Der 30. Juli 1944 in Clermont-en-Argonne
Am 29. Juli 1944 gab es im Dorf Clermont-en-Argonne eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen französischen und deutschen Truppen. Einige deutsche Soldaten wurden getötet, auch hohe Verantwortliche der deutschen GESTAPO. Im Morgengrauen des 30. Juli kamen Nazi-Soldaten und fingen sofort an die Bewohner des Ortes zu terrorisieren, die Männer wurden aus den Häusern geholt. Alle wurden auf den Platz vor dem Rathaus gebracht. Dort mussten sie ausharren, sie durften nichts mitnehmen, einige waren noch im Schlafanzug.
Der Sekretär des Bürgermeisteramtes wurde gefoltert, man fand einige Waffen bei ihm. Mütter und Frauen wurden auf Distanz gehalten. 112 Männer, einige davon auch aus den Orten der Umgebung, wurden in ein Lager nach Nancy gebracht. Von dort wurden 100 Männer in die verschiedenen Konzentrationslager der Deutschen abtransportiert, zuerst nach Struthof-Natzwiller. Schon dort lernten sie das System der Konzentrationslager kennen. Dann ging es weiter nach Dachau, dann kamen einige nach Ottobrünn, Schömberg, Dautmergen, Schörzingen, Melk, Guten und Mauthausen. Einige Tage später kamen 12 nach Vaihingen. In den letzten Kriegstagen des kalten und schneereichen Winters litten sie sehr. 72 von ihnen kamen nicht mehr zurück. Ihre Geschichte ist unsere Geschichte.
Nach den Schrecken der Deportation von 1944 und der Rückkehr der Überlebenden gründeten die Einwohner von Clermont-en-Argonne ein Erinnerungskomitee. Sie beschlossen die Errichtung eines Denkmals. Rechts kniet ein scheinbar erst vor kurzem im Lager eingetroffener Deportierter, da er noch in relativ guter Verfassung ist. Links kniet ein deutlich abgemagerter Deportierter, der schon seit einiger Zeit hier sein muss. Beide legen vorsichtig einen spindeldürren Deportierten in einem Leichentuch ab, der soeben verstorben ist und dessen Augen geschlossen sind.
Jedes Jahr findet seither in Clermont-en-Argonne am letzten Sonntag im Juli ein Gedenktag statt.
Und nun stehe ich da, am 4. August 2023, als Deutscher vor diesem Denkmal an ein monströses Leid, das in diesem Dort mit 1200 Einwohnern geschehen ist. Im Café nebenan trinken einige den Frühstückskaffee. Und ich getraue mich nicht hinüberzugehen und ihnen in die Augen zu sehen.
Die Todesfuge, Paul Celan
Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen
Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland
dein goldenes Haar Margarete dein aschenes Haar Sulamith
Martin Walter S 17/08/2023 13:10
Was deutsche Soldaten den Franzosen angetan haben, erschüttert mich immer wieder!Ich habe drei Jahre in Frankreich studiert und muss sagen, ich habe keine nennenswerten Ressentiments gegenüber mich als Deutschen erlebt!
Gruss Martin