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A N D E R S

Ai Weiwei

Evidence

Gropius-Bau Berlin, 2014


„"Modernismus ist das Urgeschöpf der aufgeklärten Menschen, er ist die ultimative Betrachtung über den Sinn des Daseins und das Elend der Realität, er hat ein wachsames Auge auf Gesellschaft und Macht, er geht keine Kompromisse ein, er kooperiert niemals." Ai Weiwei 1997 (zit. n. „Ai Weiwei - Der verbotene Blog“, Galiani: Berlin 2011)

Trotz aller unfassbaren Anfeindungen in seinem Land hat sich Ai Weiwei entschlossen, seine weltweit größte Einzelausstellung im Martin-Gropius-Bau, in Berlin durchzuführen. Auf 3000 qm in 18 Räumen und im spektakulären Lichthof zeigt er Werke und Installationen, die eigens für den Martin-Gropius-Bau entstanden oder noch nie in Deutschland gezeigt wurden.

„Evidence“ nennt er seine Ausstellung, nach jenem Wort, welches uns aus amerikanischen Krimiserien bekannt ist: der Beweis, möglichst gerichtsfest. Es ist eine politische Ausstellung, die Ai Weiwei für Berlin in seinem einfachen und schönen Studio am dörflichen Stadtrand von Peking entwarf. Ai Weiwei ist Künstler, Architekt und Politiker. Kaum eines seiner Werke kommt ohne versteckte Anspielungen aus, sei es auf die binnenchinesischen Verhältnisse, sei es auf das große Thema ‚China und der Westen’. Man muss die historischen und politischen, oft ironischen Botschaften in seinen Werken lesen, die er gleichsam wie eine Flaschenpost in die Welt schickt.

Willkürliche Verhaftungen und Korruption tagtäglich, das ist es was chinesische Bürger erleben. Ai Weiwei will das nicht hinnehmen. Er fordert Redefreiheit, Gewaltenteilung, Mehrparteiendemokratie.

Und er nutzt die unendlich variierbare Formensprache der Konzeptkunst, um eben dies auszudrücken in einem Land, in dem Meinungsfreiheit nicht existiert.
Er ist auch in China einer der berühmtesten Künstler. Chinesische Regierungspropaganda versuchte in den letzten Jahren, ihn aus dem öffentlichen Bewusstsein zu entfernen. Er darf in keinem Museum Chinas ausstellen. Flugs machte Ai Weiwei das Internet zu seiner Dauerausstellung: hervorragend seine mittlerweile verbotenen Blogs wie auch sein aktueller Auftritt auf Instagram.

Zwar kann er in seinem Studio arbeiten, doch vor seinem Tor sind ein Dutzend Überwachungskameras angebracht. [...] Zwar darf er in China reisen, doch jeder seiner Schritte wird von Undercoveragenten überwacht. Seinen Paß hat man ihm entzogen, ins Ausland darf er nicht reisen.

Unter den Werken und Installationen, die im Martin-Gropius-Bau zu sehen sind, findet sich die goldene Kopie jener Zodiac-Skulpturen (Golden Zodiac, 2011), die einst von chinesischen Handwerkern in Bronze gegossen und von den Europäern Castiglione und Benoist entworfen wurden (um 1750). Sie waren Teil einer Art Sonnen- und Wasseruhr und befanden sich in einem vom Kaiser in Auftrag gegebenen Gartenabschnitt voller Gebäude im europäischen Stil. 1860, nach dem Ende des Zweiten Opiumkrieges, wurde der gesamte Garten von beutegierigen Engländern und Franzosen, die Peking erobert hatten, um ihren Opiumhandel in China durchzusetzen, geplündert und in Brand gesteckt. Einige der bronzenen Zodiac-Figuren gelangten damals nach Europa und hielten, als sie 2008 auf einer Auktion der Kunstsammlung von Yves Saint-Laurent in Paris auftauchten, die chinesische Welt in Atem. Ai Weiwei bestreitet, dass diese Bronzefiguren wie die Regierung behauptet, nationale Schätze Chinas seien, vielmehr sieht er sie als globale Schätze.

Ai Weiwei: Tierkreis
Ai Weiwei: Tierkreis
E. W. R.


[...]

Oft sind es auch antike chinesische Materialien, die Ai Weiwei einsetzt. Er spricht gelegentlich davon, dass er die Affekte des Betrachter durch kontradiktorische Elemente hervorlocken will. Etwa wenn er alte Keramikgefäße der Han-Zeit (202 BC – 220 AC) in Autolack taucht, in Farben wie sie bei deutschen Luxusautos in Peking derzeit sehr beliebt sind (Han Dynasty Vases with Auto Paint, 2013).

Ai Weiwei: Vasen der Han-Dynastie mit Autolack
Ai Weiwei: Vasen der Han-Dynastie mit Autolack
E. W. R.


Mit Serialismus, den es schon in alten buddhistischen Tempeln gab, wie mit Minimalismus, der gedanklich bereits in der Song-Zeit (960-1126) sichtbar war, geht er spielerisch um, transferiert die ihm geläufigen Etyme chinesischer Kunst in die heutige ‚Universalsprache’ global agierender Konzeptkunst.

[...]

Im spektakulären Lichthof des Gropiusbaus montiert der Künstler 6.000 einfache hölzerne Stühle (Stools, 2014), wie sie auf dem Land seit der Ming-Zeit (1368-1644), seit hunderten von Jahren also, Verwendung finden. Ein eindrucksvoll ästhetisches, pixelartiges Werk entsteht. Diese Stühle, so Ai Weiwei, seien Ausdruck einer Jahrhundert alten Ästhetik des ländlichen China.

Ai Weiwei: Stühle
Ai Weiwei: Stühle
E. W. R.


Ai Weiwei führt mit uns im Westen ein Gespräch über China. Seine Konzeptkunst war (und ist), als er nach seine Rückkehr aus New York 1993 damit begann, revolutionär für China, ein Land, das den Künstlern bis dahin nur bestimme Ausdrucksformen gestattete. Wer Formen kontrolliert, der kontrolliert auch Inhalte. Ai Weiwei widersteht der Kontrolle, er führt auf seine Weise einen Diskurs über freies Reden und Schreiben. Ais große Vorbilder sind Marcel Duchamp, Andy Warhol, wie auch Giorgio Morandi.

Aber Ai sieht sich auch in der Tradition des Chan (Zen)-Philosophen Hui Neng (638-713). Er sieht in ihm den radikalen Verfechter des ungebundenen Ausdrucks, jemanden der sich gegen die konfuzianisch-buddhistische Orthodoxie seiner Zeit auflehnte. Noch in der Kulturevolution (um 1969) zerstörten die Roten Garden seinen Tempel im Süden Chinas, wo er noch heute (wieder) verehrt
wird.“

Ai Weiwei: Very Yao (2009)
Ai Weiwei: Very Yao (2009)
E. W. R.


Ai Weiwei: He Xie (Flusskrabben)
Ai Weiwei: He Xie (Flusskrabben)
E. W. R.


Ai Weiwei: Armierungseisen aus Marmor
Ai Weiwei: Armierungseisen aus Marmor
E. W. R.



Vgl auch:

http://www.deutschlandradiokultur.de/retrospektive-er-hat-berlin-schaetzen-gelernt.954.de.html?dram:article_id=281807

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