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Hai, Ina! ;))

dir gewidmet - du hast mir da mal sone goldige Geschichte erzählt! ;)


Bertolt Brecht (1898–1956)

Wenn die Haifische Menschen wären (1948)

„Wenn die Haifische Menschen wären”, fragte Herrn K. die kleine
Tochter seiner Wirtin, „wären sie dann netter zu den kleinen Fischen?”
– „Sicher”, sagte er. „Wenn die Haifische Menschen wären,
würden sie im Meer für die kleinen Fische gewaltige Kästen bauen
lassen, mit allerhand Nahrung drin, sowohl 5 Pflanzen als auch Tierzeug.
Sie würden sorgen, dass die Kästen immer frisches Wasser
hätten, und sie würden überhaupt allerhand sanitäre Massnahmen
treffen. Wenn zum Beispiel ein Fischlein sich die Flosse verletzen
würde, dann würde ihm sogleich ein Verband gemacht, damit es den
10 Haifischen nicht wegstürbe vor der Zeit. Damit die Fischlein nicht
trübsinnig würden, gäbe es ab und zu grosse Wasserfeste; denn lustige
Fischlein schmecken besser als trübsinnige. Es gäbe natürlich
auch Schulen in den grossen Kästen. In diesen Schulen würden die
Fischlein lernen, wie man in den Rachen der Haifische schwimmt.
15 Sie würden zum Beispiel Geographie brauchen, damit sie die grossen
Haifische, die faul irgendwo liegen, finden könnten. Die Hauptsache
wäre natürlich die moralische Ausbildung der Fischlein. Sie würden
unterrichtet werden, dass es das Grösste und Schönste sei, wenn ein
Fischlein sich freudig aufopfert, und dass sie alle an die Haifische
20 glauben müssten, vor allem, wenn sie sagten, sie würden für eine
schöne Zukunft sorgen. Man würde den Fischlein beibringen, dass
diese Zukunft nur gesichert sei, wenn sie Gehorsam lernten. Vor allen
niedrigen, materialistischen, egoistischen und marxistischen Neigungen
müssten sich die Fischlein hüten und es sofort den Haifi25
schen melden, wenn eines von ihnen solche Neigungen verriete.
Wenn die Haifische Menschen wären, würden sie natürlich auch untereinander
Kriege führen, um fremde Fischkästen und fremde Fischlein
zu erobern. Die Kriege würden sie von ihren eigenen Fischlein
führen lassen. Sie würden die Fischlein lehren, dass zwischen ihnen
30 und den Fischlein der anderen Haifische ein riesiger Unterschied bestehe.
Die Fischlein, würden sie verkünden, sind bekanntlich stumm,
aber sie schweigen in ganz verschiedenen Sprachen und können einander
daher unmöglich verstehen. Jedem Fischlein, das im Krieg ein
paar andere Fischlein, feindliche, in anderer Sprache schweigende
35 Fischlein tötete, würden sie einen kleinen Orden aus Seetang anheften
und den Titel Held verleihen. Wenn die Haifische Menschen wären,
gäbe es bei ihnen natürlich auch eine Kunst. Es gäbe schöne Bilder,
auf denen die Zähne der Haifische in prächtigen Farben, ihre Rachen
als reine Lustgärten, in denen es sich prächtig tummeln lässt,
40 dargestellt wären. Die Theater auf dem Meeresgrund würden zeigen,
wie heldenmütige Fischlein begeistert in die Haifischrachen schwimmen,
und die Musik wäre so schön, dass die Fischlein unter ihren
Klängen, die Kapelle voran, träumerisch und in allerangenehmste
Gedanken eingelullt, in die Haifischrachen strömten. Auch eine Reli45
gion gäbe es da, wenn die Haifische Menschen wären. Sie würde lehren,
dass die Fischlein erst im Bauch der Haifische richtig zu leben
begännen. Übrigens würde es auch aufhören, wenn die Haifische
Menschen wären, dass alle Fischlein, wie es jetzt ist, gleich sind.
Einige von ihnen würden Ämter bekommen und über die anderen ge50
setzt werden. Die ein wenig grösseren dürften sogar die kleineren
auffressen. Das wäre für die Haifische nur angenehm, da sie dann
selber öfter grössere Brocken zu fressen bekämen. Und die grösseren,
Posten habenden Fischlein würden für die Ordnung unter den
Fischlein sorgen, Lehrer, Offiziere, Ingenieure im Kastenbau usw.
55 werden. Kurz, es gäbe überhaupt erst eine Kultur im Meer, wenn die
Haifischen Menschen wären.”

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