1 474 2

Michael K. Trout


Free Account, Lebensfroh

(034) alte Wege

Ich verlasse den Bahnhof, verlasse das Fernweh, verlasse die Sehnsucht nach neuen Welten, neuen Städten, neuen Orten und gehe die Straßen entlang, die ich schon so lange, so gut kenne und doch sind es neue Straßen, weil ich sie durch meine neu geöffneten Augen sehe.
Meine Augen sind die Linsen meines Gehirns. Mein Gehirn ist das Abbildungsmedium meiner Gedanken. Meine Gedanken sind die Bilder meiner Seele. Meine Seele ist das Fenster zu mir selbst.
Ich fühle mich wohl.

Neu erscheinen mir die alten Wege. Noch vor wenigen Tagen bin ich diese Wege gegangen, in meiner Aktentasche das ausgedruckte Manuskript für meinen letzten Groschenroman. Ich wusste, wie immer, ich brauche das Manuskript nur für mich. Niemals wollte jemand aus dem Verlag meine Manuskripte lesen. Ich hatte sie immer nur für mich dabei, um sie, nachdem ich die CD mit dem Rohtext abgegeben hatte, im Cafe an der Ecke auf den Tisch zu legen, meinen Espresso darauf abzustellen, danach den Rotwein, dann den zweiten Rotwein, solange bis Rotweinflecken auf dem Papier kleine Kreise zogen. Papier mit Rotweinflecken ist unschön und gehört in den Müll. Stets habe ich den Kellner gebeten das Papier für mich zu entsorgen. Ich hätte es niemals über das Herz gebracht, meine eigenen Gedanken in den Müll zu werfen.

Ich gehe auf den alten Wegen und sie erscheinen mir neu. Noch vor wenigen Tagen bin ich diese Wege gegangen, und hatte eine Vorahnung von dem, was ich heute mache. Nun gehe ich diese Wege und habe eine Gewissheit, dass die Welt anders aussieht, als ich sie in meinen Romanhelden ausgelebt habe. Mir wird bewusst, wie vielen Fiktionen ich erlegen war, weil ich diese Trugbilder selbst erschaffen habe. Die Konsumentinnen meiner Groschenromane werden in diesen Fiktionen weiter leben, nur wird ihnen der Treibstoff für neue Trugbilder ausbleiben. Ich habe mich aus diesem Gefängnis befreit und mehr erlebt, als ich meinen Romanhelden zugestanden habe. Im Grunde habe ich die Realität beschrieben und jedes Erlebnis meiner Romanhelden hatte 50% Rabatt auf die Wirklichkeit und 30% Dreingabe in Form von Unwirklichkeit. Abbild der real existierenden Informationsgesellschaft.

Ich bin mit den Füßen auf den alten Wegen, im Kopf bin ich auf neuen Wegen.
Ich habe die Tür des Verlages erreicht, stehe vor dem Eingang. Der Pförtner grüßt mich wie immer gelangweilt und ich bin sicher, er erkennt mich, nimmt mich aber nicht wahr. Ich trete ein, der Geruch von Lösungsmittel und die Geräusche der Maschinen saugen mich ein.
Ich werde keinen neuen Groschenroman abgeben, ich will nur den Ort sehen, an dem meine Unwahrheiten durch die Druckmaschinen zu Hausfrauenwahrheit verwandelt wurden.

Wie alles begann

(001) Entschluß gefasst
(001) Entschluß gefasst
Michael K. Trout

Vor diesem Tagebucheintrag war
(033) Fernweh
(033) Fernweh
Michael K. Trout

Weiter geht es bei
(035) Wendepunkt
(035) Wendepunkt
Michael K. Trout

Commentaire 2