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Suffes Bruder

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Es war an einem dieser Eventdays in einem dieser Kaufhäuser in einer dieser Shopping Malls. Hans-Hugo, aufgewachsen als Einzelkind, hatte schon leidlich dem Alkohol zugesprochen, denn seine Frau war ihm gerade davongelaufen, und nun war er wieder aloans. In der obersten Etage hatte er der brasilianischen Band gelauscht, deren Musik vor allem durch die Kostüme der Tänzerinnen bestach, bzw. durch das, was sie nicht anhatten. Heinz-Hugo fühlte sich beschwingt und wollte in der Fußgängerzone noch mehr Musik hören und sich im Takte wiegen. Samba, dachte er sich und wippte leicht mit dem Fuß. Das ging, denn er stand gerade auf der Rolltreppe nach unten. Er sah sich um und freute sich über den Abend. Event, ja, das war immer etwas Tolles. Egal, was es war, Hauptsache Event. Und von Location zu Location gehen, immer dabei sein, mitten unterm Volk und nicht allein im Sandkasten wie früher.

Als Hans-Hugo sich so umsah, sah er plötzlich sich. Er war nicht verwundert, eher belustigt. Er stand neben sich. Das tat er öfter, aber gesehen hatte er sich noch nie, außer morgens im Spiegel, wo er immer wieder schnell den Blick abwendete und sich die Zähne putzte, ohne aufzuschauen. Neugierig beäugte sich Hans-Hugo. Ja, er war genau so gekleidet, wie er es gerne mochte. Salopp, lässig, sauber und ohne aufdringliche Eleganz, dennoch modisch, ein wenig hipp sogar. Nur die Weste, oh Mann, die mußte er loswerden. Westen tragen doch heutzutage vor allem Rentner. Westen mit vielen Taschen für viele Gutscheine, die man bei Aldi, Hit, Lidl, Roßmann und der Apotheke um die Ecke gegen kleine Sachen eintauschen konnte, klar, man mußte noch was draufzahlen, ging aber mit dem Gefühl nach Hause, ein Schnäppchen gemacht zu haben.

Hans-Hugo besah sich und stellte plötzlich fest, daß er doch nicht neben sich stand. Der, den er sah, stand leicht versetzt vor ihm. Das konnte er also nicht sein. Er sah sich aber gleich, nein, er sah ihm gleich, demjenigen, der etwas tiefer auf der Rolltreppe stand. Hicks, dachte und machte Hans-Hugo. Also doch nicht ich, hicks. Wer dann? Hans-Hugos von einigen Eierlikören benebeltes Hirn arbeitete fieberhaft. Dann kam es ihm, es fiel ihm wie Schuppen von den Augen.

MEIN BRUDER! ICH HABE EINEN BRUDER!

rief er, schrie er.

Die Leute drehten sich nach ihm um, sahen einen Mann alleine auf der Rolltreppe stehen; eine Eierlikörflasche schaute aus seiner Weste.
Sie schüttelten den Kopf und gingen weiter.


Nur ein Fotograf, der oben stand, sah den zweiten Mann, drückte auf den Auslöser und freute sich über ein Wuschbild zum Freitag.




Eier und Likör passen also doch zusammen, zumindest in der Kunst.
(Gell, Mari?)







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