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Stefan Schwetje


Premium (World), Braunschweig

Alltag in ...

Alltag in Auschwitz…


Gegen Mittag kam wieder einer der Häftlinge durch den Karabinerschuss eines SS-Schergen um. Das war so: Der Häftling war furchtbar ausgezehrt und hatte Durchfall. Er wandte sich an den SS-Posten und bat ihn, seine Notdurft dicht beim Arbeitsplatz verrichten zu dürfen. Der SS-Mann erlaubte ihm das, aber als er sich zurück meldete, riss er ihm die Mütze vom Kopf und warf sie fort – weit hinter die Postenkette. Dem Häftling befahl er, die Mütze zu holen und sich zurückzumelden. Als der Häftling losging, setzte der SS-Mann das Gewehr an und erschoss den Unglücksseligen von hinten. Von den mit mir zusammenarbeitenden Kollegen erfuhr ich, dass die SS-Leute für das Erschießen eines Häftlings „auf der Flucht“ – so nannte sich das – zwei Tage Sonderurlaub bekamen. Was war das Leben eines Häftlings schon wert ! Für den SS-Mann nichts…

Ich war zum Säcketragen eingeteilt. Für einen jungen Burschen wie mich wäre die damit verbundene Anstrengung nichts Außergewöhnliches gewesen, wenn ich satt gewesen wäre. Die ersten Säcke schleppte ich irgendwie ans Ziel und setzte sie im Lager ab. Jedoch plötzlich begann der Aufsicht führende Vorarbeiter laut zu brüllen: „Schneller ihr verfluchten Hunde ! Schneller !“ Und ehe ich mich versah, bekam ich zwei Hiebe mit dem Knüppel über den Kopf. Ich lief zum Waggon, um den nächsten Sack zu holen. Dort standen zwei SS-Leute und der Kapo August. Er hatte sich über einen Häftling gebeugt, dem der Sack beim Aufladen am Waggon von der Schulter gerutscht war. August trug Lederhandschuhe. In einer Hand hielt er einen abgebrochenen Schaufelstiel, den er auf den Hals des Unglücklichen langsam niederdrückte. Immer stärker zudrückend, zischte er: „Ich werde dich lehren, die Arbeit im Lager zu sabotieren, du Scheißsack !“ Wie erstarrt, blieb ich einen Augenblick stehen, sofort kam jedoch von hinten der Vorarbeiter herbeigelaufen. Er schlug mir mit dem Knüppel den Rücken. Ich schrie vor Schmerz auf. „Im Laufschritt, du Scheißkerl ! Aber dalli ! Na los ! Sonst verreckst du in Kürze genauso wie der da !“

Es war Dezember und wir hatten ca. minus 20 Grad Frost. Vor Kälte traten wir von einem Bein aufs andere und scheuerten uns mit dem Rücken aneinander. Die Gesichter waren rotgefroren vom Frost, der uns erbarmungslos in Ohren, Nasen und Backen brannte. Die Häftlinge der anderen Blocks waren längst verschwunden, während wir weiterhin stehen bleiben mussten. Schließlich kam der Blockälteste zu uns. Er war in Begleitung unseres Blockführers und zweier SS-Leute. Sie blieben vor den angetretenen Häftlingen stehen. „Na, euch ist kalt, was ?“ wandte sich der Blockführer an einen der Häftlinge. Der wusste nicht recht, was er antworten sollte. Er nahm die Mütze ab und schwieg. Daraufhin schlug ihm der Blockälteste aus voller Kraft mit dem Knüppel auf den Kopf, so dass der Arme blutüberströmt zusammenbrach. Skrzypek sprang auf ihn zu, versetzte ihm Fußtritte und brüllte: „Wenn dich der Blockführer fragt, dann hast du zu Antworten, du Hurensohn !“ Am Ende ließ er von seinem Opfer ab. Er sagte etwas zu einem SS-Mann, und nur seine Augen glitzerten bedrohlich. Er stellte sich vor dem Block in Positur und eröffnete uns: „Wegen diesem Hundesohn werdet ihr jetzt bestraft. Alle hinlegen ! Auf, nieder ! Auf, nieder …“ „Wer den Befehl zu langsam ausführte, wurde sofort von Skrzypek erwischt und mit dem Knüppel bedacht. Dem –unterhaltsamen Spiel- schlossen sich die SS-Leute und der stellvertretende Blockälteste, irgendein „Grüner“ an. „Und jetzt“, meinte Skrzypek nach einiger Zeit, „laufen wir rund um den Blockplatz ! Aber dalli ! Diejenigen, die ganz am Ende liefen, waren den Schlägen der unmenschlichen Häscher ausgesetzt. Alle Augenblicke stolperte einer von ihnen, darauf hatten die Peiniger nur gewartet. Sie fielen über ihre Opfer her und droschen mitleidlos auf sie ein. Binnen kurzer Zeit lagen bereits fünf Opfer an der Mauer des Blocks. Skrzypek stand wieder vor dem Block und ordnete an: „Alle die Kleidung ausziehen und fünf Schritte vor !“Aufgeregt, vor Kälte zitternd, stellten wir uns in Zehnerreihen auf der Lagerstraße auf. Der Blockführer suchte sich unterdessen ein Opfer heraus und erstickte mit dem Knüppel den letzten Funken Leben in ihm. Splitternackt umrundeten wir fünfmal den Platz zwischen den Blocks. Dann ließ uns der Blockälteste kurz anhalten, zählte unter den vorne Befindlichen die ersten Dreißig ab und schickte sie zum Block. Den Rest der Häftlinge trieb er zum Weiterlaufen an. Schon jetzt spürte man trotz des Frostes einfach nichts mehr, höchstens ein Stechen in der Lunge. Das ganze dauerte über drei Stunden. Wie ich es ausgehalten habe, weiß ich selber nicht…

(Quelle: Aus der Hölle zurück von Tadeusz Sobolewicz)

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Commentaire 5

  • Urs V58 10/09/2017 21:52

    Manchmal mache ich mir - wie Joachim - Gedanken darüber, ob sich solche Dinge wirklich nie mehr ereignen können. Mein Optimismus war schon grösser, wenn ich an gewisse Regionen der Welt denke ...
    Deine Aufnahme passt hervorragend zum Thema.
    LG Urs
  • Mary.D. 10/09/2017 17:45

    Deine Fotoarbeit paßt sehr gut zu dem anschließenden Bericht!
    LG Mary
  • Joachim Irelandeddie 10/09/2017 12:12

    Immer wieder erschütternd diese Brichte von den Qualen der Menschen damals. Es ist unvorstellbar aber ich muss auch meinem Vorschreiber recht geben, solche Tendenzen sind leider immer wieder zu entdecken. Aber solche Grausamkeiten wollen und brauchen wir einfach nicht mehr. Eine gute und zum Thema passende Bearbeitung ist das, düster!

    lg eddie
  • blue moon 10/09/2017 11:14

    Hallo Stefan, die Grausamkeit die manche Menschen in sich trugen (tragen) für mich unfassbarer und grausiger, als die Zahl die unfassbare Zahl der Toten. Man fragt sich was diese Menschen dazu gebracht hat, so grausam sein zu können. Man sieht wozu der Mensch fähig ist. Nicht nur irgendein Mensch, sondern wir alle als Menschen tragen diese Möglichkeit in uns. Wir sollten uns selbst gut im Auge behalten.
    Viele Grüße von Bluemoon