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PaPe01


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Haarscharf

Haarscharf

Es ist noch gar nicht mal so lange her. Ich wusste auch nicht mehr, wie ich zu diesem Entschluss gekommen war, aber das war nun nicht weiter wichtig. Ich stand im Badezimmer und sah mir die Schachtel mit Skalpellklingen an, die ich mir allein zu diesem einen Zweck besorgt hatte. „Haarscharf und steril“ stand auf der Verpackung. Ich war wie umnebelt und konnte keine klaren Gedanken mehr fassen. Doch das war auch nicht mehr nötig. Ich wusste, was zu tun war. Langsam öffnete ich die kleine Pappschachtel und nahm eines der Instrumente heraus, schälte das scharfe Messer aus der Plastikfolie, die es wohl steril halten sollte. Steril oder nicht, das war nun wirklich das Letzte, was mich noch interessierte. Ich hielt es in der Hand und sah mir lange im Spiegel in die Augen. Traurig sah ich aus, irgendwie verbittert. Langsam hob ich die Klinge mit der rechten Hand, setzte oberhalb des linken Handgelenks an und schnitt. Quer über den gestreckten Unterarm. Der Schmerz, als sich das dünne Metall durch meine Haut presste, war unerträglich. Fast hätte ich es nicht mehr geschafft, den Schnitt zu Ende zu führen, doch ich zwang mich dazu. Dann kam der Schrei. Ich schrie bis ich keine Luft mehr hatte. Das Blut spritzte aus meinem Arm, mit jedem Pulsschlag ein neuer Schwall. Plötzlich stand ich in einer roten Lache meines eigenen Saftes. Der Spiegel war schon bedeckt, es lief von den Wänden, überall war es. Es schien, als hätte ich die ganze Welt in einen roten Schleier getaucht. Selbst durch meine Augen sah ich alles in einem Rotstich. Da musste mir wohl was ins Auge gespritzt sein. „Du musst es beenden!“ Das war das einzige, was ich noch denken konnte. Also versuchte ich mit der verletzten Hand die Klinge zu fassen. Das ging nur sehr mühsam. Der Schnitt, den ich mir in den rechten Unterarm setzte, war viel zu oberflächlich. Ich kam gerade durch die Haut, fügte mir aber keine ernsthaften Verletzungen zu. Damals wusste ich noch nicht, dass ich die Arteria radialis mit einem langgezogen Schnitt längs der Verlaufrichtung eröffnen muss. Wozu so ein Medizinstudium doch gut sein kann...
Ich torkelte durch das Badezimmer, schaffte es irgendwie, die Türe zu öffnen und tünchte nun auch den Wohnungsflur blutrot. Ich beendete meine Schreie nur, um Luft zu holen. Es wurde schwarz vor meinen Augen. Doch ich hörte aufgeregte Stimmen auf dem Gang vor meiner Wohnung. Es wurde geklopft und aus dem Klopfen wurde ein nervöses Hämmern. Mit letzter Kraft konnte ich die Tür öffnen und fiel dann meinem Gegenüber in die Arme. Von da an weiß ich nichts mehr. Das Nächste, an das ich mich erinnern kann, ist dass ich im Krankenhaus mit verbundenen Armen erwachte.
Die netten Nachbarn. Wollten doch nur mal nachsehen, was los ist. Und haben mir so mal nebenbei das Leben gerettet. Dafür werde ich sie ewig hassen.
Ich war nicht lange im Krankenhaus. Als die mir einen Psychiater schickten, der mich mit Worthülsen bombardierte, rannte ich einfach weg. Nur weg. Jetzt sitze ich wieder hier, am Ort des Geschehens. Wie war das noch? Längs der Verlaufrichtung, mit einem langgezogenen Schnitt? Ich glaube, ich habe noch irgendwo im Badezimmer Rasierklingen. Werde ich jetzt gleich mal nachsehen....

Commentaire 1

  • PaPe01 13/04/2008 21:08

    Vielen Dank für die Anmerkungen. Ich fürchte ich muss etwas klarstellen:
    Dieser Text ist NICHT autobiographisch und ja, es geht mir gut! Und noch weniger soll das ein Scherz sein, sondern eine Auseinandersetzung mit einem "ersten Thema".
    Emotionen / Verzweiflung, so heißt die Kategorie. Das ist es, was die Kombination aus dem Bild und dem Text darstellen soll. Es soll auch nicht meine Einstellung zu was auch immer widerspiegeln.

    Zum Nachenken anregen. Das wäre es vielleicht. Denn es gibt Menschen, die sich so fühlen. Verzweifelt sind. Verzweifelt sind wir vielleicht alle manchmal - in verschiedenen Ausprägungen. Das ist eine extreme Ausprägung davon.
    Die dunklen Seiten des Lebens auszublenden, zu ignorieren, halte ich für nicht richtig. Sich damit auseinandersetzen - auf welche Art auch immer - muss man sich eh.

    Ich hoffe, diese Erklärung lässt noch andere Sichtweisen zu.
    Liebe Grüße, PaPe01