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A Whiter Shade Of Pale

https://www.youtube.com/watch?v=VHgLeA5AEys

Wenn Musik die Nahrung der Liebe ist,
dann ist Lachen ihre Königin.
Gary Brooker (* 29. Mai 1945 in Hackney, London; † 19. Februar 2022)

Verstanden hat es keiner, obwohl Gary Brooker sehr viel deutlicher artikulierte als, sagen wir mal, Bob Dylan. Die Szene spielt offenbar in einer Bar, aber dem Sänger wird schwindlig. Er bestellt mehr, der Boden dreht sich, die Decke fliegt weg, geisterhaft erscheint eine Frau, gefolgt von sechzehn vestalischen Jungfrauen, und dann wird sie sogar noch einen Hauch leichenblasser, bis alles davontreibt, auf die See hinaus oder in das Wunderland von Alice, was aber nur in einem Lied möglich ist, das "A Whiter Shade of Pale" heißt und alles enthält, was Pop zum drei- bis höchstens vierminütigen Rausch macht, von einem gnädigen Himmel gesandt zur Rettung der Menschheit, hammondgeorgelt von Matthew Fisher, aber unendlich, unendlich, unendlich traurig gesungen, erlitten, fantasiert von Gary Brooker.

Niemand musste kiffen, dieses Lied war schon der wildeste Trip, den sich jemand ausdenken kann. Es enthält die ganze mürbe Melancholie, zu der Popmusik und nur sie werden kann. Wahrscheinlich gibt es nur von "La Paloma" noch mehr Cover-Versionen, und zur Wahrheit gehört auch, dass bei "A Whiter Shade of Pale" der wehe Gesang mitverantwortlich dafür sein dürfte, wenn heute in jeder Kirche Gregorianische Choräle vom Band kommen.

Einem Dichter gelingen vielleicht fünf gute Gedichte im Leben, Gary Brooker hat mit seiner Stimme zehn davon in diesen einen Song gepackt. Wo sonst wird einem so angst und froh zugleich, wenn er von seiner bleichen Dame ohne Mitleid singt, dass Vernunft nicht existiere und die Wahrheit doch offen zutage liege?

Es war eine Band mit dem anspruchsvollen Namen Procol Harum, die damit im Juni 1967 herauskam, im Sergeant-Pepper-Monat, und sogar die Beatles vom ersten Platz in den Hitparaden verdrängen konnte. Das kleine Latinum reicht nicht aus für das, was sie, allerdings mit dem falschen Casus, damit sagen wollten, doch offenbar sollte es "Fern von diesen" (den Frauen) bedeuten. Im Lied sind es gleich sechzehn.
Niemand musste sich bei diesem Song unter Niveau ergriffen fühlen: Für manche Interpreten war die Bilderflut dieses Lieds reine Literatur und von dem englischen Dichter Geoffrey Chaucer beeinflusst, die Air auf der G-Saite von Johann Sebastian Bach spielte hinein, und dazu passt die Legende, dass 1967, als der Sommer der Liebe in Deutschland bereits in Gewalt umschlug, auf der abgelegenen Insel Sylt auch Reinhard Baumgart, Martin Walser und Ulrike Meinhof den Fandango ausließen und sich zu "A Whiter Shade of Pale" wanden.

Brooker tat sich 1977 nach der Auflösung von Procol Harum mit Eric Clapton zusammen. Er hatte schon bei George Harrison mitgespielt, er ging mit den Liebhaber-Bands auf Tournee, die Bill Wyman und Ringo Starr organisierten, aber wenn er allein war, musste er dieses eine Lied singen, das das Lied einer für wenige Minuten von allem Unglück erlösten Menschheit geworden war.

Wenn Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter, hat nicht Gary Brooker geschrieben, sondern der andere Barde, William Shakespeare. Am vergangenen Samstag ist sein kleiner Bruder im Alter von 76 Jahren in London gestorben.

Von Willi Winkler

https://www.sueddeutsche.de/kultur/gary-brooker-a-whiter-shade-of-pale-1.5534699

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