Muchachos
Rio San Juan, Nicaragua, 1986.
aus Kodak Farbdia 100 ASA.
Tagebuchaufzeichnungen:
(veröffentlicht in: "Companero Eppelein und die Revolution am Rio Pegnitz", ISBN 3 -927332-25-9)
...In der Nähe Hospedaje „Santos“, in Managua gab es eine Kneipe wo ich mich gerne zum Frühstück aufhielt. Am 26. Oktober 1984 war ich schon um sieben Uhr früh auf den Beinen. Nach einem Teller Gallo Pintu und einer Flasche Cola ging ich zum Parque „Luis Alfonso Velazquez“, der im Zentrum Managuas liegt. Dort gab es einen Zeitungskiosk und ich ging fast täglich dort hin um eine Ausgabe des „Nuevo Diario“ zu kaufen, einer linksliberalen Tageszeitung. Anschließend wollte ich zur Baustelle der Druckerei „Los Muchachos“ gehen um weitere Aufnahmen für die Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland zu machen. Das Projekt wurde von verschiedenen linken Gruppen in Deutschland unterstützt und es fehlte an fast allem...
...Neben den täglichen Meldungen von Krieg, Verwundeten und Toten gab es im „Nuevo Diario“ eine weitere Meldung: In der Stadt San Carlos hatte am Vortag ein großes Feuer gewütet. 1500 Einwohner sollen obdachlos und der Ortskern soll völlig zerstört worden sein... ...der Krieg schien nicht genug zu sein, Elend über das ausgezehrte Land zu bringen. Am Abend war die allwöchentliche Freitagsdisco der „Sandinistischen Jugend“ wo sich viele ausländische Brigadisten und Aufbauhelfer trafen. Es gab einen enormen Kommunikationsbedarf und die Gerüchteküche forderte ihren Tribut. Der Leiter des Druckereiprojektes war ebenso wie ich aus Nürnberg und es gab an diesem Abend nur ein Thema. Es war die Situation in der zukünftigen Partnerstadt Nürnbergs. In Nürnberg gab es eine Bürgerinitiative, die sich zum Ziel gesetzt hatte eine offizielle Städtepartnerschaft zu erreichen ...Ein Beschluss des Nürnberger Stadtrats vom 4.Juli des Jahres hatte den Weg zu einer offiziellen Partnerschaft bereits frei gemacht. Wir fühlten uns besonders betroffen und verantwortlich. Im Gespräch an diesem Abend wurde jedoch unsere Machtlosigkeit gegenüber den Ereignissen immer deutlicher...
...während wir mühsam das Material organisieren um ein Fenster und eine Tür am Druckereigebäude einbauen zu können und eine Wasserleitung zu legen, geht andernorts eine ganze Häuserzeile in Flammen auf oder wird wieder woanders ein ganzes Dorf von der „Contra“ dem Erdboden gleich gemacht!...
...Wir saßen zu dritt in einem kleinen offenen Boot mit Außenbordmotor, unterwegs weit draußen auf dem großen Nicaraguasee zwischen dem Dorf San Miguelito und San Carlos. Die Straße, eher eine Piste nach San Carlos war nicht sicher, es gab Überfälle der „Contra“ und die Straße konnte jederzeit vermint sein. Und wenn es das nicht war dann wurde sie von der Regenzeit fortgespült. Es regnete über eine Stunde ohne Unterbrechung. Das Wasser peitschte ins Gesicht, die Kleidung war durchnässt und der Fahrtwind war kalt. Aus den Regenschleiern tauchten endlich die Hütten, Holzhäuser und Blechdächer von San Carlos auf. Ein wirres Durcheinander von Bauten. Die chaotisch wirkende Besiedelung zog sich den Hang hinauf. Das Regenwasser rann die verschlammten Straßen hinunter zum Seeufer....
...Wo das Hafenviertel einmal gewesen war erstreckte sich eine weite braune Fläche aus Erde und Schlamm. Aus dem ufernahen Wasser ragten zahlreiche verkohlte Holzstümpfe, die ehemaligen Fundamente der zahlreichen Pfahlbauten und Molen, die es hier gegeben hatte bevor das Feuer ausbrach. Die Trümmer waren bereits fast vollständig weggeräumt. Bauarbeiter waren dabei Gruben auszuheben und Fundamente für neue Häuser zu errichten. Der Wiederaufbau war sofort nach dem Brand in Angriff genommen worden....In Managua sammelten die Menschen, die selbst nicht viel hatten Geld um den Einwohnern von San Carlos zu helfen. Es gab verschiedene Aufrufe, vor allem während der Wahlkampfveranstaltungen der FSLN, die vor dem 4. November, dem Wahltag in Nicaragua fast täglich auf Straßen und Plätzen stattfanden wurden die Menschen aufgefordert zu spenden...
... Nicht nur traurige Stimmen über die Ereignisse in San Carlos kamen mir zu Ohren.... Ein Deutscher, der schon Jahre in San Carlos lebt und dessen Wohnung am 25. Oktober auch zerstört wurde, sagte zu mir, es seien ja vor allem Ratten, Kakerlaken und anderes Ungeziefer durch den Brand beseitigt worden. Menschen sind ja keine umgekommen und jetzt könne man den alten„Dreckhaufen“ San Carlos, der nur aus verfaultem Holz und verrostetem Wellblech bestanden hätte endlich neu und viel schöner aufbauen...und das sei auch die Ansicht einiger anderer Einwohner...
Markus Bibelriether
Commentaire 0
Supprimer le commentaire
Effacer commentaire et réponses