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Das »Gedenkjahr 2009« neigt sich dem Ende zu. Ein neues Jahr zieht herauf, stimmt hoffnungs- und erwartungsvoll. Doch wie wird es genannt werden? »Großes Gedenkjahr 2010«? »Anschlußjahr«? »Wiedervereinigungsgedenkjahr«? »Einheits- und Freiheitsjubiläumsjahr«? Oder »Einigungsvertragserinnerungsjahr«? Das holpert. Kürzer wäre besser, zum Beispiel »Einheitsdankjahr«. Das klingt vielleicht ein wenig nach Erntedankfest, aber daran muß sich niemand stören, denn mit der Ernte nach 20 Jahren Einheit hat es durchaus zu tun, und mit Dank erst recht. Schließlich mangelt es den Ostdeutschen bekanntlich an Dankbarkeit, obwohl sie, so wird es aller Orten zu hören und zu lesen sein, einen guten Tausch gemacht haben: den unvollkommenen Sozialismus gegen den vollkommenen Kapitalismus.
Allerdings: Tauschen und Täuschen sind nahe Verwandte.
Getauscht haben die ehemaligen DDR-Bürger die angebliche Diktatur des Proletariats und die führend Rolle der Partei gegen die parlamentarische Demokratie, eingeschränkte Bürgerrechte gegen Meinungs-, Versammlungs- und Vereinsfreiheit, die Mark der DDR gegen eine konvertible Währung, wiederkehrende Versorgungsengpässe gegen ein überreiches Warenangebot, strikte Reisebeschränkungen in die BRD und ins gesamte westliche Ausland gegen Reisemöglichkeiten in aller Herren Länder (so der Geldbeutel es zuläßt), langes Warten auf Telefonanschluß und Auto gegen Telekommunikationsverbindungen und Kraftfahrzeuge im Überfluß, verlotterte Stadtviertel gegen renovierte Stadtzentren und Altstädte. Dieser Wandel ist erfreulich. Er läßt die Bundesrepublik im hellen Licht erstrahlen, wenn, ja wenn die BRDigung der DDR nicht auch zu anderen Veränderungen geführt hätte.
Eigentum verpflichtet, Volkseigentum noch viel mehr. Von dieser Last hat der Kapitalismus das Ostvolk, um dessen Eigentümerbewußtsein es freilich nicht zum Besten stand, befreit, wofür es verständlicherweise auch keine Entschädigung beanspruchen konnte. Die Werktätigen, wie einst die Lohn- und Gehaltsempfänger genannt wurden, müssen ihre Arbeitskraft nicht mehr im Betrieb abgeben, sie haben sich, so sie einen Arbeitsplatz haben, oh Wunder! in »Arbeitnehmer« verwandelt. »Arbeitgeber« sind die geworden, die die Arbeit der anderen und den von diesen geschaffenen Mehrwert nehmen. Geben ist bekanntlich seliger denn Nehmen.
Ein anderer fundamentaler Wandel beglückt vor allem die Ostbürger im wehrfähigen Alter. Sie müssen sich nicht mehr allein bei öden Kriegsübungen in heimatlichen Gefilden abschinden, sondern können fern der Heimat aufregende Kriegsabenteuer erleben. Solch Soldatenglück war nicht einmal in Aussicht gestellt worden. Im Jahr der deutschen Wiedervermählung verkündete die Bundesregierung wiederholt und feierlich, »daß vom deutschen Boden nur Frieden ausgehen wird«, was sie mit ihrer Unterschrift unter den Zwei-plus-Vier-Vertrag wortwörtlich bekräftigte. Auch in die überaus kurze Präambel des Einigungsvertrages wurde das Wort »Frieden« fünfmal aufgenommen. Nur zehn Jahre später starteten in Oberbayern und Schleswig-Holstein, die unstreitig auf deutschem Boden liegen, Tornados der Bundesluftwaffe zum Aggressionskrieg gegen Jugoslawien. Mittlerweile kämpfen unsere Jungs bereits am Hindukusch. Das hatten sich die ehemaligen Bürger der DDR, des einzigen deutschen Staates, der nie einen Krieg führte, nicht träumen lassen.
Auch auf anderen Gebieten kam es zu geringfügigen, für manche Ostdeutschen unerwarteten Veränderungen. Ausgetauscht wurden ein entwickeltes Industrieland gegen ein Entwicklungsgebiet innerhalb der EG/EU; Vollbeschäftigung und soziale Sicherheit gegen Massenarbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Suppenküchen; gleicher Lohn für gleiche Arbeit gegen Niedriglöhne aller Art; weitgehende soziale Gleichheit gegen eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich; niedrige Tarife für Strom, Wasser, Heizung und Grundstückspachten gegen Tariferhöhungen in allen Bereichen; hohe persönliche Sicherheit gegen eine sechsmal höhere Kriminalitätsrate; die Bonner Sorge um die deutschen Brüder und Schwestern gegen die Diskriminierung als Bürger zweiter Klasse; kostenlose Gesundheitsleistungen gegen eine kommerzialisierte Zweiklassenmedizin; ein einheitliches, international geschätztes Bildungswesen gegen 16 antiquierte Bildungssysteme mit sozialer Auslese; parteigelenkte Massenkommunikationsmittel gegen kapital- und systemtreue Medien; »verordneten« Antifaschismus gegen geordneten Neonazismus; MfS-Akten gegen Personendossiers des Verfassungsschutzes; der Palast der Republik gegen ein (geplantes) Hohenzollern-Schloß. Die Aufzählung der Tauschobjekte ist unvollständig, aber auch so kann sie das Herz erfreuen.
Nun also wird im kommenden Jubiläumsjahr, gleich wie es auch genannt werden wird, der Errungenschaften der im Einigungsvertrag verkündeten »Einheit in Frieden und Freiheit« wieder und wieder gedacht werden. Zum Höhepunkt, am 3. Oktober, dem 20. Jahrestag der »Wiedervereinigung«, werden der Bundespräsident und andere Staatsgrößen Bilanz ziehen. Ganz gewiß werden wir dann die Gewinne und Verluste der Ostdeutschen, der dann immer noch neuen Bundesbürger, ausgewogen aufgelistet finden. Beeindruckend. Besten Dank im voraus!
Die Meinung was du die so schön geschrieben hast,
finde ich verdammt richtig und wichtig.. Leider die Wahrheit
und Chance nicht gesehen benutzt worden.
Schlimmer ist, dass es die Absicht war nicht zu sehen.
LG Cahid
Ohne Osten kein Westen
Vom Verlierer nicht lernen heißt verlieren lernen
Warum konnte der Sieger nach dem Mauerfall mit seinem Sieg nichts anfangen? Der Abstieg des Westens begann vielmehr just im Moment seines größten Triumphes. Für die simple Einsicht, dass der Markt es nicht richtet, hat er zu lange gebraucht. Womöglich fehlte ihm das Korrektiv sozialistischer Ideen? Und die beiden Systeme waren nicht autonom, sondern hingen an einer Nabelschnur. Es gibt ein positives Erbe der DDR und der alten Bundesrepublik. Beides ist schon beinahe verspielt.
Und deshalb lautet der überraschende Befund: Mehr noch als der Osten ist der Westen zum Verlierer der Einheit geworden. Ohne Systemkonkurrenz hat er seinen Halt verloren. Werte und Ziele wie Wohlstand für alle, mehr bürgerliche Freiheiten , soziales Wirtschaften und eine intellektuelle Kultur, die auf Meinungsvielfalt setzt – sie schwinden dahin.
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Ralfmitf 13/01/2013 18:39
Und sie wussten nicht was sie schrieben!Stephanie v. Lichtenstein 12/02/2010 21:08
Dem ist nichts hinzu zu fügen.stephanie
Venceremos 02/02/2010 12:16
Das EinheitsdankjahrRalph Hartmann
Erschienen in Ossietzky 25/2009
Das »Gedenkjahr 2009« neigt sich dem Ende zu. Ein neues Jahr zieht herauf, stimmt hoffnungs- und erwartungsvoll. Doch wie wird es genannt werden? »Großes Gedenkjahr 2010«? »Anschlußjahr«? »Wiedervereinigungsgedenkjahr«? »Einheits- und Freiheitsjubiläumsjahr«? Oder »Einigungsvertragserinnerungsjahr«? Das holpert. Kürzer wäre besser, zum Beispiel »Einheitsdankjahr«. Das klingt vielleicht ein wenig nach Erntedankfest, aber daran muß sich niemand stören, denn mit der Ernte nach 20 Jahren Einheit hat es durchaus zu tun, und mit Dank erst recht. Schließlich mangelt es den Ostdeutschen bekanntlich an Dankbarkeit, obwohl sie, so wird es aller Orten zu hören und zu lesen sein, einen guten Tausch gemacht haben: den unvollkommenen Sozialismus gegen den vollkommenen Kapitalismus.
Allerdings: Tauschen und Täuschen sind nahe Verwandte.
Getauscht haben die ehemaligen DDR-Bürger die angebliche Diktatur des Proletariats und die führend Rolle der Partei gegen die parlamentarische Demokratie, eingeschränkte Bürgerrechte gegen Meinungs-, Versammlungs- und Vereinsfreiheit, die Mark der DDR gegen eine konvertible Währung, wiederkehrende Versorgungsengpässe gegen ein überreiches Warenangebot, strikte Reisebeschränkungen in die BRD und ins gesamte westliche Ausland gegen Reisemöglichkeiten in aller Herren Länder (so der Geldbeutel es zuläßt), langes Warten auf Telefonanschluß und Auto gegen Telekommunikationsverbindungen und Kraftfahrzeuge im Überfluß, verlotterte Stadtviertel gegen renovierte Stadtzentren und Altstädte. Dieser Wandel ist erfreulich. Er läßt die Bundesrepublik im hellen Licht erstrahlen, wenn, ja wenn die BRDigung der DDR nicht auch zu anderen Veränderungen geführt hätte.
Eigentum verpflichtet, Volkseigentum noch viel mehr. Von dieser Last hat der Kapitalismus das Ostvolk, um dessen Eigentümerbewußtsein es freilich nicht zum Besten stand, befreit, wofür es verständlicherweise auch keine Entschädigung beanspruchen konnte. Die Werktätigen, wie einst die Lohn- und Gehaltsempfänger genannt wurden, müssen ihre Arbeitskraft nicht mehr im Betrieb abgeben, sie haben sich, so sie einen Arbeitsplatz haben, oh Wunder! in »Arbeitnehmer« verwandelt. »Arbeitgeber« sind die geworden, die die Arbeit der anderen und den von diesen geschaffenen Mehrwert nehmen. Geben ist bekanntlich seliger denn Nehmen.
Ein anderer fundamentaler Wandel beglückt vor allem die Ostbürger im wehrfähigen Alter. Sie müssen sich nicht mehr allein bei öden Kriegsübungen in heimatlichen Gefilden abschinden, sondern können fern der Heimat aufregende Kriegsabenteuer erleben. Solch Soldatenglück war nicht einmal in Aussicht gestellt worden. Im Jahr der deutschen Wiedervermählung verkündete die Bundesregierung wiederholt und feierlich, »daß vom deutschen Boden nur Frieden ausgehen wird«, was sie mit ihrer Unterschrift unter den Zwei-plus-Vier-Vertrag wortwörtlich bekräftigte. Auch in die überaus kurze Präambel des Einigungsvertrages wurde das Wort »Frieden« fünfmal aufgenommen. Nur zehn Jahre später starteten in Oberbayern und Schleswig-Holstein, die unstreitig auf deutschem Boden liegen, Tornados der Bundesluftwaffe zum Aggressionskrieg gegen Jugoslawien. Mittlerweile kämpfen unsere Jungs bereits am Hindukusch. Das hatten sich die ehemaligen Bürger der DDR, des einzigen deutschen Staates, der nie einen Krieg führte, nicht träumen lassen.
Auch auf anderen Gebieten kam es zu geringfügigen, für manche Ostdeutschen unerwarteten Veränderungen. Ausgetauscht wurden ein entwickeltes Industrieland gegen ein Entwicklungsgebiet innerhalb der EG/EU; Vollbeschäftigung und soziale Sicherheit gegen Massenarbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Suppenküchen; gleicher Lohn für gleiche Arbeit gegen Niedriglöhne aller Art; weitgehende soziale Gleichheit gegen eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich; niedrige Tarife für Strom, Wasser, Heizung und Grundstückspachten gegen Tariferhöhungen in allen Bereichen; hohe persönliche Sicherheit gegen eine sechsmal höhere Kriminalitätsrate; die Bonner Sorge um die deutschen Brüder und Schwestern gegen die Diskriminierung als Bürger zweiter Klasse; kostenlose Gesundheitsleistungen gegen eine kommerzialisierte Zweiklassenmedizin; ein einheitliches, international geschätztes Bildungswesen gegen 16 antiquierte Bildungssysteme mit sozialer Auslese; parteigelenkte Massenkommunikationsmittel gegen kapital- und systemtreue Medien; »verordneten« Antifaschismus gegen geordneten Neonazismus; MfS-Akten gegen Personendossiers des Verfassungsschutzes; der Palast der Republik gegen ein (geplantes) Hohenzollern-Schloß. Die Aufzählung der Tauschobjekte ist unvollständig, aber auch so kann sie das Herz erfreuen.
Nun also wird im kommenden Jubiläumsjahr, gleich wie es auch genannt werden wird, der Errungenschaften der im Einigungsvertrag verkündeten »Einheit in Frieden und Freiheit« wieder und wieder gedacht werden. Zum Höhepunkt, am 3. Oktober, dem 20. Jahrestag der »Wiedervereinigung«, werden der Bundespräsident und andere Staatsgrößen Bilanz ziehen. Ganz gewiß werden wir dann die Gewinne und Verluste der Ostdeutschen, der dann immer noch neuen Bundesbürger, ausgewogen aufgelistet finden. Beeindruckend. Besten Dank im voraus!
BluesTime 10/12/2009 18:51
lg
Cahid Aylar 04/12/2009 17:05
Die Meinung was du die so schön geschrieben hast,finde ich verdammt richtig und wichtig.. Leider die Wahrheit
und Chance nicht gesehen benutzt worden.
Schlimmer ist, dass es die Absicht war nicht zu sehen.
LG Cahid
Venceremos 08/10/2009 6:15
Ohne Osten kein WestenVom Verlierer nicht lernen heißt verlieren lernen
Warum konnte der Sieger nach dem Mauerfall mit seinem Sieg nichts anfangen? Der Abstieg des Westens begann vielmehr just im Moment seines größten Triumphes. Für die simple Einsicht, dass der Markt es nicht richtet, hat er zu lange gebraucht. Womöglich fehlte ihm das Korrektiv sozialistischer Ideen? Und die beiden Systeme waren nicht autonom, sondern hingen an einer Nabelschnur. Es gibt ein positives Erbe der DDR und der alten Bundesrepublik. Beides ist schon beinahe verspielt.
Und deshalb lautet der überraschende Befund: Mehr noch als der Osten ist der Westen zum Verlierer der Einheit geworden. Ohne Systemkonkurrenz hat er seinen Halt verloren. Werte und Ziele wie Wohlstand für alle, mehr bürgerliche Freiheiten , soziales Wirtschaften und eine intellektuelle Kultur, die auf Meinungsvielfalt setzt – sie schwinden dahin.
Daniela Dahn