Der andere Traum

Der andere Traum

Am Rande des Böhmerwaldes liegt Klatovy (Klattau). Aus den Fenstern der Häuser drangen das Licht und das Flimmern der Fernseher. Vor genau einem Jahr führte mich der Weg in dieses Städtchen, mit dem viel zu groß geratenen Bahnhof. Ein Koloß im Dunkel, gebaut für andere Ansprüche an den Schienenverkehr. Doch nun, wo man vor der Straße kapituliert hat, herrscht wenig Betrieb. Die Bahnhofshalle war leer. Das Bufet geschlossen, ebenso die Gepäckabgabe. Nur die Bewegung der Zeiger von der großen Wanduhr ist zu vernehmen. Die Zeit verrinnt. Ich nehme auf den bequemen Bänken im Wartesaal Platz und betrachte den großen Fries an der Wand. Es ist ein anderer Traum. Er erzählt von einer sozial gerechten Gesellschaft, wo die Arbeit den Menschen Würde belässt und gibt. Doch es scheint so als wäre der andere Traum in weite Ferne gerückt ...
Doch von draußen ist ein leises Tuckern zu hören. Es klingt fast wie ein Schiffsdiesel. Gemütlich, denke ich noch beim Betrachten der Triebwagen, als ich den Betrunkenen bemerke, welcher in der Unterführung liegt. Ich helfe ihm auf, dann achte ich auf die Lautsprecherdurchsage - MOS 17515 mit 831-167-2 wartet auf Gl. 1 zur Ausfahrt nach Horaždovice p.z. und am Gl. 2 steht MOS 7566 mit 842-007-7 zur Abfahrt nach Nyrsko bereit – als ich mich wieder dem angeschlagenen Herren zuwenden will, ist er in der Nacht verschwunden. Einfach so, in der Dunkelheit, wo könnte er hingefahren sein? Ich beschließe zu gehen und strebe zügig dem Ausgang entgegen, werfe noch einen letzten Blick auf den anderen Traum und aus dem Kiosk tönen leise Musik und die Fetzen von Gesprächen. Doch noch ein Funke Leben in Klatovy – aber wovon wird man träumen?

- Klatovy (CZ), Februar 2009 -