Sabine Streckies 02


Premium (World), Offenbach am Main und Weilrod im Weiltal

Bardowiek – Geschichte nicht im Nebel lassen ….

Nordwestmecklenburg, 20.11.11
Nikon D300, Nikkor AF S 2.8/28-70.

Mit zum Verständnis dieser Aufnahme und auch anderem im Zusammenhang mit den „Neuen Bundesländern“ kann ein Artikel von WELT ONLINE vom 10.03.1998 beitragen:

„Und wieder wird Bardowiek sein Dorffest feiern - jetzt erst recht!

Dutzende von Ansiedlungen an der innerdeutschen Grenze wurden einst vom SED-Regime geschleift, um potentielle Flüchtlinge besser kontrollieren zu können. Die ehemaligen Einwohner oder deren Nachfahren wollen ihre Dörfer wieder aufbauen. Gegen alle Widerstände. Hamburg - Der Wind läßt das weiße Schild im knorrigen Obstbaum hin- und herschaukeln: "Betreten dieses Grundstücks verboten". Die Aufforderung ist surreal: Es gibt keinen Zaun, keine Mauer, kein Grundstück. Nur Einöde. Jahrhunderte hindurch lebten in dieser Gegend mecklenburgische Bauern. Das Dorf, in dem der Obstbaum stand, hieß Bardowiek; es lag nahe Lübeck, später im DDR-Grenzgebiet. Geblieben ist nur ein Transformatorenhäuschen an der Landstraße von Palingen nach Selmsdorf. Zu den grotesken Relikten der deutschen Teilung gehört, daß der verschwundene Ort in einschlägigen Verzeichnissen mit einer Postleitzahl aufgeführt ist: 23923. Für Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, oder für deren Erben ist das Ödland an der Kreisstraße Nummer 1 mehr als nur eine Postleitzahl. Sie haben ihre Erinnerungen - und sie sind Grundstückseigentümer. Doch der Wiederaufbau des Dorfes wird ihnen verwehrt. Aus Gründen übergeordneter Landesplanung. Das SED-Regime betrieb einst zunächst die Zwangsumsiedlung der Bewohner. Dann wurden ihre Häuser abgerissen - vor allem, wenn die Eigentümer in der Bundesrepublik lebten. Das galt zum Beispiel für das "Westgrundstück" Wiencks Erben, Flur 1, Flurstück Nr. 5. In einem Schreiben der Gemeinde Selmsdorf vom 14. Januar 1977 heißt es: "Das Einfamilienhaus ist seit 2 Jahren nicht mehr bewohnt und wird auch nicht mehr bezogen und ist deshalb sehr stark verfallen. Auf der Grundlage der Grenzordnung bildet dieses Gebäude auf Grund seines Zustandes eine gewisse Unterschlupfmöglichkeit für Personen, die sich unerlaubt im Sperrgebiet aufhalten. Außerdem wohnt in Bardowiek nur noch ein älteres Ehepaar, welches in der Perspektive in Selmsdorf eine andere Wohnung erhalten wird, so daß der Ortsteil Bardowiek als Wohnort ganz liquidiert wird." So wie Bardowiek wurden Dutzende Dörfern an der innerdeutschen Demarkationslinie dem Erdboden gleichgemacht, weil das DDR-Grenzregime ihre Existenz für unvereinbar mit der "Gewährleistung der Sicherheit an der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik" hielt. Lenschow, Neuhof, Volkstorf, Wahlsdorf - nur die Landkarten verzeichnen sie noch. Ironie der Geschichte: In Bardowiek verschwand das letzte Haus erst 1989, wenige Monate vor der Wende. Erstmals urkundlich erwähnt wurde Bardowiek im Jahr 1292. Die heutigen Grundeigentümer wollen sich nicht damit abfinden, daß die mehr als 600jährige Geschichte ausgelöscht wird, daß schweres Unrecht der DDR-Machthaber durch rechtsstaatliche Instanzen des wiedervereinigten Deutschland nachträglich sanktioniert werde. Eine Interessengemeinschaft soll den Wiederaufbau betreiben. Gewiss nicht vorwiegend aus nostalgischen, sondern aus primär wirtschaftlichen Interessen - doch ändert das grundsätzlich nichts am Problem. "Die DDR hat diese Grenzdörfer widerrechtlich beseitigt. Die Betroffenen haben bis heute weder eine Entschädigung erhalten, noch wird ihnen erlaubt, ihr Eigentum mit eigenen Mitteln wieder aufzubauen und zu nutzen", führt Arno Danielsen (66), Vorsitzender der Interessengemeinschaft, aus; seine Frau stammt aus Bardowiek. Bislang waren alle Vorstöße vergeblich. Verhandlungen führten zu nichts, auch der Rechtsweg blieb bislang erfolglos. Erst vor kurzem lehnte das Oberverwaltungsgericht Greifswald den Antrag eines betroffenen Grundeigentümers ab, ihm den Wiederaufbau des elterlichen Anwesens zu gestatten. Der Kläger wollte statt eines Bauernhofs ein Wohnhaus errichten - die Oberverwaltungsrichter meinten jedoch, sein Vater hätte nach dem Abriß 1977 "alsbaldig" auf der Grundlage des westdeutschen Baugesetzbuchs einen Antrag auf Wiedererrichtung stellen müssen. Das Baugesetzbuch trat aber auf dem Territorium der früheren DDR erst 1990 in Kraft. Zugleich belehrte das Gericht den Kläger, der widerrechtliche Abriß sei keinesfalls ein außergewöhnliches Ereignis, sondern ein "Massenphänomen" gewesen und müsse hingenommen werden. Die betroffenen Eigentümer sehen das völlig anders. Danielsen: "Unser Eindruck ist, daß der Wiederaufbau dieser Dörfer politisch nicht gewollt wird, weil man einen ,Flächenbrand' an Infrastrukturkosten befürchtet. Was wäre eigentlich so schlimm daran, wenn jahrhundertealte Dörfer wieder aufgebaut und tausende von Mecklenburgern wieder in ihre frühere Heimat zurückkehren könnten?" Offen bleibt die Frage, wie viele Eigentümer, die heute zumeist in Lübeck und Umgebung wohnen, von dieser Möglichkeit Gebrauch machen würden. Die Ministerin für Bau, Landesentwicklung und Umwelt in Mecklenburg-Vorpommern, Bärbel Kleedehn (CDU), bekundet zwar ihr Verständnis für die Eigentümer, sagt, daß den Menschen, die früher an der Grenze gewohnt hätten, natürlich Unrecht geschehen sei. Doch sie folgert: "Die Bewohner der Grenzdörfer haben eine Entschädigung verdient - aber diese Entschädigung kann nicht in der pauschalen Erteilung von Baugenehmigungen auf ihren zurückgegebenen Grundstücken bestehen. In diesem Fall würde geltendes Recht verletzt, zu dessen Beachtung ich verpflichtet bin." Gemeint ist das Baugesetzbuch. Die Frage, was eigentlich dagegen spricht, den Eigentümern den Wiederaufbau der Anwesen zu ermöglichen, beantwortet die Ministerin so: "Zum einen kann man mit dem Baurecht kein DDR-Unrecht entschädigen; alle anderen ostdeutschen ebenso wie die westdeutschen Bundesländer und der Bund sind der Ansicht, daß Lösungen dieser Art nicht möglich sind. Es besteht der sinnvolle Grundsatz, daß der Außenbereich vor Bebauung zu schützen ist." Genau festgeschrieben ist das im Paragraphen 35 des Baugesetzbuches, der die Zersiedelung der Landschaft verhindern soll. Ministerin Kleedehn verweist auf die seit der Vertreibung der Bewohner "unberührte Natur", auf das inzwischen als Naturpark ausgewiesene Gebiet am Schaalsee, das "inzwischen auch als Biosphärenreservat bei der Unesco angemeldet" sei. Und sie bedauert noch einmal in verbindlicher Diktion, "daß gute, gewachsene Gründe gegen den Wiederaufbau der Grenzdörfer sprechen". Das der Ministerin unterstellte Amt für Raumordnung und Landesplanung Westmecklenburg folgert nach Prüfung der "bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit von Vorhaben": "Ein Wiederaufbau von Bardowiek ist nach dem BauGB und dem Landesraumordnungsprogramm M-V stringent abzulehnen." Die Eigentümer wollen dieses Todesurteil für ein Dorf, das es nicht mehr gibt, nicht hinnehmen. Sie planen, wie in den vergangenen fünf Jahren, auch für dieses Jahr ein "Dorffest ohne Dorf". Am 18. Juli wird gefeiert. An der Straße zwischen Palingen und Selmsdorf. Beim Trafohäuschen.“

http://www.welt.de/print-welt/article596428/Und_wieder_wird_Bardowiek_sein_Dorffest_feiern_jetzt_erst_recht.html

Immer wieder lesenswert für all diejenigen, die es kaum aushalten können, wenn sich mancher Zeitgenosse auch heute noch "die gute alte DDR" zurück wünscht: "Die Hundegrenze" von Marie-Luise Scherer, veröffentlicht 1994 im Spiegel:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13684223.html

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