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Schon mal ausgeflogen worden? / Did YOU book the evacuation?

Schon mal ausgeflogen worden? / Did YOU book the evacuation?

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Nicola Stein


Free Account, Althengstett

Schon mal ausgeflogen worden? / Did YOU book the evacuation?

Als wir in Puerto Natales ankommen, dauert der Generalstreik schon sechs Tage, Patagonien ist lahmgelegt. Wir fahren durch eine Geisterstadt und suchen unser Bed&Breakfast. Erst mal wollen wir von den Vermietern Informationen zur Situation, die Dusche kann warten. Gibt es eine Möglichkeit, nach Punta Arenas zu kommen? Sie machen uns nicht viel Hoffnung, an den Straßensperren wird kein Fahrzeug hinausgelassen. Aber es wurde eine Anlaufstelle für gestrandete Touristen in einer Schule eingerichtet, wir sollten uns dort in die Warteliste für eine Evakuierung eintragen. Gestern sei ein Buskonvoi nach Calafate gefahren und nach Punta Arenas solle es Flüge geben.

Schon sind wir wieder draußen, die Dusche kann auch noch länger warten, wir fahren erst mal zu der Schule. Ich komme mir vor wie in der Tagesschau: Rot-Kreuz-Fahrzeuge parken vor dem Gebäude, Soldaten stehen vor dem Eingang, Touristen mit Gepäck lagern auf dem Rasen. Drinnen ist aber nicht viel los, es stehen zwei Tische mit Schildern "Calafate" und "Punta Arenas" da, aber es sitzt niemand dahinter. Wir passen einen vorbeihastenden Rot-Kreuzler ab: Wo kann man sich hier in die Warteliste für eine Evakuierung eintragen? "Wo müssen Sie denn hin?" Nach Punta Arenas. "Haben Sie Ihre Pässe und das Gepäck dabei?" Ähhh, ja, draußen im Auto, wir haben ja noch gar nicht ausgeladen. "Dann geben Sie mir Ihre Pässe und holen Sie das Gepäck. Der Bus zum Flughafen fährt in 10 Minuten. Das ist der letzte Flug für heute." Moment, Sekunde mal, täuscht mich mein Spanisch? Nein, tut es nicht, er spricht auch etwas Englisch. "Das ist wahrscheinlich der letzte Flug nach Punta Arenas überhaupt, das sind die letzten Touristen, die dorthin wollen." Wir müssen aber noch unseren Mietwagen zurückgeben. "Wo denn? Bei Hertz? Das schaffen Sie nicht mehr rechtzeitig. Holen Sie Ihr Gepäck und geben Sie mir den Schlüssel, ich bringe den Wagen nachher zurück."

Wir rennen zum Auto, gefolgt von zwei Soldaten. Na toll, das Gepäck ist natürlich nicht verladefertig. Die Trekkingrucksäcke sind noch gepackt, aber der Rest ist im Auto verteilt, wir sind ja schon drei Wochen unterwegs. Hektisch laden wir alles auf die Straße, nicht das Blasrohr für meinen Neffen hinter der Rückbank vergessen, die Skistöcke nehmen wir erst mal so mit. Alles andere schmeißen wir in die Reisetasche. Kaum schließe ich den Reißverschluss, wird sie mir von den Soldaten aus der Hand gerissen und auf einen Militärlaster verladen. Oh Mist, der GPS-Tracker liegt noch auf dem Armaturenbrett. Nochmal zurück, die GPS-Maus greifen, wieder hin, den Autoschlüssel abgeben. Nach 12 Minuten sitzen wir ziemlich außer Atem im Rot-Kreuz-Bus. Mensch, haben wir ein Glück. Stell Dir vor, ich wäre heute morgen eine viertel Stunde später losgelaufen!

Im Konvoi fahren wir zum Flughafen. An der Straßensperre gibt es ein kleines Palaver, aber dann dürfen wir durch. Im leeren Flughafen geht es ähnlich zügig weiter: "Gaskartuschen hier abgeben, Taschen geben Sie diesen Soldaten, bei mir kriegen sie Ihre Bordkarte." Bordkarte? Ein rosa Pappstück. Nach 20 Minuten läuft die Touristengruppe über das Flugfeld zu einer Maschine der chilenischen Luftwaffe. Schade, eine Passagiermaschine. Jetzt, wo wir es rechtzeitig nach Punta Arenas schaffen, könnte ich auch noch mehr Abenteuer vertragen, ich hatte die Filmbilder von Militärtransportmaschinen im Kopf :-(
Im Flugzeug fühle ich mich gleich wie zu Hause, graue Ledersitze mit gelben Lederpaspeln, in der Inneneinrichtung fliege ich doch jede Woche nach Hamburg - Lufthansa verkauft die alten Maschinen wohl günstig ans Militär? Die Sicherheitseinweisung ist auch international derselbe Text. Nur dass es diesmal ein junger Mann in Luftwaffenuniform ist, der uns erklärt dass "in the unlikely event of a loss of cabin pressure oxygen masks will drop from the panel above you". Die Situation hat etwas Irreales.

Nach der Landung in Punta Arenas wird uns empfohlen, den Flughafen nicht zu verlassen, die Stadt sei über 30 km entfernt, durch zwei Straßensperren abgetrennt und es gäbe keine Verkehrsmittel. Wir sollten uns um einen Heimflug bemühen. Die Absicht haben wir aber gar nicht, wir wollen unser Schiff erreichen. Die erste Straßensperre ist nur drei Kilometer entfernt, das kann man laufen. Dort wird uns gesagt, es solle demnächst ein Bus aus der Stadt kommen. Warten wir's ab. Nach einer ganzen Weile kommt wirklich einer. Der Fahrer ist in Uniform, schon wieder Militär? Wir könnten mitfahren, müssten aber noch eine Weile warten. Worauf? Bald kommt unsere Flugzeugbesatzung zu Fuß durch die Straßensperre und begrüßt uns wie alte Bekannte. Wir sitzen in ihrem Bus - ein Glück dass sie abgeholt werden.

An der Straßensperre am Stadtrand herrscht Volksfeststimmung, eine Bühne wird aufgebaut, die ganze Stadt ist auf den Beinen, fliegende Händler und Grillstationen stehen auf der Autobahn. Nachher soll hier eine Großkundgebung stattfinden. Jetzt kann es ja nicht mehr weit sein, wir laufen los. Bald hupt ein Pick Up hinter uns. Der wird ja wohl noch auf der zweispurigen Autobahn an uns vorbei passen. Nein, er hupt weiter, zeigt auf die Ladefläche. Die Rückbank ist schon voll Touristen, wir sollen hinten aufsitzen, er nimmt uns mit. Ein netter Streikender, er habe ja nichts gegen Touristen, nur gegen die Gaspreiserhöhung.

So kommen wir doch noch rechtzeitig nach Punta Arenas und erreichen unser Schiff zum Kap Hoorn - damit gehören wir zu den glücklichen zwei Dritteln der Schiffspassagiere. Ein Drittel schafft es nicht. So haben wir viel Platz an Bord und viel Muße, die Erinnerung an die erste Evakuierung unseres Lebens zu genießen.

P.S. Ich gebe zu, dass es heute mehr um die Geschichte als um die Fotos ging. Nächstes Mal gibt es wieder bessere Fotos mit weniger Text ;-)

Hier findet Ihr den Anfang der Geschichte / Here is the beginning of the story

Good Morning, Patagonia
Good Morning, Patagonia
Nicola Stein
Torres del Paine ohne Sonnenaufgang / - without Sunrise
Torres del Paine ohne Sonnenaufgang / - without Sunrise
Nicola Stein
30 kilomètres à pied
30 kilomètres à pied
Nicola Stein


Puerto Natales was a ghost town when we arrived on the sixth day of the general strike. We were directed to a school where the evacuation of tourists was organized. Luckily we arrived 10 minutes before the departure of the bus transfer to catch the last plane to Punta Arenas - I never packed as fast as this time. We got a free flight from the chilean air force and arrived at Punta Arenas even before our schedule.
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