Ich werde zu den einzelnen Bildern noch was schreiben, das dauert aber ein bißchen, geht also pöapö, da ich an diversen Geräten arbeite und meine Wahrheizfindung Zeit beansprucht.
Gut Ding will Weile haben.
Fräulein Rosalie wandelte jeden Donnerstach zum Grab ihres Geliebten, um seiner zu huldigen. Er hatte nichts von ihr gewußt. Also gewußt von ihr schon, er hatte sie gekannt, wie jeder im Ort sie kannte. Er hatte sich auch immer freundlich gegrüßt, wie jeder sie freundlich grüßte. Auch sie grüßte ja jeden freundlich. Aber er hatte nie von ihrer Zuneigung zu ihm gewußt, ja nicht einmal geahnt, zumal sie sie ihm immer verschwiegen hatte, sie hatte sich nie getraut. Schon in der Volksschule hatte sie ihn immer auf dem Schulhof angehimmelt, doch er, der Rabauke, hatte das beim Herumtoben nie bemerkt.
Hinterher trennten sich ihre Wege, er ging fort aus dem Dorf, ins Priesterseminar, und kam nach vielen Jahren zurück. Zwischendurch hatte man schon von ihm gehört, seine Briefe an seine Mutter hatte sie oft in der Hand gehalten. Sie war die Briefträgerin im Dorf. Er war Missionar im Urwald. Erst als er alt war, kam er zurück, kurz danach starb er in Frieden.
Und all die Jahre hatte sie auf einen Brief von ihm gehofft, jedoch der kam nicht.
Nun lag er da in der ewigen Ruhe und konnte ihr nicht mehr auskommen. Jetzt war er ihr, ganz allein ihr. Jeden Donnerstag schenkte sie ihm ein Röslein, ein weißes, ein farbloses. Die Leidenschaft war verschwunden, die Liebe blieb.
Keck hob sie das Rad ein wenig aus den Schienen, aber nur nicht zu viel. Zu übermütig durfte sie nicht sein. Es war immerhin schon ein starkes Stück, dass sie sich einfach so aus dem Staub gemacht hatte. Von einem auf den anderen Moment stand ihr Entschluss fest. Die Gelegenheit war zu günstig gewesen, als der Schaffner die abfahrbereite Bahn für einen Moment verlassen hatte, um vor der ersten Fahrt des Tages noch schnell die Örtlichkeiten aufzusuchen. Gewiss hätte niemand gedacht, dass die kleine 351 sich allein auf die Reise begeben würde. Das hatte es schließlich noch nie gegeben! Sie war doch nur ein alter Blechkasten auf Eisenrädern. Dass zwischen ihren blechernen Wänden Leben steckte, konnte ja keiner ahnen!
Vorsichtig bog sie um die erste Kurve. Die Räder quietschten leicht in den Schienen. Ach, wie war das herrlich, sich die schneekalte Morgenluft um die Seiten pfeifen zu lassen und einfach so durch die noch im Traum liegende Stadt zu gleiten.
Nahe der Einkaufsstraße entdeckte die 351 sich in einem Schaufenster. Erst gestern war sie noch gewienert und poliert worden, so dass ihr rotes Kleid unter dem Licht der eben aufgehenden Sonne gar prächtig strahlte. Die kleine Bahn pfiff sich selbst hinterher und setzte ihren Weg fröhlich fort.
An einer Haltestelle warteten ein paar Fahrgäste. Kurz entschlossen hielt die 351 an und öffnete den Fahrgastraum, um die Leute einsteigen zu lassen. Niemand schien sich über das führerlose Gefährt zu wundern. Man war um diese Morgenstunde zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Die Bahn war’s zufrieden und freute sich ihrer neu gewonnen Freiheit. Aber war das wirklich Freiheit? Immerhin hing ihr Körper mit den Rädern in diesen Schienen fest, die sie auf Gedeih und Verderb in vorgegebenen Bahnen durch die Stadt leiteten.
Die kleine Bahn dachte bei sich: Freiheit ist der kleine Freiraum, den man sich im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten erkämpfen kann. Immerhin konnte sie ihr eigenes Tempo bestimmen und entscheiden, wem sie ihre Dienste anbieten mochte. Das war nicht viel, aber ein Anfang … und sie war stolz auf sich!
Schwester Jadwiga hastete in dem ihr eigenen Sturmschritt die Via Annunziata hinunter. Die Ordensschwester wirkte eigentlich immer, als sei sie eilig. In all den Jahren, die sie nun im Ordenshaus dieser verschlafenen, süditalienischen Stadt verbracht hatte, war es ihr bei aller Demut nicht gelungen, ihr überschäumendes Temperament zu zügeln. Ständig beklagte sie die wegen der Gemächlichkeit des Alltags verlorene Zeit, die man für so viel Gutes hätte nutzen können. Die Alten und Kranken im angeschlossenen Pflegeheim bedurften schließlich der umfassenden Zuwendung.
Noch mehr erboste die Nonne aber eine Unsitte, an die sie sich niemals gewöhnen würde. Warum in um Himmels Willen mussten diese italienischen Frauen ständig die Wäsche ihrer Luigis und Guiseppes in aller Öffentlichkeit zur Schau stellen? Vor allem Signora Vergoli war ihr ein Dorn im Auge, denn sie pflegte die langen Unterhosen ihres Mannes stets in der Nähe des kleinen Marienaltars an der Ecke auszustellen.
Aber heute fiel der Braut des Herrn in der Morgenmesse etwas ein. Sicher war es kein großes Zeichen von Frömmigkeit, sich beim Gebet dergleichen Gedanken zu machen. Aber sie konnte nicht anders, und deshalb fingerte sie zwischen Hochgebet und Wandlung aus ihrem Ordensrock ein Stück Papier hervor, auf das sie mit sauberen Lettern etwas schrieb.
… und schon auf dem Weg zur frevelhaften Stelle musste sie leise lächeln bei der Vorstellung, dass an Signore Vergolis grauer Unterhose den Rest des Tages folgender Hinweis zu lesen wäre:
„DIE UNTERHOSE DES HL. JOSEF“
Schwester Jadwiga achtete in ihrer diebischen Vorfreude weder auf das mahnende Klappern ihres Rosenkranzes, noch maß sie der Stimme ihres jungfräulichen Gewissens weitere Bedeutung bei …
Nein, untersteh dich, die Fortsetzung zu löschen!!
Das war zwar hier nicht der Plan, aber du in deiner göttlichen Unberechenbarkeit warst nicht abzusehen ... und ich habe gelernt aus den Schwächen meines wohl doch nicht so gut durchdachten Konzepts (auch dank mira). Ich werde die Sache anders organisieren, so dass man mehr Platz zum Quatschen und eventuellem Weitersinnieren hat.
Hab schon mit "nimmermehr" verhandelt. Der account liegt sowieso still, weil ich damals ja aus der FC verschwand. Da kann ich die Bilder mit Geschichten hochladen und kann sie dann hier im Buch "einkleben"!
So weit der Plan ... bis du mir seine Lücken aufzeigst! :-)))
Schwester Jadwiga hatte so gar nicht geahnt, daß sie mit ihrem Zettelchen eine uralte Wahrheit ans helle, italienische Sonnenlicht zerrte. Denn genau eine solche lange und sehr warmhaltende Unterhose war vor langer Zeit tatsächlich das Lieblingskleidungsstück des viel beschäftigten Zimmermanns, der als heiliger Josef in die Geschichte einging. Maria, sein bis dahin treues Eheweib, nervte dieses gruselige Prachtstück sehr, zumal sie fand, daß es im heiligen Land damals rundum sowieso ziemlich gut geheizt war. So wandte sie sich ab von ihrem Josef und jenem Nebenbuhler ihres Mannes zu, der oben in seiner Villa, die er Firmament genannt hatte, schon ungeduldig und ziemlich liebestoll auf sie wartete. Daß er von da an mit Hörnern auf dem Kopf durch die Landschaft stolperte, war dem armen Josef komplett entgangen. Und so merkte er auch nicht, daß das Kind, das da so unschuldig vor ihm in der Krippe lag, gar nicht sein eigenes war...
Dr. Ansgar Pilgenröder lebte zurückgezogen in einer vorstädtischen Reihenhaussiedlung. Morgens verließ er gegen sieben Uhr das Haus, um mit der Straßenbahn ins Stadtzentrum zu fahren. Seit vielen Jahren war er Leiter der Einzelzahler-Abteilung einer Versicherung. Ausgesucht hatte er sich das nicht, aber es hatte sich so ergeben … wie sich alles in seinem Leben einfach so ergeben hatte. Er war es gewohnt, dem Schicksal seinen Lauf zu lassen und dachte nicht weiter darüber nach. Er funktionierte wie das Zahnrad einer Uhr in seinem Gefüge.
Doch tief in seinem Innersten hatte er sich einen Fluchtpunkt bewahrt, eine Seite, die niemand von ihm kannte. Etwas, das nur ihm allein gehörte. Wohl hatte sich auch das einfach so ergeben, aber er hatte es verteidigt, die Stellung sogar ausgebaut, und in dieser Nacht trat er zu seinem letzten Kampf an.
Gleich nach Büroschluss war er nach Hause geeilt und dann mit seinem alten Fahrrad zu dem verlassenen Gebäude der Bleistiftfabrik gefahren. Schon als Kind hatte er dort gespielt, und als vor Jahren der Betrieb aufgelöst, die Hauptgebäude abgerissen und nur noch ein paar Nebenhallen stehengeblieben waren, um die sich niemand scherte, hatte er das Gelände zu seinem Zufluchtsort erklärt. In einem der Lagerräume hatte er ein altes Spind entdeckt, in dem er eines Tages eine im Sperrmüll gefundene Schaufensterpuppe deponierte. Wann immer es ihn drängte … und das war meist in den mondhellen Nächten, in denen er keinen Schlaf fand … schlich er sich durch das verrottete Tor in die Halle, nahm seine Geliebte aus ihrem Verlies und tanzte mit ihr im fahlen Licht, das durch die blinden Scheiben drang. Niemals sprach er auch nur ein Wort mit ihr, aber er umfasste ihren schlanken Körper, zog sie an sich, so dass sie unter seinen Berührungen ächzte, und führte sie sicher über den Tanzboden. Voller Leidenschaft stierte Ansgar tief in ihre leeren Augen und ließ die unerfüllten Sehnsüchte, die unausgesprochenen Hoffnungen, eben all sein Lebensleid an ihrem kühlen, glatten Kompositkörper abprallen.
Diese Nacht nun würde ihre letzte sein, denn am folgenden Tag sollte der Abriss der verbliebenen Gebäude ihn seines Traumlandes endgültig berauben. Vor dem letzten Tanz hatte er die stille Geliebte bräutlich geschmückt. Der weiße Schleier, den er liebevoll um sie schlang, war sein erstes und einziges Geschenk an sie, ein Abschiedsgeschenk.
Der letzte Tanz würde ein Tango sein, das hatte er sich schon am Morgen beim Verzehr seiner Leberwurstbrote ausgemalt. Nun war es so weit. Das Nachtlicht erfüllte die verstaubte Halle. Ansgar drückte vorsichtig sein Mondkind an sich, beugte sie leicht zurück, und mit der Musik im Kopf setzte er lautlos den ersten Schritt …
Aber es war, wenn es denn zum Äußersten kam, doch ein schöner Tod für ihn. Was hatte denn sonst vom Leben? Es gab doch nur sie ...
Ich gehe davon aus, dass er eh angeschlagen war, Klimaanlage im Büro und so ... dann diese zugige Fabrikhalle.
Nur im Fieberwahn hat er geglaubt, sie starre ihn mit glühenden Augen an ... ja, so muss es gewesen sein.
Herr Nicklitsch war eigentlich ein ganz normaler Bürger, so normal man sein kann, wenn man eben Nicklitsch heißt, denn in diesem Namen steckt ja immerhin das Wort „nickelig“, was so viel bedeutet wie „bösartig, hinterlistig“, wenn auch auf eine liebevolle Art.
Ein bisschen war dieser Herr Nicklitsch auch danach. Genau genommen war er die personifizierte Nickeligkeit. Allerdings hätte er das nicht so gesehen, sondern sich bestenfalls als kritisch bezeichnet. Mit Recht kritisch, nicht etwa aus purer Lust am Kritisieren. Aber jeder, der ihn kannte, hätte ihn als den Typ Mensch beschrieben, der nur deshalb stets ein Haar in seiner Suppe findet, weil er sein Haupt schüttelt, solange er sie isst.
Nun, Herr Nicklitsch lebte in einer kleinen Stadt, und schon das gab ihm Anlass genug, nach Herzenslust zu nörgeln. Über das Wetter beklagte er sich sowieso, doch gab er den Stadtvätern die Schuld daran, dass das Straßenpflaster bei Regen zu rutschig war, bei Sonnenschein zu stark blendete. Überhaupt empfand er die Mischung aus altem Kopfsteinpflaster und modernem Gestein als Geldverschwendung. Man hätte ja auch ganz praktisch asphaltieren können.
Doch nicht nur auf der öffentlichen Bühne spielte Herr Nicklitsch seine tragende Rolle. Auch im Kreise von Kollegen und Nachbarn verbreitete er seine Tiraden gegen alles und jedes. Die frischen Orangen schmeckten nach Kartonage, die Kinder bräuchten mal gehörig ein paar hinter die Löffel, Frauen würden sowieso besser zu Hause bleiben und überhaupt hätte es das früher alles nicht gegeben.
Sein Lieblingsthema war jedoch die Tageszeitung. Nicht nur, dass er sich über alles und jedes aufregte, was darin stand. Nein, auch die Zeitung selbst hielt er für ein verwerfliches Werk. Schon wegen der vielen Fehler darin gehörte sie für ihn zu den Jugend gefährdenden Schriften.
Kurz, Herr Nicklitsch war ein rechter Kotzbrocken. … und wenn er ausnahmsweise mal gut gelaunt war, zumindest für seine Verhältnisse, dann ärgerte er sich darüber, dass ihm zwar alle aus dem Weg gehen konnten, er sich selbst jedoch nicht …
Ich weiß nicht, ob man ihnen aus dem Weg gehen sollte. Leute, die sich selbst zu ernst nehmen, lassen sich so wunderbar verarschen. Das kann großen Spaß bringen.
Da ist zwar was dran, aber meine Zeit wird knapper. Da muss ich schon überlegen, mit wem ich sie am gescheitesten verbringe ... wobei ich ja überhaupt nicht gegen Spaß bin.
Ist mir auch zu anstrengend, zum Lachen in den Keller zu gehen. :-))
Da gebe ich dir Recht, seine Zeit sollte man eigentlich !
nicht mit solchen Miesepetern verplempern. Eigentlich! :-)
LG und dir ein entspanntes Wochenende, liebe Mona
Hilde
Auch wenn es Höhen und Tiefen in ihrem Leben gegeben hatte, war Margarete Mergenschläger doch eine rechtschaffene Frau, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen stand und sich nichts vorzuwerfen hatte. So sah sie es jedenfalls und schob den Gedanken an den Gatten, der am Spätnachmittag eines lauen Samstags vor fünfundzwanzig Jahren die Wohnung im 4. Stock des schäbigen Mietshauses verlassen hatte, um am Kiosk an der Ecke Zigaretten zu holen, in den hintersten Winkel ihres gebeutelten Herzens.
Wie so oft in derartigen Geschichten kehrte der Treulose natürlich nie zurück und ließ Margarete mit dem kleinen Günther allein. Kein Wort der Erklärung, keine Entschuldigung, kein Lebenszeichen, nichts. Im Laufe der Jahre war die anfängliche Fassungslosigkeit zunächst tiefem Zorn, später Resignation und schließlich einer Ergebenheit ins Unvermeidliche gewichen, und die vom Gatten Verschmähte versuchte, sich und den Sohn auf anständige Art über die Runden zu bringen. Der Junge sollte nichts vermissen, weder das Fahrrad, noch die Klassenreise. Sie nahm die unterschiedlichsten Putzstellen an und freute sich, dass der Spross sich zu ihrer Zufriedenheit entwickelte, nach gutem Schulabschluss eine Ausbildung begann und danach in der Firma übernommen wurde. Sicher hätte sie sich gewünscht, dass der Sohn ein nettes Mädchen ins Haus gebracht hätte, doch Günther machte keinerlei Anstalten, die mütterliche Geborgenheit zu verlassen.
So flossen die Jahre zwischen den sorgenden Händen dahin und Margarete verschwendete nie einen Gedanken an eine neue Partnerschaft. „Man kann zufrieden sein“, pflegte sie zu den Damen im Rommé-Club zu sagen, und unhörbar fügte sie hinzu: „ … wenn nur die Samstage nicht wären!“
Einem Ritual gleich begab sich Günther nämlich um die sechste Stunde eines jeden Samstags mit seiner Badeente zu Wasser, darauf wartend, dass der Vater später kommen würde, um ihn wieder herauszuheben. … und all die Jahre ertönte der Schrei „Will den Papa!!“, wenn Margarete den Stopfen aus der Wanne zog, um das längst erkaltete Wasser abzulassen.
In diesen Momenten flammte ein Hauch des alten Zorns wieder auf und Margarete war geneigt, auch Udo Jürgens einen Teil der Schuld am Trauma ihres Kindes zuzuschreiben.
MONA LISA . 16/09/2019 11:43
12.Treffen sich zwei Kameras
GESCHICHTE STEHT UNTER DEM BILD
ein "must read" für Liebhaber analoger Kameras:-))
MONA LISA . 16/09/2019 11:43
11. Magal
Eine Geschichte vom Grinkel
GESCHICHTE STEHT UNTER DEM BILD
MONA LISA . 16/09/2019 11:42
10. Der Tag, an dem der Grinkel die Schnapsflasche fand
GESCHICHTE STEHT UNTER DEM BILD
MONA LISA . 16/09/2019 2:20
9. Von der Möglichkeit, Gedanken zu bevorraten
GESCHICHTE STEHT UNTER DEM BILD
MONA LISA . 16/09/2019 2:19
8. Als der Grinkel dem Weihnachtsfrieden begegnete
GESCHICHTE STEHT UNTER DEM BILD
mohane 30/08/2019 11:39
some flowers for a smile..wiedersehn 19/08/2019 10:44
warst du in nachbarsGARTEN.Klacky 14/08/2019 20:26
Ich werde zu den einzelnen Bildern noch was schreiben, das dauert aber ein bißchen, geht also pöapö, da ich an diversen Geräten arbeite und meine Wahrheizfindung Zeit beansprucht.Gut Ding will Weile haben.
Klacky 13/08/2019 14:07
Fräulein Rosalie wandelte jeden Donnerstach zum Grab ihres Geliebten, um seiner zu huldigen. Er hatte nichts von ihr gewußt. Also gewußt von ihr schon, er hatte sie gekannt, wie jeder im Ort sie kannte. Er hatte sich auch immer freundlich gegrüßt, wie jeder sie freundlich grüßte. Auch sie grüßte ja jeden freundlich. Aber er hatte nie von ihrer Zuneigung zu ihm gewußt, ja nicht einmal geahnt, zumal sie sie ihm immer verschwiegen hatte, sie hatte sich nie getraut. Schon in der Volksschule hatte sie ihn immer auf dem Schulhof angehimmelt, doch er, der Rabauke, hatte das beim Herumtoben nie bemerkt.Hinterher trennten sich ihre Wege, er ging fort aus dem Dorf, ins Priesterseminar, und kam nach vielen Jahren zurück. Zwischendurch hatte man schon von ihm gehört, seine Briefe an seine Mutter hatte sie oft in der Hand gehalten. Sie war die Briefträgerin im Dorf. Er war Missionar im Urwald. Erst als er alt war, kam er zurück, kurz danach starb er in Frieden.
Und all die Jahre hatte sie auf einen Brief von ihm gehofft, jedoch der kam nicht.
Nun lag er da in der ewigen Ruhe und konnte ihr nicht mehr auskommen. Jetzt war er ihr, ganz allein ihr. Jeden Donnerstag schenkte sie ihm ein Röslein, ein weißes, ein farbloses. Die Leidenschaft war verschwunden, die Liebe blieb.
MONA LISA . 13/08/2019 12:01
7. Was ist eigentlich Freiheit?
Keck hob sie das Rad ein wenig aus den Schienen, aber nur nicht zu viel. Zu übermütig durfte sie nicht sein. Es war immerhin schon ein starkes Stück, dass sie sich einfach so aus dem Staub gemacht hatte. Von einem auf den anderen Moment stand ihr Entschluss fest. Die Gelegenheit war zu günstig gewesen, als der Schaffner die abfahrbereite Bahn für einen Moment verlassen hatte, um vor der ersten Fahrt des Tages noch schnell die Örtlichkeiten aufzusuchen. Gewiss hätte niemand gedacht, dass die kleine 351 sich allein auf die Reise begeben würde. Das hatte es schließlich noch nie gegeben! Sie war doch nur ein alter Blechkasten auf Eisenrädern. Dass zwischen ihren blechernen Wänden Leben steckte, konnte ja keiner ahnen!
Vorsichtig bog sie um die erste Kurve. Die Räder quietschten leicht in den Schienen. Ach, wie war das herrlich, sich die schneekalte Morgenluft um die Seiten pfeifen zu lassen und einfach so durch die noch im Traum liegende Stadt zu gleiten.
Nahe der Einkaufsstraße entdeckte die 351 sich in einem Schaufenster. Erst gestern war sie noch gewienert und poliert worden, so dass ihr rotes Kleid unter dem Licht der eben aufgehenden Sonne gar prächtig strahlte. Die kleine Bahn pfiff sich selbst hinterher und setzte ihren Weg fröhlich fort.
An einer Haltestelle warteten ein paar Fahrgäste. Kurz entschlossen hielt die 351 an und öffnete den Fahrgastraum, um die Leute einsteigen zu lassen. Niemand schien sich über das führerlose Gefährt zu wundern. Man war um diese Morgenstunde zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Die Bahn war’s zufrieden und freute sich ihrer neu gewonnen Freiheit. Aber war das wirklich Freiheit? Immerhin hing ihr Körper mit den Rädern in diesen Schienen fest, die sie auf Gedeih und Verderb in vorgegebenen Bahnen durch die Stadt leiteten.
Die kleine Bahn dachte bei sich: Freiheit ist der kleine Freiraum, den man sich im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten erkämpfen kann. Immerhin konnte sie ihr eigenes Tempo bestimmen und entscheiden, wem sie ihre Dienste anbieten mochte. Das war nicht viel, aber ein Anfang … und sie war stolz auf sich!
MONA LISA . 13/08/2019 12:01
6. Ave Maria
Schwester Jadwiga hastete in dem ihr eigenen Sturmschritt die Via Annunziata hinunter. Die Ordensschwester wirkte eigentlich immer, als sei sie eilig. In all den Jahren, die sie nun im Ordenshaus dieser verschlafenen, süditalienischen Stadt verbracht hatte, war es ihr bei aller Demut nicht gelungen, ihr überschäumendes Temperament zu zügeln. Ständig beklagte sie die wegen der Gemächlichkeit des Alltags verlorene Zeit, die man für so viel Gutes hätte nutzen können. Die Alten und Kranken im angeschlossenen Pflegeheim bedurften schließlich der umfassenden Zuwendung.
Noch mehr erboste die Nonne aber eine Unsitte, an die sie sich niemals gewöhnen würde. Warum in um Himmels Willen mussten diese italienischen Frauen ständig die Wäsche ihrer Luigis und Guiseppes in aller Öffentlichkeit zur Schau stellen? Vor allem Signora Vergoli war ihr ein Dorn im Auge, denn sie pflegte die langen Unterhosen ihres Mannes stets in der Nähe des kleinen Marienaltars an der Ecke auszustellen.
Aber heute fiel der Braut des Herrn in der Morgenmesse etwas ein. Sicher war es kein großes Zeichen von Frömmigkeit, sich beim Gebet dergleichen Gedanken zu machen. Aber sie konnte nicht anders, und deshalb fingerte sie zwischen Hochgebet und Wandlung aus ihrem Ordensrock ein Stück Papier hervor, auf das sie mit sauberen Lettern etwas schrieb.
… und schon auf dem Weg zur frevelhaften Stelle musste sie leise lächeln bei der Vorstellung, dass an Signore Vergolis grauer Unterhose den Rest des Tages folgender Hinweis zu lesen wäre:
„DIE UNTERHOSE DES HL. JOSEF“
Schwester Jadwiga achtete in ihrer diebischen Vorfreude weder auf das mahnende Klappern ihres Rosenkranzes, noch maß sie der Stimme ihres jungfräulichen Gewissens weitere Bedeutung bei …
MONA LISA . 13/08/2019 12:01
5. Der letzte Tango
Dr. Ansgar Pilgenröder lebte zurückgezogen in einer vorstädtischen Reihenhaussiedlung. Morgens verließ er gegen sieben Uhr das Haus, um mit der Straßenbahn ins Stadtzentrum zu fahren. Seit vielen Jahren war er Leiter der Einzelzahler-Abteilung einer Versicherung. Ausgesucht hatte er sich das nicht, aber es hatte sich so ergeben … wie sich alles in seinem Leben einfach so ergeben hatte. Er war es gewohnt, dem Schicksal seinen Lauf zu lassen und dachte nicht weiter darüber nach. Er funktionierte wie das Zahnrad einer Uhr in seinem Gefüge.
Doch tief in seinem Innersten hatte er sich einen Fluchtpunkt bewahrt, eine Seite, die niemand von ihm kannte. Etwas, das nur ihm allein gehörte. Wohl hatte sich auch das einfach so ergeben, aber er hatte es verteidigt, die Stellung sogar ausgebaut, und in dieser Nacht trat er zu seinem letzten Kampf an.
Gleich nach Büroschluss war er nach Hause geeilt und dann mit seinem alten Fahrrad zu dem verlassenen Gebäude der Bleistiftfabrik gefahren. Schon als Kind hatte er dort gespielt, und als vor Jahren der Betrieb aufgelöst, die Hauptgebäude abgerissen und nur noch ein paar Nebenhallen stehengeblieben waren, um die sich niemand scherte, hatte er das Gelände zu seinem Zufluchtsort erklärt. In einem der Lagerräume hatte er ein altes Spind entdeckt, in dem er eines Tages eine im Sperrmüll gefundene Schaufensterpuppe deponierte. Wann immer es ihn drängte … und das war meist in den mondhellen Nächten, in denen er keinen Schlaf fand … schlich er sich durch das verrottete Tor in die Halle, nahm seine Geliebte aus ihrem Verlies und tanzte mit ihr im fahlen Licht, das durch die blinden Scheiben drang. Niemals sprach er auch nur ein Wort mit ihr, aber er umfasste ihren schlanken Körper, zog sie an sich, so dass sie unter seinen Berührungen ächzte, und führte sie sicher über den Tanzboden. Voller Leidenschaft stierte Ansgar tief in ihre leeren Augen und ließ die unerfüllten Sehnsüchte, die unausgesprochenen Hoffnungen, eben all sein Lebensleid an ihrem kühlen, glatten Kompositkörper abprallen.
Diese Nacht nun würde ihre letzte sein, denn am folgenden Tag sollte der Abriss der verbliebenen Gebäude ihn seines Traumlandes endgültig berauben. Vor dem letzten Tanz hatte er die stille Geliebte bräutlich geschmückt. Der weiße Schleier, den er liebevoll um sie schlang, war sein erstes und einziges Geschenk an sie, ein Abschiedsgeschenk.
Der letzte Tanz würde ein Tango sein, das hatte er sich schon am Morgen beim Verzehr seiner Leberwurstbrote ausgemalt. Nun war es so weit. Das Nachtlicht erfüllte die verstaubte Halle. Ansgar drückte vorsichtig sein Mondkind an sich, beugte sie leicht zurück, und mit der Musik im Kopf setzte er lautlos den ersten Schritt …
MONA LISA . 13/08/2019 12:01
4. Herr Nicklitsch
Herr Nicklitsch war eigentlich ein ganz normaler Bürger, so normal man sein kann, wenn man eben Nicklitsch heißt, denn in diesem Namen steckt ja immerhin das Wort „nickelig“, was so viel bedeutet wie „bösartig, hinterlistig“, wenn auch auf eine liebevolle Art.
Ein bisschen war dieser Herr Nicklitsch auch danach. Genau genommen war er die personifizierte Nickeligkeit. Allerdings hätte er das nicht so gesehen, sondern sich bestenfalls als kritisch bezeichnet. Mit Recht kritisch, nicht etwa aus purer Lust am Kritisieren. Aber jeder, der ihn kannte, hätte ihn als den Typ Mensch beschrieben, der nur deshalb stets ein Haar in seiner Suppe findet, weil er sein Haupt schüttelt, solange er sie isst.
Nun, Herr Nicklitsch lebte in einer kleinen Stadt, und schon das gab ihm Anlass genug, nach Herzenslust zu nörgeln. Über das Wetter beklagte er sich sowieso, doch gab er den Stadtvätern die Schuld daran, dass das Straßenpflaster bei Regen zu rutschig war, bei Sonnenschein zu stark blendete. Überhaupt empfand er die Mischung aus altem Kopfsteinpflaster und modernem Gestein als Geldverschwendung. Man hätte ja auch ganz praktisch asphaltieren können.
Doch nicht nur auf der öffentlichen Bühne spielte Herr Nicklitsch seine tragende Rolle. Auch im Kreise von Kollegen und Nachbarn verbreitete er seine Tiraden gegen alles und jedes. Die frischen Orangen schmeckten nach Kartonage, die Kinder bräuchten mal gehörig ein paar hinter die Löffel, Frauen würden sowieso besser zu Hause bleiben und überhaupt hätte es das früher alles nicht gegeben.
Sein Lieblingsthema war jedoch die Tageszeitung. Nicht nur, dass er sich über alles und jedes aufregte, was darin stand. Nein, auch die Zeitung selbst hielt er für ein verwerfliches Werk. Schon wegen der vielen Fehler darin gehörte sie für ihn zu den Jugend gefährdenden Schriften.
Kurz, Herr Nicklitsch war ein rechter Kotzbrocken. … und wenn er ausnahmsweise mal gut gelaunt war, zumindest für seine Verhältnisse, dann ärgerte er sich darüber, dass ihm zwar alle aus dem Weg gehen konnten, er sich selbst jedoch nicht …
MONA LISA . 13/08/2019 12:01
3. Er war noch niemals in New York …
Auch wenn es Höhen und Tiefen in ihrem Leben gegeben hatte, war Margarete Mergenschläger doch eine rechtschaffene Frau, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen stand und sich nichts vorzuwerfen hatte. So sah sie es jedenfalls und schob den Gedanken an den Gatten, der am Spätnachmittag eines lauen Samstags vor fünfundzwanzig Jahren die Wohnung im 4. Stock des schäbigen Mietshauses verlassen hatte, um am Kiosk an der Ecke Zigaretten zu holen, in den hintersten Winkel ihres gebeutelten Herzens.
Wie so oft in derartigen Geschichten kehrte der Treulose natürlich nie zurück und ließ Margarete mit dem kleinen Günther allein. Kein Wort der Erklärung, keine Entschuldigung, kein Lebenszeichen, nichts. Im Laufe der Jahre war die anfängliche Fassungslosigkeit zunächst tiefem Zorn, später Resignation und schließlich einer Ergebenheit ins Unvermeidliche gewichen, und die vom Gatten Verschmähte versuchte, sich und den Sohn auf anständige Art über die Runden zu bringen. Der Junge sollte nichts vermissen, weder das Fahrrad, noch die Klassenreise. Sie nahm die unterschiedlichsten Putzstellen an und freute sich, dass der Spross sich zu ihrer Zufriedenheit entwickelte, nach gutem Schulabschluss eine Ausbildung begann und danach in der Firma übernommen wurde. Sicher hätte sie sich gewünscht, dass der Sohn ein nettes Mädchen ins Haus gebracht hätte, doch Günther machte keinerlei Anstalten, die mütterliche Geborgenheit zu verlassen.
So flossen die Jahre zwischen den sorgenden Händen dahin und Margarete verschwendete nie einen Gedanken an eine neue Partnerschaft. „Man kann zufrieden sein“, pflegte sie zu den Damen im Rommé-Club zu sagen, und unhörbar fügte sie hinzu: „ … wenn nur die Samstage nicht wären!“
Einem Ritual gleich begab sich Günther nämlich um die sechste Stunde eines jeden Samstags mit seiner Badeente zu Wasser, darauf wartend, dass der Vater später kommen würde, um ihn wieder herauszuheben. … und all die Jahre ertönte der Schrei „Will den Papa!!“, wenn Margarete den Stopfen aus der Wanne zog, um das längst erkaltete Wasser abzulassen.
In diesen Momenten flammte ein Hauch des alten Zorns wieder auf und Margarete war geneigt, auch Udo Jürgens einen Teil der Schuld am Trauma ihres Kindes zuzuschreiben.