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Regina Hermes


Free Account, Süddeutschland

..immer wieder...

unterwegs

letztes Studienwochenende in Münster vor zwei Wochen

und
...immer wieder Abschiede....

Abschied ohne Rilke
Abschied am Bahnhof, es ist wie immer. Zu Herzen gehende Blicke, Beschwörungen und Versprechen, je nach Temperament ein Kuß oder vielleicht auch zwei. Als der Zug sich langsam in Bewegung setzt,
finden Sie zum Abschied ganz hinten im Gedächtnis für sie noch eine Zeile Rilke, dann lösen Sie sich langsam und spurten den ganzen langen Bahnsteig entlang, erreichen wie üblich nur ziemlich knapp den letzten Wagen und ziehen sich hinein. Sie asten in Ihr Abteil, öffnen das Fenster, recken den Kopf, immer weiter, bis es schon weh tut und der Bahnhof hinter den letzten Wagen verschwindet. Sie schließen das Fenster, greifen zum Kamm, sehen Ihr Gesicht im Spiegel und seufzen in sich hinein: Jeder Abschied ist ein bißchen wie Sterben.
Genau.

Nun, so scheint es, will die Bundesbahn wohl dem sozusagen allzu individuell gestalteten Abschiednehmen auf ihren Plattformen wirkungsvoll entgegentreten.
Wie anders wäre es zu erklären, daß heute jeder Zug, der etwas auf sich
hält, über einen unbestechlichen Türschließmechanismus verfügt. Spätestens beim ersten Ruck versperrt er den Zugang und läßt den heraneilenden Mitreisewilligen keinerlei Chancen mehr.

Von daher verwundert es nicht, daß sich das Leben auf den bundesdeutschen Bahnhöfen inzwischen spürbar verändert hat. Bahnkunden, in Kenntnis der Türautomatik, will der Abschied kaum mehr gelingen. Die Umarmung gerät flüchtig, und die Zeile von Rilke bekommen Sie einfach nicht mehr zusammen, wenn der Schaffner drohend seine grüne Kelle hebt.

Um so unverständlicher, daß sich die Bahnvorsteher mit der Einführung des neuen Türschließmechanismuslängst noch nicht zufrieden geben wollen.
Zug um Zug rüsten sie mit massiver Isolierverglasung aus, das beliebte
Schiebefenster, wichtigste Voraussetzung für einen Rest von gefühlvollem Abschiednehmen, droht dabei auf der Strecke zu bleiben.

Sicher, es ist erfreulich, wenn mehr und mehr Bahnkunden ihr Ziel wohltemperiert erreichen. Doch das Abschiednehmen am Bahnhof gerät damit vollends zur Tortur. Vergangen die Zeiten, wo weiße Taschentücher
blinkten, Arme sich streckten. Kein Gedanke mehr an die kleinen Photos,
die, mit dem Gespür für den Moment hinausgereicht, zu manchen Tränen rührten.
An eine Widmung vielleicht, aus dem Fenster geworfen in letzter
Sekunde: „Uns bleibt immer Bad Berleburg."

Statt dessen ein paar Grimassen vor getönten Scheiben, Handzeichen, die keiner versteht. Mehr nicht. Die Mitreisenden beobachten Sie sehr interessiert. Der Zug fährt an und Sie haben noch viele Fragen. Sie fühlen,
daß es besser wäre zu bleiben, aber die Türen fallen krachend ins Schloß. Abschied am Bahnhof, der Spuk ist vorbei.

(Hanns-Bruno Kammertons)





http://www.youtube.com/watch?v=RO8aa9PGxvU

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