Gerhard Körsgen


Premium (World), Köln

"Laß' dich nicht verbiegen !"

Aufnahme 25.5.2015, Bergisch-Gladbach-Refrath, Straßenbahnhaltestelle.

Schon früh war Ludwig aus dem elterlichen Haus in der Röhrenfabrik Schneider in Tuttlingen ausgezogen. Er wollte einfach früh auf eigenen Füßen stehen und niemandem zur Last fallen, so wie viele seiner Röhrenbrüder, die sich nur zu gerne auf dem staubigen Hallenboden räkelten und endlos die ewig gleichen Witze erzählten, während sie ihrer Weiterverarbeitung harrten.
So nahm er die Fortbildung zur Straßenbahnlaterne dankbar an und bald schon winkte ihm die Beförderung zum Einsatz und die Versetzung in's Rheinland, genauer: nach Köln.
Bevor er seine Heimat verließ schärfte ihm sein Vater, der als Stahlträger der Fabrik eine tragende und leitende Funktion hatte noch den Satz für s Leben ein: "Du siehst, mein Sohn, mit Beharrlichkeit und Fleiß kann man es zu etwas bringen, schau' mich an ! Wenn Du nur ein wenig "auf mich kommst" wirst Du auch einen guten Platz im Leben finden. Nur eines beherzige immer, es gilt vor allem dem Stolz deiner Herkunft als Röhre: Laß' dich nicht verbiegen!"

In Köln angekommen wurde Ludwig anfangs wegen seines schwäbischen Akzents ausgelacht, doch bald schon trug man ihm einen leitenden Posten zu: Den der diensthabenden Straßenbahnlaterne an der Haltestelle Refrath, knapp außerhalb der Stadtgrenzen. Zwar hatte sich Ludwig mehr erhofft, doch so kam er immerhin sofort zu einer Anstellung, er konnte sich ja immer noch weiter hocharbeiten, dachte er.
In Refrath, der bergischen Provinz sozusagen, hatte er jedoch von Anfang an einen schweren Stand. Die umliegenden Bäume verhöhnten und verspotteten ihn wegen seiner geradlinigen Art, auf die er doch gerade so stolz war.
Anfangs ertrug er die Hänseleien noch gelassen, doch im Laufe der Jahre dämmerte ihm, dass es mit einer Versetzung nichts werden würde - er hatte sich mit seiner schwäbischen Korrektheit und Diensbeflissenheit einfach unentbehrlich gemacht und niemand dachte daran ihn noch zu versetzen oder zu befördern - er mußte sich wohl oder übel mit der Situation arrangieren.
Nachts, wenn er im gelb-orangen Licht seiner selbst Zeit hatte nachzudenken, sinnierte er über Mittel und Wege seiner Isolation zu entkommen. Im Grunde waren die drei Bäume in seiner Nähe eigentlich ganz ok, sie hatten nur eben nie etwas anderes gesehen als sich selbst und da war er mit seiner glatten, knallroten, im Vergleich zu ihnen extrem makellosen Oberfläche natürlich ein "Dandy".
Wieder musste er an seinen Vater denken und den goldenen Lehrsatz: "Laß' dich nicht verbiegen !"
Mittlerweile war Vater längst tot, die Fabrik abgerissen, er allein in der Diaspora...es galt neue Wege zu gehen.

Langsam und unmerklich, aber stetig, begann Ludwig in Gedanken Limbo zu tanzen. Es war mühselig, aber er bemerkte die wachsende Akzeptanz seiner bäumischen Umgebung und begann sich mehr und mehr wohl zu fühlen.

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Exif

APN FinePix J27 J28 J29
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Ouverture 2.9
Temps de pose 1/250
Focale 5.7 mm
ISO 100

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