Kleiner hohler Fels auf Krücken
Nietzsche’s Rock [Nietzsche Felsen]
2017, Skulptur Projekte 2017
Material: Beton, Glasfaser, medizinische Gehhilfen, Holz, Metall
Maße: ca. 350 × 700 × 300 cm
Standort: Wiese an der Promenade, Ecke Von Vincke-Straße / Salzstraße, 48143 Münster
Justin Matherly
* 1972 New York, lebt in New York
„Die visuellen Vorlagen seiner Skulpturen findet Justin Matherly (* 1972 New York, lebt in New York) in Büchern und Texten, besonders in denen der klassischen Antike und der Philosophie. Auf sie nimmt er sowohl inhaltlich wie formal Bezug, häufig sogar namentlich in den Werktiteln. Seine porösen, oft gebrochenen skulpturalen Interpretationen aus Beton, Gips und Plastik werden getragen von medizinischen Gehhilfen. Fotografien, die mit den Objekten eng in Verbindung stehen, ergänzen Matherlys Werk.
Wie vom Himmel gefallen wirkt Matherlys Skulptur auf der Grünfläche der Promenade. An mehreren Stellen sind Brüche und Löcher im Material zu sehen. Die Gehhilfen treten mal deutlich hervor, mal verschwinden sie ganz im grauen Material. Als Readymades, Objekte aus dem alltäglichen Leben, übernehmen sie die Funktion des Sockels und sind selbst Teil der Skulptur. Mit ihnen führt der Künstler ein Maß ein, das eng mit dem menschlichen Körper in Beziehung steht. Einige der Gehböcke dieser Skulptur sind nicht neu und stammen aus der weiteren Umgebung von Münster. Trotz ihrer Massivität strahlt die Skulptur eine Leichtigkeit aus, scheint wie über der Erde zu schweben.
Die abstrakt wirkende Form hat einen sehr konkreten Ausgangspunkt: den so genannten Nietzsche-Felsen, benannt nach dem deutschen Philosophen. Der Fels am See von Silvaplana im Oberengadin hat ihn nach eigenen Angaben an einem Augusttag im Jahr 1881 zur Idee der ewigen Wiederkunft des Gleichen angeregt. Diese ist ein Gegenentwurf zur Vorstellung von einem Endzustand, wie sie vor allem die christliche Religion vertritt. Statt dass (Lebens-) Zeit abläuft, bedeutet die ewige Wiederkehr, dass „die ewige Sanduhr des Daseins […] immer wieder umgedreht [wird] – und du mit ihr.“1 In der Monumentalität des Felsens kann man ein Sinnbild für eine solche permanente Wiederholung sehen: Wenn jeder Moment des Lebens ewig von Neuem, wieder und wieder beginnt, dann liegt auf jeder noch so kleinen Handlung ein großes Gewicht. Der Mensch kann sich von diesem Gewicht niederdrücken lassen und jedes moralische Handeln als überflüssig erachten. Oder er bejaht diese permanente Wiederholung und sieht genau darin die Motivation für moralisches Handeln.
Wiederholtes Formen und Abformen, ausgehend von Fotografien des Felsens, prägten den dreiteiligen Entstehungsprozess der Skulptur Matherlys. „Ich spalte Formen in andere Formen auf“, so der Künstler. „Nichts hört jemals wirklich auf“. Keine Kopien von originalen Vorbildern entstehen so, sondern der Status quo einer sich als Objekt gestaltenden Interpretation. Matherly befragt über das Medium der Skulptur die Aktualität unserer philosophischen und ästhetischen Vergangenheit. Statt wie am Silvaplana fest mit dem Untergrund verbunden zu sein, wird das Schwergewicht bei Matherlys Arbeit getragen von Stützen, die eigentlich Schwäche und den Verlust von Mobilität und Selbstständigkeit symbolisieren.“
Sophia Trollmann
https://www.skulptur-projekte.de/#/De/Projects/2017/831/MATHERLY
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