Abrisskandidat oder „klügster Kopf Europas"?
Ja, er ist in die Jahre gekommen, unser alter Stuttgarter Kopfbahnhof – genau 80 Jahre dieses Jahr. Und er ist auch einigermaßen heruntergekommen, zumindest auf der hier ausgestellten Bahnsteigseite, weil die Bahn seit bald zwei Jahrzehnten keinen Cent mehr zu dessen Instandhaltung aufgewendet hat. Aber ihn deswegen gleich ganz aufgeben und durch einen mindestens 8 Milliarden Euro teuren unterirdischen U-Bahnhof ersetzen zu wollen, darauf können wohl nur Leute kommen, die fremder Leute (Steuer-)Geld ausgeben dürfen oder/und Aktien bei den Tunnelbohr- und Stahlbetonbaufirmen halten.
Der vorgesehene unterirdische Durchgangsbahnhof „Stuttgart 21“ soll quer zur bestehenden Gleisachse längs des bestehenden Bahnhofshauptbaus ausgehoben werden und zukünftig nur noch 8 statt der bestehenden 16 Gleise bieten. Und das zu Zeiten des galoppierenden Klimawandels, da für jeden vorausschauenden Normalbürger absehbar ist, dass in naher Zukunft weit mehr Verkehrsteilnehmer von der Straße auf die Schiene wechseln müssen - und wegen der rapide zu Ende gehenden Billigölvorräte wohl auch wechseln wollen! Eine nachträgliche Erweiterung aufgrund wachsender Nachfrage auf 10, 12 oder gar wieder 16 Gleise wird nicht möglich sein, da der Kellerbahnhof beidseits eingekeilt sein wird von dem stehenbleibenden historischen Hauptbau einerseits und den Gebäuden einer auf den frei werdenden Gleisflächen neu vorgesehenen City.
Dass mit deren Errichtung freilich frühestens in 15 Jahren begonnen werden kann, wenn der Kellerbahnhof in Betrieb gehen soll und der gesamtdeutsche demographische Knick die Wohnungs- und Büroflächen-Nachfrage bis dahin wegbrechen lassen wird, wird von den S21-Befürwortern geflissentlich unterschlagen...
Was könnte man stattdessen für einen Bruchteil des vorgesehenen Geldes alles Tolles bekommen - und das auch viel früher nutzbar -, wenn man das Geburtstagskind nicht mit dem Bade ausschütten, sondern klug modernisieren würde!?!
Das Aktionsbündnis gegen „Stuttgart 21“ und pro „Kopfbahnhof 21“ hat dazu eine Computer-Bildsimulation erstellen lassen, die unter
http://www.kopfbahnhof-21.de/index.php?id=126
online zu besichtigen ist.
Würde man lediglich die bestehenden hässlichen düsteren Bahnsteigdächer abreissen - wogegen sich auch kein Denkmalschützer wehren würde, sind sie doch kein Original-Bonatz*, sondern eine „Notgeburt“ der von schweren Bombenschäden gezeichneten Stuttgarter Nachkriegszeit -, ließe sich z.B. ein attraktives taghelles filigranes Glasgewölbe über die 16 Gleise spannen. Damit wären die auf Dauer hohen Folgekosten des geplanten S21-U-Bahnhofs für Rolltreppen, Aufzüge und die auch untertags notwendige elektrische Beleuchtung ebenso obsolet wie die sicht- und wegbehindernden Stützen auf den drangvoll überfüllten, weil nur noch halb so vielen Personenbahnsteigen in dem von Christoph Ingenhoven gestalteten Flaschenhals-Bahnhof.
Mehr Kritisches zu „Stuttgart 21“ findet sich unter diesem Bild
sowie in Breite und Tiefe auf der oben genannten Bündnis-Homepage.
Nur kurz zur Erklärung des Bildtitels noch:
Das Projekt „Stuttgart 21“ firmiert seit kurzem unter dem peinlichen Slogan „Das neue Herz Europas“, der hiesigenorts von jedem, der um die Halbierung der Gleis- und Bahnsteige-Anzahl weiß, als
„Der neue Herzinfarkt Europas“ gelesen wird.
Wie klug und zukunftstüchtig dagegen der Stuttgarter Kopfbahnhof bereits zu seiner Entstehenszeit vor 80 Jahren angelegt wurde, zeigt ein gut lesbarer und für alle Eisenbahnfreunde höchst empfehlenswerter Aufsatz von Sascha Behnsen, der als PDF-Datei hier heruntergeladen werden kann:
http://www.srl.de/dateien/dokumente/de/die_zukunft_war_gestern._neue_ansaetze_und_uuml_berlegungen_in_der_jahrzehnte_dauernden_debatte_um_das_projekt_stuttgart_21_und_die_neubaustrecke_wendlingen_-_ulm.pdf
(zum Thema insbesondere ab Seite 8 ff)
Zu dieser ingeniös angelegten reservenstarken Bahnhofs- und Gleis-Infrastruktur gesellt sich nun endlich auch die würdige zeitgemäße „Verpackung“, die zu einem Bruchteil des Geldes sowie in einem Bruchteil der veranschlagten Bauzeit von S21 zu haben wäre. Wie heisst es auf einer Protestpostkarte des Bündnisses zum Beibehalt des Stuttgarter Hauptbahnhofs doch ebenso kurz wie bündig:
„Kopfbahnhof 21 - Mehr Bahnhof für weniger Geld!“
Dafür stehen hier manche engagierten Menschen sogar Kopf:
Und wieder Andere sind ganz Aug' und Ohr:
*) Die Erbauer des Stuttgarter Kopfbahnhofs waren Paul Bonatz und Friedrich Scholer.
Manfred Gorus 16/11/2008 21:19
... man kann sich nicht "sattsehen" an Deinem Foto.
Immer findet man wieder neue Details... ;-)
morgen werd ich wieder hier ankommen
Manfred
Andreas Berdan 02/08/2008 0:32
gggggggggggeil!!!!!!Ein tolles Bild. Das Gleisvorfeld ist ein Hammer!
Schön festgehalten!
LG, Andreas
Jürgen M. Steinmetz 21/07/2008 2:18
Ein eindrucksvolles Foto. Der Informations-Text legt in vielen Einzelheiten bloß, was sich kranke Hirne in den Amtsstuben so ausdenken. Leider kann sich "Wir sind das Volk" bei solchen Problemen nicht durchsetzen. Warum eigentlich nicht?LG Jürgen
hypnotisiris 22/06/2008 10:24
@ Sandhöfer:Das Bild wurde vom Dach eines der 3 Hochhäuser geschossen, die man auf der Auswärtsblick-Version der Simulation des modernisierten Kopfbahnhofs auf der genannten K21-Bündnis-Homepage http://www.kopfbahnhof-21.de ungefähr in der Bildmitte gut erkennen kann. Das dürften Luftlinie so ca. 2 Kilometer sein, was heisst, dass da ein langes Tele zum Einsatz kam. (Bei dieser Gelegenheit will ich mich mal wieder bei meinem technisch bestausgestatteten Freund und "Co-Fotograf" Peter Gierhardt bedanken!)
@ Alle:
Danke für den inhaltlichen Zuspruch. Ein Stadtrat aus den Reihen der Gegner dieses Projekts (leider nur eine Minderheit) im Stuttgarter Gemeinderat hat die Seilschaften, die an diesem Milliardenprojekt hängen, einmal treffend als "schwäbische Spätzles-Connection" bezeichnet.
Also: "Bananenstaat" war einmal...!
VG Klaus.
Sandhöfer 21/06/2008 18:27
Also erst mal ist das ein Superfoto , wo warst du da denn gestanden ? Ich stimme dir zu ,das was die Schwabenmafia um Don Oettinglione hier plant, ein Schwabenstreich ist.Und ganz Baden-Württemberg wird für den Wahnsinn bezahlen.Das sehen wie ich weis auch die meisten Schwaben so !! Stuttgart wird am meisten dafür zahlen für den Größenwahn der Amigofraktion.Ich mag den alten Bahnhof und will ihn behalten und hoffe mit dir auf die nächsten 80 Jahren anstoßen zu können. Aber ich befürchte das interessiert DIE nicht , siehe die Fildermesse.Gruß aus der rebellischen Kurpfalz
Klaus al pronto 13/06/2008 6:49
... hochinteressant, und für mich unglaublich dreist, wie den Bürgern ein gigantisches Milliardengrab aufs Auge gedrückt werden soll.Irgendwie verdichtet sich mir immer mehr der Eindruck, Deutschland fällt langfristig wieder in eine unheilvolle Philosophie der Gigantomanie zurück. Lernt dieses Land denn nie, wozu das führen kann und schon einmal geführt hat ?
LG Klaus
hypnotisiris 09/06/2008 1:06
@ markus.barth:16 Gleise zu wenig? Kein Problem bei K21!
Da die 5 m breiten Gepäckbahnsteige zwischen den Personenbahnsteigen (auf dem Foto jeweils unter den schmaleren und niedrigeren Zwischendächern) schon lange nicht mehr gebraucht werden, und da bei der vom K21-Bündnis vorgeschlagenen neuen Bahnhofsüberdachung auch die darauf stehenden Stützpfeiler nicht mehr gebraucht würden, kann man den gewonnenen Zwischenraum entweder dazu nutzen, die 5 m den Personenbahnsteigen zuzuschlagen, oder ein 17. und 18. Gleis einzubauen, oder eine Mischung aus beidem zu realisieren.
Mehr Gleise werden meiner Einschätzung nach aber noch lange nicht notwendig werden, denn der bestehende 16-gleisige Bahnhof hat in den 60er Jahren, also bevor die Massenmotorisierung im Individualverkehr so richtig begann, ungefähr ein Drittel mehr Verkehr bewältigt als heute auf der im wesentlichen selben Infrastruktur gefahren wird.
Leistungssteigerungsreserven sind also noch genug da.
Man bringe mir nur erst mal ein Drittel mehr Passagiere vom Auto auf die Bahn! Dann kann man weiter sehen. Zum Beispiel könnte man sich dann immer noch mit mehr Doppelstockzügen behelfen, ehe man wirklich zu einem Ausbau gezwungen sein wird.
Aber das sind Luxus-Zukunftsprobleme. Momentan geht es erst mal um nichts weniger, als die projektierte absolut unverantwortliche Halbierung der Gleiseanzahl und Bahnsteige zu verhindern!
LG Klaus.
Kurt Hurrle 08/06/2008 16:58
Wenn Politiker Verkehrsplanung betreiben, haben nur die Gutachten eine Chance, die die Interessenslage der jeweiligen Politiker stützen - und das hat oft nichts mit einer sinnvollen und guten Lösung zu tun.Kosten: Spielen nicht wirklich eine Rolle, wenn die eigene Klientel davon profitiert. Der Steuerzahler zahlt und noch kann man ja ein wenig mehr rausquetschen. Größenwahn, Geltungssucht, Maßlosigkeit sind angesagt. Sparen können andere, z.B. die Bürger.
Warum muss eigentlich der Transit-Güterschwerverkehr überhaupt mitten durch Stuttgart geführt werden?
Oder der Hochgeschwindigkeitsfernverkehr: Wäre ein zusätzlicher Bahnhof beim Flughafen (ein "Fernbahnhof") nicht einfacher und günstiger zu realisieren, einschließlich einer schnellen Anbindung an das Zentrum? Oder anders: Statt einen Flaschenhals durch einen anderen zu ersetzen, wirklich zusätzliche Kapazität schaffen.
Manchmal könnte man fast den Eindruck gewinnen, dass Vernunft und Politik sich immer mehr gegenseitig ausschließen.
Viele Grüße
Kurt
markus.barth 08/06/2008 12:13
hier geht es allein um machtpolitik und prestige, wen interessiert da das geld. ;-(bedenken sollte man allerdings, dass in zukunft auch die 16 gleise eng werden.
klasse foto übrigens.
pewebe 08/06/2008 2:22
Neben dem sehr guten Foto hochinteressante und dieses Projekt zu Recht anprangernde Informationen.LG
Peter