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Jörg Ramm-Schneider


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Legenden

Es gibt da eine Geschichte, die sich die Niedersachsen gerne erzählen: Früher, so heißt es, haben die Bewohner dieses Landstrichs Pferde geopfert und die Köpfe auf Pflöcken vor ihre Häuser gestellt. Damit hielten sie das Böse fern, ein Abwehrzauber. Und deshalb haben alte Bauernhäuser in Niedersachsen bis heute den Kopf des Wappentiers ihres Landes auf dem Dachfirst, mittlerweile allerdings aus Holz geschnitzt.

Im 19. Jahrhundert machten Heimatforscher eine Umfrage bei der Landbevölkerung – ohne Erfolg. Die Herkunft des Pferdesymbols blieb ungeklärt, trotzdem erlebte es eine Renaissance in der Heimatbewegung, und mit ihm die Legenden. Davon gibt es auch ein paar weniger blutrünstige: Die Blickrichtung der Pferdegesichter zeige an, ob der im Haus residierende Bauer verheiratet ist oder nicht; ob er frei ist oder unfrei. Wobei sich Letzteres auf die mittelalterliche Leibeigenschaft, nicht auf die Ehe bezieht. Außerdem wende das Pferdeemblem Unglück, Krankheit, Blitzschlag und Raubüberfälle ab.

Im Museumsdorf Cloppenburg reagieren sie mittlerweile fast ein wenig gereizt auf die Geschichten um die Pferdeköpfe: „Alles Unfug“, sagt der stellvertretende Direktor Hermann Kaiser, bizarr-romantische „Neo-Mythen mit übler Vergangenheit“. Denn: Die Legenden wurden von den Nationalsozialisten verbreitet, um eine anhaltende Tradition des Germanentums glauben zu machen. Allein bautechnisch, sagt Kaiser, habe der Giebelschmuck eine erwiesene Bedeutung: Die Verlängerung des Giebels durch den Pferdekopf diene als Windschutz an dieser empfindlichen Stelle des Reetdachs. Außerdem umrahme das Giebeldreieck das Uhlenlock, das Eulenloch. Durch den ursprünglich als Rauchabzug gedachten Durchschlupf kann die Schleiereule in den Dachboden gelangen. Den hält sie von Mäusen frei.

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