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Moonstruck

Was für ein Erlebnis!

Die Mitglieder des Elitefotoclubs „Blende auf und immer drauf“ hatten sich auf einen Berg im Voralpenland begeben, um die Mondfinsternis zu erleben.
Aber sie waren nicht die einzigen, wie sich bald herausstellen sollte.

Schwer bepackte Gestalten jeglichen Geschlechts und Alters hatten sich dick eingemummelt und schleppten Kisten und Koffer den Berg hinauf. Oben wurden angesichts des noch unverhüllten Mondes Tische, Tischdecken, Speisen und Getränke der feinsten Art ausgepackt und verzehrt. Nur leises Murmeln war zu hören, keine laute Stimme.

Doch kaum begann sich der Schatten der Erde über den Mond zu schieben, tönte aus der Ferne „Moon River“,
gespielt von der Feuerwehrkapelle aus Munsing, die sich mit Tschhingderassabum den Berg hinaufschob.

Derweil hatten die Mitglieder des Elitefotoclubs „Blende auf und immer drauf“ ihre Stative aufgebaut und die Kameras ausgerichtet.
Sie versuchten den Klängen der Natur zu lauschen.
Vergebens.

Denn nun meinte der Mädchenchor der Landfrauen des nahegelegenen Dreggendorf singenderweise, der Mond sei aufgegangen
und jubelte in den klaren Himmel, an dem die güldenen Sternlein prangten.

Die Mitglieder des Elitefotoclubs „Blende auf und immer drauf“ hatten die ersten Aufnahmen im Kasten und führten die Kameras dem zunehmend verdunkelten Mond nach.

Doch was war das? Ein Licht aus der anderen Richtung! Ein Raunen ging durch die Menge.
Wie eine lange Schlange zog sich ein Fackelzug aus der Ferne durch das Tal in Richtung Kapelle.
Es war der Schützenverein von Lansing, angeführt von der fünfzigköpfigen Böllergruppe. Diese stellte sich oben im nach Osten offenen Halbkreis auf und fing an, die Böller zu laden.

Der Mond verhüllte zunehmend sein Gesicht und schien in eine andere Richtung zu schauen.
Die Mitglieder des Elitefotoclubs „Blende auf und immer drauf“ wechselten ihre Speicherkarten.

Weiße Schatten umspielten den kleinen Voralpengipfel. Unter der Leitung des nicht mehr taufrischen Fräuleins Walpurga hüpften die Buben und Madel der Ballettgruppe des evangelischen Kindergartens von Hilzhausen sehr leicht bekleidet als Elfen über die Wiese und quietschten und jauchzten erquickt, weil sie zu so später Stunde noch auf sein durften. Auch Fräulein Walpurga hatte sich nicht mehr umgehängt.
Pater Anselm vom nahen Trappistenkloster kniete in der Kapelle der Hlg. Barbara und schlug vor Verzweiflung immer wieder seinen Kopf auf die vorderste Holzbank.
An diesem Abend hätte er sprechen dürfen, und das Konzept für eine lange Rede an das mondsüchtige Volk steckte in seiner Kutte.

Die Mitglieder des Elitefotoclubs „Blende auf und immer drauf“ richteten ihre Kameras immer wieder auf die gespenstische Szene rings um die Kapelle und dann wieder auf den Mond.

Die Feuerwehrkapelle von Münsing intonierte verhalten Dvoraks Lied an den Mond, wobei die Tuba die Leitmelodie übernahm.
Jetzt hätte der Botschafter Mondawiens, den ein lokaler Parteibonze als Ehrenredner engagiert hatte, die Festrede halten sollen. Aber er hatte es vorgezogen, sich mit einer Flasche Wodka und der Gemeindekrankenschwester Maria hinter die Büsche zu verziehen, wo er beiden hörbar zusetzte.

Etwas abseits des ganzen Geschehens spielte sich eine merkwürdige Szene ab.
Ein schlanker Mann hatte zwei andere Gestalten im Schlepptau. Es schien fast so, als zöge er sie an den Ohren über die Wiese. Man hörte verhaltene Schmerzensschreie wie „Aua“ und „Des tut fei weh“ und „Laß mich los, Edmund!“ Doch er ließ nicht los und brummelte nur „Ihr zwei Nichtsnutze, zu gar nichts taugt ihr! Jetzt wollen wir es wissen. Hoits Mei, Erwin!“
Was wollte dieser Mann im Dunklen wissen?
Vor einer auf der Wiese zusammengekauerten Gestalt kam das Trio zum Stehen.
„Hernieder mit euch, und gebt’s a Ruah, Du ah, Günther!“ schoß es wie ein Befehl aus dem Munde des anscheinend befehlsgewohnten Mannes.
Die zusammengekauerte Gestalt, die man bei näherem Hinsehen als den Knecht vom Schattenkofer Hof erkannte, gemeinhin der Druide von Lansing gerufen, wurstelte in seinen Kleidern herum und schimpfte immer wieder. „Wo ist den bloß mein Ohkxswf? Hrschftsklzmnt! Den brauch i!“, besser konnte man es nicht verstehen. Vor ihm lag auf dem Boden eine Glaskugel.
Auf einmal hüpfte ein Eichhörnchen durch das Gras. Es konnte bei der merkwürdigen Beleuchtung nicht schlafen und war bei den grauenhaften Tubaklängen vor Schreck vom Baum gefallen. Schwupps hatte der Druide es beim Schwanz gepackt und pendelte mit dem armen Tier über der Glaskugel. Gespannt starrte das Trio auf ihn und die Kugel.
Der Druide sah etwas, er zögerte noch, dann entrang sich ihm eine Zahl. „Siebenundvierzig“ stieß er aus, "siebenundvierzig Prozent."
Das Trio sank zu Boden und fing haltlos an zu weinen.
Der Druide war so verblüfft ob der Wirkung seines Vorhersehens, dass er das Eichhörnchen ausließ. Dies sprang erleichtert wieder auf den Baum, nicht ohne den Günther genannten Mann noch in das Ohrwatschel zu beißen. Fahl leuchte dessen schmerzverzerrtes Gesicht im hellen Mondlicht. Es sollte noch lange anhalten ...

Die Mitglieder des Elitefotoclubs "Blende auf und immer drauf" staunten und schossen die Aufnahmenh ihres Lebens.

Der Höhepunkt der Mondfinsternis war erreicht. Bürgermeister Schattenkofer hob die Hand und fünfzig Böllerschützen taten es ihm nach. Eine dreifache Salve krachte in den sternenklaren Nachthimmel und wurde von der entfernten Benediktenwand mehrfach zurückgeworfen.
Der Luftdruck der Salve blies die Opferkerzen in der Kapelle aus, das Altarbild fiel auf den Boden, und nach kurzem Zögern gesellte sich der Weihwasserbehälter dazu.

Als sich der Pulverdampf verzog, war der Hügel leer und der Spuk vorbei, und das Eichhörnchen war schon wieder vom Baum gefallen.
Die Mitglieder CDL, AK, AX, EU, JT, AG, BE, RG und MX des Elitefotoclubs „Blende auf und immer drauf“ packten ihre Sachen,
bestiegen den Kleinbus und fuhren tiefbeeindruckt nach Hause.
Sie werden noch ihren Enkeln davon berichten,
von der Mondfinsternis im Voralpenland.

Kaum hatten sich Pulverdampf, Musiker, Honoratioren, Böllerschützen und die Mitglieder des Fotoclubs "Blende auf und immer drauf" verzogen, da geschah etwas Seltames. Nur ein altes Mütterchen aus dem benachbarten Dreggendorf, das in der Dunkelheit ihren Rollator nicht mehr fand, war Zeuge:
Hoch in der Luft fing es an zu knistern, knattern, rumpeln und zischen.
Irgendetwas sauste mit Macht herunter, krachte direkt neben der Kapelle der Hlg. Barbara auf den Boden und zerschellte. Man hätte glauben können, es sei ein kleines Raumschiff gewesen.
Lange war Stille.
Dann regte sich etwas in den Wrackteilen, und ein kleines Wesen mit Federn am Kopf und einer Waffel in der Hand kroch aus den Trümmern.
Man hörte es deutlich fluchen:
"verdammich, verdores und schiet!
jetzt ham'se mich wieder erwischt
diese erdlinge ..."
Dann humpelte jemand mit einem Rollator gen Tal ...

Folgendes wurde später bekannt, denn die Search-and-Rescue-Mannschaft der voralpenländischen Bergrettung fand das Mütterlein erst am Tag nach der Mondfinsternis.
Und so konnten auch erst dann die Beamten des Luftfahrtbundesamtes die Unglücksstelle untersuchen.
Unschlüssig stocherten sie in den Wrackteilen herum und konnten sich keinen Reim machen. Da lagen Brückenteile, Fassadenteile, das Führerhaus eines Fischkutters und einige Booster aus Eichenau.
Aber nichts, was wirklich hätte fliegen können ...
Aber es gab Spuren im hohen Gras, die ins Tal führten, Richtung Autobahn ...

War Willy Michl, der Isarindianer, von der Schiffschaukel gefallen und humpelte jetzt die A95 Richtung München?
Oder war da etwas ganz anderes im Spiel?
Werden wir es je erfahren?

28.09.2008
Nachtrag aus aktuellem Anlaß:

Mitteilung der Gemeindeverwaltung von Lansing
Wegen seiner tendenziell zwar richtigen aber dennoch groben Fehlvorhersage wurde der Druide von Lansing (in persona Xaver, der Knecht vom Schattenkofer Hof) seines Postens als Seher der Gemeinde enthoben.
Schande über ihn!

gez.
Schattenkofer
Bürgermeister
und Mitglied der einst so mächtigen Volkspartei

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