Matthias von Schramm


Premium (World), Hamburg

50 Jahre und ein Ende 1

Foto 1988 - selbst beim Zivildienst



50 Jahre und ein Ende 1


Jetzt sind sie abgeschafft, die Zivis. Das Wort „Zivi“ hatte so einen schlüssigen Klang, der immer nach Erbsensuppe und „Essen auf Rädern“ duftete. Junge im Saft stehende Männer mit Gitarrenunterrichtserfahrungen und Milchgesichtern. Stets in der Wäschekammer der Altentagesstätte, Gras inhalieren und auf den Fluren des Sozialamtes Wildhonig verkaufen.

Mein Bruder hatte in den 70ern gedient. Oberleutnant, Landvermesser und Physiker. VW Käfer Fahrer mit Beton im Fundament, damit er zusammenhält, später Minigolf, dann Tennis in der Mittagspause, heute Audi Quattro als Geschäftsfahrzeug.

Frühstücksfernsehen beim Bruder zuhause. Dann nimmt er mich im Auto mit zum Kreiswehrersatzamt nach Itzehoe.
„Ab heute gilt Anschnallpflicht in Deutschland!“, sagt er. Hinter jeder Brücke wird der Kleinwagen von einer Böe erfasst und treibt rechts ab, was mir suspekt vorkommt. Dabei sind alle Dienenden in meiner Familie immer alte Sozis gewesen, immerhin.

In Itzehoe melde ich mich an. K wie Krüger oder Kamerad Arsch. Da treffe ich die alten Kollegen wieder aus dem Schulzentrum Egenbüttel. Keiner außer mir hat einen Antrag auf „Kriegsdienstverweigerung“ gestellt. Lauthals wird mir gesagt, ich solle mich am Tisch melden.

„Hahaha, jetzt kommen die Haare ab!“

Da sitzt sie, meine Feindin. Uniform, Krawatte, unreines Gesicht und reines hochdeutsch. Daneben ein Mädchen in meinem Alter mit Ringellöckchen, Engelsgesicht und Haaren bis zum Bauchnabel. Sie lächelt scheu, aber bewusst und sieht mich ganz lieb an.

„Unsere Praktikantin!“, grunzt die Feindin.
„Find ich gut, dass du verweigerst!“, Die Praktikantin lächelt. Auf ihrem Namensschild über ihrer Blümchenbluse lese ich ihren Vornamen „Sonja“. Wie schön, die Sonne, in dieser kargen und grauen Umgebung.
„Noch beantragt er erst!“, raunzt die Feindin.

Der Amtsarzt greift beherzt in den Schritt.
„Sie wollen also verweigern!“
„Jawoll!“
„Wohl Angst vor Hinterladern, wie?“
„Ich mach eine Erzieherausbildung und da ...!“
„Soso, Kindergärtner, wie niedlich!“

Treffe Frank in der Umkleide. Wir waren in der Siebten zusammen. Fette Tätowierung auf dem Arm und T2, aber geiler Body. Ich fahr mit der Hand über seine blanke Brust.

„Du bist ein schöner Mensch!“
„Verpiss dich du Hippie.“
„Ich hab dich auch gern!“
„Und bei dir?“
„Auch T2, wie alle.“

Thomas kann mich im Auto mitnehmen bis Pinneberg. Ich will aber auf mich alleine gestellt sein, als einziger potenzieller „Friedensaktivist.“ Sonja hat nämlich grade Schluss.

„Mein Freund hat sich für den Bund entschieden. Das find ich so scheiße.“
„Mach doch Schluss mit ihm wegen mir.“
„Mal sehen!“

Telefonnummern austauschen und am Bahnhof ein bisschen knutschen.

...

16. Dezember 2010

fortsetzung folgt

Commentaire 19

  • The Great Potoo 12/07/2014 16:39

    Ich musste beim lesen viel grinsen. Einiges kam mir bekannt vor - auch ohne Sonja.

    PS. Ich war 1979 aber gerade kein Hippie mehr, tendierte eher zum Punk und hatte neben mir viele Popper bei der Musterung herumsitzen.
    Die meinten ich würde stinken, was an diesem Ehrentag auch stimmte.
  • Jutta Schär 19/12/2010 12:19

    da werden doch erinnerungen wach,
    als freunde ausgemustert wurden,
    weil sie nicht verweigerten....
    lg jutta
  • Falk Frassa 19/12/2010 0:04

    *laaach*

    Ich liebe solche Rückblicke... grad erst hab ich Frank Goosen´s "liegen lernen" zugeschlagen und dann bekomme ich gleich wieder eine solche Geschichte geboten.

    Viele Grüße und besten Dank! ;)

    Falk
  • Sag mal Micha 17/12/2010 17:48

    Dieser Kelch ist zum Glück an mir vorüber gegangen.
    Erst wollte ich nach der Schule zum Bund, da wollten sie mich nicht. Dann wollten sie plötzlich doch, ich aber nicht mehr. Nach Zurückstellung hab' ich nie wieder was gehört. Na gut, diene auf andere Weise...
  • Karl Peisker 17/12/2010 9:30

    Klingt wie ein Ausschnitt aus "Neue Fahr", dem völlig überbewerteten "Kult-Roman".
    (Is jetz keine Kritik, gg Deine Geschichte. Ich will die Forts. auch.)

    Ich bin damals zum Psychologen gegangen, nachdem die Hackfressen und Altnazis auf dem KWE in der ersten Runde des Verweigerungsprozesses meinten, ich sollte mal zum Psychiater gehen. (Ich hatte ethische und spirituelle Gründe angeführt.)
    Der nette Psychiater fragte mich dann, nach einer Stunde plaudern über mein Leben: "Und was soll ich da nun hinschreiben?"
    Einige Leute meinten später zu mir, nach einem psychologischen Gutachten könne ich später nicht mehr in den "Staatsdienst".
    Was blieb mir übrig, als sie nur breit anzugrinsen?
  • elvisfirewolf 17/12/2010 2:00

    ich muss nächstes mal unbedingt
    einen blick auf deine ohren werfen.
  • Frau Schu 16/12/2010 21:05

    Klasse!!!!
    Selten so gelacht. Als BJ. 67 kommt mir das bekannt vor, wenn auch nur aus anderen Erzählungen, bin halt weiblich.
    Schön, voll die Milieustudie. Die Zivis waren mir immer etwas suspekt, immer so "betroffen"...
    Mein Ex hat Ersatzdienst beim Katastrophenschutz gemacht. Das war so ein Mittelding- nicht so straff aber auch nicht Kamerad Kacke im Altenheim.

    LG
  • Redpicture 16/12/2010 19:40

    wie fuffe.

    einfach brilliant.
  • Thorsten Strasas 16/12/2010 16:41

    So sind sie, die Zivis. Immer wie aus dem Ei gepellt im schicken Jacket. :-)

    Wurde Zeit, dass der Spuk vorbei ist.

    Tirgendwas, sonjalos und keinendienstgeleistet.
  • ...AndreasB... 16/12/2010 16:39

    zivildienst?! gab's zu meiner zeit in der ddr noch nicht! nachdem die mich aber in der grundausbildung so richtig kennengelernt haben durfte ich meine zeit abwechselnd in der schreibstube oder im arrestlokal absitzen.
  • Der Grüne Hund 16/12/2010 16:15

    Ach, ja, die Bundeswehr. War ich auch mal, aber nur kurz, dann hatte ich so richtige verhandlung und gedöns und dann 2 Jahre Pflegestation im Altersheim, hat mir 20 mal mehr gebracht als das Helmtragen und Löcher graben.

    Ne Sonja gab´s bei mir allerdings nicht :-(

    Wobei - da fällt mir ein- gab´s doch, aber erst später. Möchte mal wissen, was aus der geworden ist.
  • Sigrid nordlicht in der pfalz 16/12/2010 15:56

    ich mußte nach der geschichte nochmal hochscrollen: hatte das foto inzwischen vergessen. paßt. und die geschichte : GUT! richtig gut!