im Herbst bereits umfängt ... es sind zugleich Gedanken über den Menschen selbst, ein Nachdenken darüber, was man aus ihm machen konnte und kann, was er aus sich machen ließ bzw. lässt, im positiven wie im negativen Sinn, wenn die äußeren Bedingungen einen entsprechenden Nährboden bilden.
In diesem Zusammenhang ist auch ein Blick auf die „Gemeinschaft“ der Gefangenen selbst interessant. Die Vorstellung von einem dauerhaft übergreifenden Zusammenhalt aller Lagerinsassen, von einer selbstverständlichen und immerwährenden Solidarität untereinander in dieser Not und permanenten Angst wird doch ein wenig relativiert, wenn man versucht, sich die Verhältnisse aufgrunde der Berichte, auch der Schilderungen durch die Augenzeugen, sachlich vor Augen zu führen und sich klarzumachen, soweit dies gelingen mag. Die nackte Angst um das eigene Leben ließ auch unter den Opfern Hierarchien entstehen, die durch die Lagerleitung zu ihrem Nutzen natürlich bewusst gelenkt und geformt wurden. Die Gefangenen konnten sich nach „oben“ arbeiten, was einfachere Lebensbedingungen, mehr Essen, leichtere Arbeit etc. mit sich brachte und die Überlebenschance erhöhte. Dafür wurde auch bespitzelt, denunziert, gequält, gestohlen...
Selbstredend war der Verrohung mancher Mitkameraden unter diesen Bedingungen Tür und Tor geöffnet. Als Beispiel noch ein Zitat aus dem oben bereits erwähnten Buch. „Oftmals rief während des Appells der Rapportführer die BVer [Bezeichnung für ‚Berufsverbrecher‘ oder für ‚befristete Vorbeugehaft‘; worunter man wegen krimineller Delikte mehrfach vorbestrafte Personen zusammenfasste, die von der Kriminalpolizei vorbeugend verhaftet worden waren, nicht selten unmittelbar nach Verbüßung von Haftstrafen], die im Verbrennungsraum (Krematorium) tätig waren und beim Appell nicht teilnahmen, durch den Lautsprecher: ‚Die Vögel vom Krematorium mal‘ rausgucken!‘, worauf die Kerle Leichen packten und zum Fenster hinaushielten. Die Gemütsverfassung, in der der letzte Trauerakt für Tausende sich abspielte, wird dadurch gut charakterisiert.
Nicht pietätvoller vollzog sich der von den Angehörigen der Toten zuweilen erbetene Versand der Asche. Einer der BVer langte sich eine Handvoll Asche aus dem großen Haufen, warf sie in eine Schachtel und schickte sie zur Postversandstelle.“
Aber natürlich werden solche Beispiele die selbstlose Aufopferung, die Hilfeleistung und Schutzmaßnahmen der meisten Lagerinsassen untereinander nicht schmälern. Sie zeigen aber die Differenziertheit der Menschen, die psychologischen Aspekte und Voraussetzungen auch oder ganz besonders unter Extremsituationen, wie man sie aus der Sicht eines heute in einer Konsumgesellschaft Lebenden überhaupt nur ansatzweise nachvollziehen kann.
Die grundsätzliche Schuldfrage bleibt davon unberührt.
Als ich am Lagertor stand, fiel mir der Außenputz des Gebäudes auf, der stellenweise eine Struktur aufwies, die etwas abstrahiert mit den eines Fischs vergleichbar sein könnte. Vielleicht ist es ein Zufall, vielleicht ist es aber auch - wie die Bauhaus-Form der Inschrift am Lagertor - einer der wenigen „versteckt“ angebrachten, aber weithin sichtbaren und möglichen „Haltepunkte“ für die Seele, die sich die Menschen im Lager geben konnten und gegeben haben. Der Fisch in diesem Fall als Symbol für das Christentum ...
Der Schatten im Bild ist vielfach deutbar. Man verbindet damit symbolisch auch die Seele eines Menschen und wir können ihn im Kontext mit dem Bildtitel für das Nichtvergessen und das Weiterleben derer, die im Lager verbrannt oder verscharrt oder zum Vergasen nach Auschwitz abtransportiert wurden, in unseren Gedanken und Herzen betrachten. Mit dem Schatten an der Wand ist etwas Mahnendes, Ruheloses, etwas stetig Wanderndes verbunden, etwas, das einen nicht loslassen wird und nicht loslassen darf, damit sich so etwas nie wiederholt.
Noch ein ganz anderer Blick auf den Schatten: Auch in einigen Volksmärchen besitzen Menschen, die für Gold ihre Seele dem Teufel verkauft haben, keinen Schatten mehr. Im übertragenen Sinn haben auch die SS-Bestien dem Teufel ihre Seele für Gold, in diesem Fall für Macht und zweifelhaften Ruhm verkauft. Solche Seelen weisen auf das Reich des Todes hin, sie mahnen ...
Was ich in den Anmerkungen zum Bild mit großem Interesse gelesen habe, ist der Aspekt, in einer solchen Umgebung kaum oder nicht wie sonst fotografieren zu können. Nun ist das, was wir dort sehen, eigentlich nur der Rahmen; es sind technische Gegenstände, Stacheldraht, leere Zellen, Mauerreste, Kleidungsstücke, letzte Habseligkeiten in einem Museum ... weite, leere Flächen ... Dabei können wir uns warm kleiden, sind nicht bis auf die Knochen abgemagert, leiden keine Schmerzen, können den Bereich ohne Angst wieder verlassen.
Was uns dort gefangennimmt, ist unser Wissen, sind die Gefühle, das Mitleid, wenn wir versuchen, nachzuvollziehen, was den Menschen angetan wurde, was sie erlitten haben mussten; es ist das Absurde dieses Gegensätzlichen, was die Menschen ausmachen kann, es sind die Bilder, die die Puzzleteile dieser Hölle in uns erzeugen.
Aber wir werden uns an das Geschehene immer nur annähern können, versuchen zu begreifen, auch um es weiterzugeben.
Für mich war das Fotografieren dabei sogar hilfreich. Es ist eine Form des Sehens, des "Verarbeitens der Eindrücke" aus einer gewissen Erstarrung, aus dem Schrecken heraus. Solche Bilder haben natürlich nichts mit einer reinen Dokumentation des Zeitgeschehens zu tun; sie spiegeln - wie deine Serie - Empfindungen und Wissen um diese grauenvollen Ereignisse wider.
das ist schon erschreckend, wenn man das konkret vor augen hat, von daher finde ich es wichtig, diese stätten zu besuchen - damit meine ich auch "die jungen leute".
lg, stefan
p.s.: sorry für das kleinschreiben... ging einfach schneller ;-)
Dein Bild kommt zwar eher dokumentatorisch rüber, aber was dahinter steckt..., es verschlägt einem immer noch die Sprache. Ich will und kann dazu nicht mehr sagen.
Gruß Andreas
Ich finde schon, dass Bilder Gefühle vermitteln können, dass Bilder nicht nur auf einem Festhalten eines Momentes beschränkt sind.
Bilder sagen mehr als 1000 Worte....... das Stimmt schon. 1000 Worte, 1000 verschiedene Empfindungen ;-)
Vielleicht gelingt es mir ja mal ein Foto zu machen wo es nur 100 verschiedene Empfindungen gibt.
Lieber Eckhard, der 9.November ist ja in mehrfacher Hinsicht Gedenktag, unerwähnt:
9. 11. 1918 Ausrufung der Republik in Berlin
9.11. 1923 Hitler-Putsch in München
9.11. 1938 Anzündung der Synagogen
9.11.1967 Studentenproteste in Hamburg (Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren)
9.11. 1989 Öffnung der Grenze zur BRD und Westberlin
Mir schien es wesentlicher, an diesem Tag eher der Pogromnacht in Stille zu gedenken, welche die Vernichtung von Millionen Juden einleitete. Gert
Kerstin Stolzenburg 22/11/2009 9:55
Lieber Eckhard,Anlass für die Veröffentlichung des Fotos bzw. der Serie „Non omnis moriar (1-5)“ war, Du weist darauf auch in deiner Antwort an Gert hin, der 71. Jahrestag der Reichspogromnacht, die eine beispiellose, vom nationalsozialistischen Regime geplante und gelenkte Ermordung jüdischer Bürger im gesamten Deutschen Reich auslöste, die viele der verblendeten Mitmenschen in jener Zeit in vollem Umfang mittrugen oder vor der sie – vielleicht aus nachvollziehbarer Angst um das eigene Wohlergehen und das ihrer Familien – die Augen verschlossen und den Nachbarn oder den einstigen Freund plötzlich nicht mehr kannten, wobei jedoch nicht unerwähnt bleiben darf, dass der unglaubliche Mut Einiger in diesem braunen Sumpf, der das Land verschlang, auch unzählige Leben retten half, indem sie die Menschen versteckten, verpflegten, aus der Gefahrenzone brachten.
Mein Bild „Aus dem Reich der Schatten“, das hier bereits verlinkt wurde, war, ähnlich wie auch bereits das Anfang 2008, zunächst aus ebendiesem Gedenken heraus eingestellt worden.
Nun muss man die mit dem Einstelldatum verbundene, etwas konzentriertere Sicht auf die Verfolgung, Diskriminierung und organisierten Verbrechen an Menschen jüdischen Glaubens oder auch nur jüdischer Abstammung oder Aussehens in diesem Bild-Kontext unbedingt ausdehnen auf alle Verfolgten, Gefangenen und Getöteten des NS-Regimes, an denen, gerade in solchen Lagern, ähnlich großes Unrecht an Leib und Seele begangen wurde.
Das Konzentrationslager Buchenwald bestand offiziell bekanntlich als sogenanntes Arbeitslager zwischen Juli 1937 und April 1945. Wie man nachlesen kann, waren dort während dieser Zeit etwa 250000 Menschen aus allen Ländern Europas und sogar darüber hinaus inhaftiert, darunter politisch Verfolgte, Juden, Sinti und Roma, Asoziale, Kriegsgefangene oder sogar einfach nur Menschen, die aus anderen Ländern hierher zum Arbeiten verschleppt wurden usw..
Wie unterschiedlich die Zusammensetzung der Häftlingsbelegschaft war, die im Oktober 1944 fast 90000 Menschen umfasste und die im Laufe der Jahre auch sehr stark von den Kriegshandlungen und –schauplätzen der Deutschen beeinflusst war, zeigt auch folgendes Zitat: „Die äußere Bezeichnung der Häftlinge war folgende: Fortlaufende Nummerierung und farbiger Dreieckswinkel an der linken Brustseite und am rechten Hosenbein. Rot für die Politischen, zweitmalig Eingelieferte, sogenannte Rückfällige, mit einem gleichfarbigen Querstreifen über dem Winkel; Grün für Kriminelle, Violett für Bibelforscher, Schwarz für die Asozialen, Rosa für die Homosexuellen, zeitweise Braun für die Zigeuner und in bestimmten Aktionen eingelieferte Asoziale. Die Juden trugen unter ihrer roten, grünen, schwarzen, violetten oder sonstigen Markierung ein querstehendes gelbes Dreieck, so dass ein sechszackiger Stern entstand. Die sogenannten ‚Rassenschänder’ trugen über dem gelben bzw. grünen Dreieck einen querstehenden schwarzen Dreiecksrand.“ (Quelle: David A. Hackett „Der Buchenwald-Report, S. 56)
Die Zahl der Todesopfer wird für Buchenwald insgesamt auf etwa 56000 geschätzt. Darunter waren 11000 Juden, auch völlig unschuldige Kinder. Der bereits erwähnte „Buchenwald-Report“ gibt zu dem, was man im Laufe der Jahre bereits gehört und gelesen hat, einen detaillierten Einblick in die Kaltblütigkeit, den Sadismus, die Grausamkeiten, zu denen die Bestien der SS fähig waren. Es ist eigentlich unvorstellbar, wenn man das liest, und doch ist es geschehen. Was man dabei auch ganz besonders verinnerlicht, ist die Tatsache, dass hier oft nicht allein auf Befehl der Kommandantur hin gehandelt wurde, sondern völlig willkürlich, aus Spaß am Erniedrigen, Quälen, am Töten, am bloßen Abschlachten. Die selbsternannten Herrenmenschen waren sich ihrer Sache und ihrer Überlegenheit so gewiss, dass sie am Abend bzw. „nach getaner Arbeit“ ohne Gewissensbisse in ihre Privathäuser und –wohnungen, zu ihren Familien zurückkehren konnten, um dort ein normales und bürgerliches Leben zu führen, wo man sich auch der Kultur und der Kunst nicht verschloss. Das völlig Absurde wird dann noch gesteigert, wenn man liest, dass die Ehefrau des Lagerkommandanten Koch beispielsweise in Madeira-Wein badete, während nur einige hundert Meter entfernt Dutzende täglich einen qualvollen Hungertod starben.
Es ist jedoch nicht nur das Gedenken an die vielen zu Tode Gequälten, die Vorstellung der unglaublichen Gräueltaten, die im Lager im Namen des NS-Regimes und seiner Ideologie verübt wurden, wenn man am Tor steht, über die leere weite Fläche des Appellplatzes und die Fundamente der Baracken blickt und der eisige Wind einen auch im Herbst bereits umfängt ... es sind zugleich Gedanken über den Menschen selbst, ein Nachdenken darüber, was man aus ihm machen konnte und kann, was er aus sich machen ließ bzw. lässt, im positiven wie im negativen Sinn, wenn die äußeren Bedingungen einen entsprechenden Nährboden bilden.
In diesem Zusammenhang ist auch ein Blick auf die „Gemeinschaft“ der Gefangenen selbst interessant. Die Vorstellung von einem dauerhaft übergreifenden Zusammenhalt aller Lagerinsassen, von einer selbstverständlichen und immerwährenden Solidarität untereinander in dieser Not und permanenten Angst wird doch ein wenig relativiert, wenn man versucht, sich die Verhältnisse aufgrunde der Berichte, auch der Schilderungen durch die Augenzeugen, sachlich vor Augen zu führen und sich klarzumachen, soweit dies gelingen mag. Die nackte Angst um das eigene Leben ließ auch unter den Opfern Hierarchien entstehen, die durch die Lagerleitung zu ihrem Nutzen natürlich bewusst gelenkt und geformt wurden. Die Gefangenen konnten sich nach „oben“ arbeiten, was einfachere Lebensbedingungen, mehr Essen, leichtere Arbeit etc. mit sich brachte und die Überlebenschance erhöhte. Dafür wurde auch bespitzelt, denunziert, gequält, gestohlen...
Selbstredend war der Verrohung mancher Mitkameraden unter diesen Bedingungen Tür und Tor geöffnet. Als Beispiel noch ein Zitat aus dem oben bereits erwähnten Buch. „Oftmals rief während des Appells der Rapportführer die BVer [Bezeichnung für ‚Berufsverbrecher‘ oder für ‚befristete Vorbeugehaft‘; worunter man wegen krimineller Delikte mehrfach vorbestrafte Personen zusammenfasste, die von der Kriminalpolizei vorbeugend verhaftet worden waren, nicht selten unmittelbar nach Verbüßung von Haftstrafen], die im Verbrennungsraum (Krematorium) tätig waren und beim Appell nicht teilnahmen, durch den Lautsprecher: ‚Die Vögel vom Krematorium mal‘ rausgucken!‘, worauf die Kerle Leichen packten und zum Fenster hinaushielten. Die Gemütsverfassung, in der der letzte Trauerakt für Tausende sich abspielte, wird dadurch gut charakterisiert.
Nicht pietätvoller vollzog sich der von den Angehörigen der Toten zuweilen erbetene Versand der Asche. Einer der BVer langte sich eine Handvoll Asche aus dem großen Haufen, warf sie in eine Schachtel und schickte sie zur Postversandstelle.“
Aber natürlich werden solche Beispiele die selbstlose Aufopferung, die Hilfeleistung und Schutzmaßnahmen der meisten Lagerinsassen untereinander nicht schmälern. Sie zeigen aber die Differenziertheit der Menschen, die psychologischen Aspekte und Voraussetzungen auch oder ganz besonders unter Extremsituationen, wie man sie aus der Sicht eines heute in einer Konsumgesellschaft Lebenden überhaupt nur ansatzweise nachvollziehen kann.
Die grundsätzliche Schuldfrage bleibt davon unberührt.
Als ich am Lagertor stand, fiel mir der Außenputz des Gebäudes auf, der stellenweise eine Struktur aufwies, die etwas abstrahiert mit den eines Fischs vergleichbar sein könnte. Vielleicht ist es ein Zufall, vielleicht ist es aber auch - wie die Bauhaus-Form der Inschrift am Lagertor - einer der wenigen „versteckt“ angebrachten, aber weithin sichtbaren und möglichen „Haltepunkte“ für die Seele, die sich die Menschen im Lager geben konnten und gegeben haben. Der Fisch in diesem Fall als Symbol für das Christentum ...
Der Schatten im Bild ist vielfach deutbar. Man verbindet damit symbolisch auch die Seele eines Menschen und wir können ihn im Kontext mit dem Bildtitel für das Nichtvergessen und das Weiterleben derer, die im Lager verbrannt oder verscharrt oder zum Vergasen nach Auschwitz abtransportiert wurden, in unseren Gedanken und Herzen betrachten. Mit dem Schatten an der Wand ist etwas Mahnendes, Ruheloses, etwas stetig Wanderndes verbunden, etwas, das einen nicht loslassen wird und nicht loslassen darf, damit sich so etwas nie wiederholt.
Noch ein ganz anderer Blick auf den Schatten: Auch in einigen Volksmärchen besitzen Menschen, die für Gold ihre Seele dem Teufel verkauft haben, keinen Schatten mehr. Im übertragenen Sinn haben auch die SS-Bestien dem Teufel ihre Seele für Gold, in diesem Fall für Macht und zweifelhaften Ruhm verkauft. Solche Seelen weisen auf das Reich des Todes hin, sie mahnen ...
Was ich in den Anmerkungen zum Bild mit großem Interesse gelesen habe, ist der Aspekt, in einer solchen Umgebung kaum oder nicht wie sonst fotografieren zu können. Nun ist das, was wir dort sehen, eigentlich nur der Rahmen; es sind technische Gegenstände, Stacheldraht, leere Zellen, Mauerreste, Kleidungsstücke, letzte Habseligkeiten in einem Museum ... weite, leere Flächen ... Dabei können wir uns warm kleiden, sind nicht bis auf die Knochen abgemagert, leiden keine Schmerzen, können den Bereich ohne Angst wieder verlassen.
Was uns dort gefangennimmt, ist unser Wissen, sind die Gefühle, das Mitleid, wenn wir versuchen, nachzuvollziehen, was den Menschen angetan wurde, was sie erlitten haben mussten; es ist das Absurde dieses Gegensätzlichen, was die Menschen ausmachen kann, es sind die Bilder, die die Puzzleteile dieser Hölle in uns erzeugen.
Aber wir werden uns an das Geschehene immer nur annähern können, versuchen zu begreifen, auch um es weiterzugeben.
Für mich war das Fotografieren dabei sogar hilfreich. Es ist eine Form des Sehens, des "Verarbeitens der Eindrücke" aus einer gewissen Erstarrung, aus dem Schrecken heraus. Solche Bilder haben natürlich nichts mit einer reinen Dokumentation des Zeitgeschehens zu tun; sie spiegeln - wie deine Serie - Empfindungen und Wissen um diese grauenvollen Ereignisse wider.
Kerstin
Stefan Adam 18/11/2009 20:24
das ist schon erschreckend, wenn man das konkret vor augen hat, von daher finde ich es wichtig, diese stätten zu besuchen - damit meine ich auch "die jungen leute".lg, stefan
p.s.: sorry für das kleinschreiben... ging einfach schneller ;-)
Andreas Denhoff 16/11/2009 17:12
Lieber Eckhard,das Bild möchte ich sehen...!
Gruß Andreas
Andreas Denhoff 15/11/2009 22:06
Dein Bild kommt zwar eher dokumentatorisch rüber, aber was dahinter steckt..., es verschlägt einem immer noch die Sprache. Ich will und kann dazu nicht mehr sagen.Gruß Andreas
Thomas vom See 15/11/2009 13:34
Ich finde schon, dass Bilder Gefühle vermitteln können, dass Bilder nicht nur auf einem Festhalten eines Momentes beschränkt sind.Bilder sagen mehr als 1000 Worte....... das Stimmt schon. 1000 Worte, 1000 verschiedene Empfindungen ;-)
Vielleicht gelingt es mir ja mal ein Foto zu machen wo es nur 100 verschiedene Empfindungen gibt.
Gruß Thomas
Carsten Mundt 14/11/2009 13:11
"Es dauerte viele Jahre, bis ich imstande war, es so zu fotografieren. Eckhard"Ich kann es noch (?) nicht.
Gert Rehn 13/11/2009 9:59
Lieber Eckhard, der 9.November ist ja in mehrfacher Hinsicht Gedenktag, unerwähnt:9. 11. 1918 Ausrufung der Republik in Berlin
9.11. 1923 Hitler-Putsch in München
9.11. 1938 Anzündung der Synagogen
9.11.1967 Studentenproteste in Hamburg (Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren)
9.11. 1989 Öffnung der Grenze zur BRD und Westberlin
Mir schien es wesentlicher, an diesem Tag eher der Pogromnacht in Stille zu gedenken, welche die Vernichtung von Millionen Juden einleitete. Gert