Hermannplatz 12
Der Hermannplatz.
Hier prallen die Bezirke Neukölln und Kreuzberg, unterschiedlichste Kulturen und Formen der Mobilität aufeinander. Es ist kein Platz zum Verweilen, kein Ort zum Flanieren, wer hier her kommt, will meist woanders hin.
Oben duellieren sich Autofahrer, Radler und Fußgänger, unten bieten die U Bahnlinien 7 und 8 Fluchtmöglichkeiten, oder spucken Arbeiter Partyvolk und mutige Touristen aus. Flankiert vom Karstadtgebäude, dessen Türme den Endsiegphantasien der SS im Strassenkampf zum Opfer fielen, wird unter der Woche nebst Obst und Gemüse, allerlei Restpostengeschrammel angeboten. Wer seinen kulinarischen Bedarf mit Grillhähnchen, Tapas, Nudelboxen, einem Super Döner, oder Backfisch nicht gedeckt sieht, verliert sich vielleicht gegenüber in einem schmuddeligen MC Don, oder versorgt sich nebenan mit Donuts einer bekannten Ladenkette. Im Cafe Süß, und auf der Busspur davor, steht morgens die Polizei zur Frühstückpause Schlange um die begehrten Croissants an. Die Tanke nebenan, über die sich der Fußweg bequem, um 20 Meter abkürzen ließ, so lange man nicht den Fehler gemacht hat, sich kurz vorher eine Kippe anzuzünden, ist seit ein paar Jahren geschlossen und verrammelt. Manchmal bietet sie Obdachlosen einen Unterschlupf, bis der Wachdienst sie wieder vertreibt. Der wunderbare „Karneval der Kulturen“ startete früher von hier, und auch zahlreiche Demos nehmen hier ihren Anfang. Einmal im Jahr laufen die Teilnehmer des Berlin Marathons hier an Absperrgittern entlang. Bananen gabs am Kotti, und bald ist die halbe Strecke geschafft. Nicht unweit rekrutierte Turnvater Jahn seine Truppen in der Hasenheide, und wird dafür mit einem, gern immer wieder um interessante Assessoires bereicherten Denkmal beehrt. Neben der „Neuen Welt“ haben sich die Hindus, in jahrelanger Arbeit einen imposanten Tempel gebaut. Unermüdlich kämpfen sich Dezibel starke Krankenwagen durch den Stau, um dem Urban Krankenhaus neue Kunden zu liefern. Die Busfahrer müssen auch erst einmal die Falschparker weghupen, bevor sie ihr neckisches Kaffeepausenschild einschalten können. Nachts ist es hier vergleichsweise leer – die Party startet um die Ecke, in der Weserstrasse. Hier ist nur der Durchlauferhitzer der Stadt, der Verteilerkasten der Hoffnungen, Wünsche, Sehnsüchte, und Nöte.
Seinen Namen hat der Platz vom Hermann, dem Cherusker. Man ahnt, auch hier hätte Varus auch auf verlorenem Posten gestanden. Die Römische Armee war zu diszipliniert, sie wären die Einzigen gewesen, die an den roten Ampeln stehen geblieben wären, und dort hinterrrücks von der Kavallerie der E-Scooter niedergemäht worden.
Als Motivation gegen Uploadmüdigkeit, habe ich mich entschlossen, mich mal auf einen Ort zu konzentrieren, und eine kleine Serie zu starten. Da wird viel banales dabei sein – spektakulär ist hier nix. Mal schauen, wie lange ich das zeitlich schaffe, und ob es mir nicht bald schon wieder langweilig wird. Immerhin ist es auch ein Ansporn, mich nun dort öfter mit der Kamera hin zu bewegen.
Abi Talman 05/08/2023 14:09
Weder Zauberer noch die Vorbeiläufer ahnen, dass es am Hermannplatz mal Rolltreppen zur U-Bahn aus Holz gab.Tolle Serie - ich hoffe, dass mich meine Erinnerung an die Rolltreppen dort nicht täuschen. BVG hilf!
Gruß Abi
Sag mal Micha 29/08/2021 11:17
Gute Serie.Dies gefällt mir am besten, wie sich die Jongleurin mit den Schatten verbindet und sich einer noch vergeblich versucht, dem Bild zu entziehen.
Im übrigen war alles sehr nachvollziehbar (für mich), das Zeitproblem und die Verbindung von Bildern mit Texten oder Musik kenne ich auch, hatte letztes Jahr im November mal so etwas gestartet, jeden Tag ein Bild hochzuladen und fand es am Ende sehr anstrengend. Dachte mir dann, nee das muss nicht sein, dass Dich Deine eigenen Bilder auch noch stressen, also zurück zur Ruhe. Das pulsierende Berlin ist natürlich anders als das beschauliche Lüneburg oder Norderstedt, vielleicht erklärt aber die Zusammenhänge, dass mein Vater Reisebusfahrer und meine Tante als Fotolaborantin tätig war.
Über meine Charakterzüge weiß ich ja nun auch wieder Neues. :-)
Gruß Micha
Lumiguel56 22/08/2021 16:52
Bei solchen artistischen Vorführungen auf Straßen und Überwegen bin ich eher skeptisch. Gibt es denn nicht bessere und schönere Gelegenheiten, sein Können zu zeigen? Lässt sich damit wirklich Geld verdienen? Ist sie nicht einfach zu riskant, die Jonglage während der Grünphase? In Köln habe ich derartiges noch nie gesehen. In Freiburg allerdings schon. Na, in Berlin - wenig überraschend - natürlich sowieso. Also letztlich muss ich sagen: ich finde wenig Gefallen daran. Auch und gerade, wenn ich selber im Auto sitze.Photomann Der 22/08/2021 13:41
ganz schön Balla Balladas andere gefällt mir besser
ShivaK 22/08/2021 13:20
das Leben pur. Schnell mal Grün das Jonglieren zeigen, im Vorbeigehen auch noch gucken, der im Vordergrund übt schon seine Einlage mit den Hüten, und ansonsten eine angenehme Wimmeligkeit. Street vom Feinsten.