Eva

Eva

Bevor jetzt einer ins Lamento über Vandalismus verfällt: Die Blessuren sind schiere Verwitterung! Da hatte der Stein wohl eine poröse Ader, Wasser drang ein und Frost sprengte alles über die poröse Ebene hinaus Vorstehende ab, auch an den Kleiderfalten und den Zehen, die ganze Figur hinunter.

Die sanfte Unschärfe ist eigentlich ungewollt, bekommt der Dame aber ganz gut, finde ich. Die Tonung ist "naturbelassen", nicht entsättigt, es war ein trüber Tag. Es gibt die Dame auch nochmal in besonnt und knackig scharf, aber so mag ich sie lieber.

Erst-Upload 9.12.2009 um 0:18 Uhr

Ort: Gertruden-Friedhof in OL

Eva

Einfach steht sie an der Kathedrale
großem Aufstieg, nah der Fensterrose,
mit dem Apfel in der Apfelpose,
schuldlos-schuldig ein für alle Male

an dem Wachsenden, das sie gebar,
seit sie aus dem Kreis der Ewigkeiten
liebend fortging, um sich durchzustreiten
durch die Erde, wie ein junges Jahr.

Ach, sie hätte gern in jenem Land
noch ein wenig weilen mögen, achtend
auf der Tiere Eintracht und Verstand.

Doch da sie den Mann entschlossen fand,
ging sie mit ihm, nach dem Tode trachtend;
und sie hatte Gott noch kaum gekannt.




Rainer Maria Rilke, Sommer 1908 (vor dem 15.7.), Paris