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Der Künstler und sein Lebenswerk

Der Künstler und sein Lebenswerk

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Klaus Tesching


Premium (World), hinter den sieben Bergen

Der Künstler und sein Lebenswerk


Es war einmal ein Künstler namens Karl Schwarz, ein Name, der seine Bestimmung fast schon prophetisch in sich trug. Karl war ein Mann von außergewöhnlicher Leidenschaft, zumindest wenn es um die Farbe Schwarz ging. Seine Werke, die von der Kunstwelt liebevoll als "Schwarzmalerei" bezeichnet wurden, bestanden aus nichts anderem als aus riesigen, monochromen schwarzen Wänden.

In einem seiner kühnsten Projekte entschied Karl, sein ultimatives Lebenswerk zu schaffen. Es war ein monumentales Unterfangen, das Jahre seines Lebens verschlang und seine gesamte kreative Energie forderte. Die Galerie, die dieses Meisterwerk ausstellen sollte, bereitete sich mit großem Trara auf die Enthüllung vor. Kunstkritiker und Enthusiasten aus aller Welt versammelten sich, gespannt darauf, Karls Magnus Opus zu bestaunen.

Am Tag der Enthüllung standen sie alle dort, in der dunklen Galerie, das Herz klopfend vor Erwartung. Karl selbst, in schwarzes Leder gekleidet, wie ein Rebell der Farbtheorie, stand im Mittelpunkt, bereit, das schwarze Tuch von seinem Meisterwerk zu ziehen. Als er es endlich tat, gab es ein kollektives Keuchen des Publikums.

Vor ihnen lag die größte schwarze Wand, die je geschaffen wurde. Sie war so schwarz, dass sie das Licht zu verschlucken schien. Die Kritiker, zuerst verwirrt, begannen langsam zu nicken, als ob sie die tiefe, existenzielle Botschaft des Werkes erfassten. Einige murmelten leise: "Es ist so... schwarz." Andere sprachen von der "absoluten Reinheit" der Farbe und dem "mutigen Verzicht auf jede Form von Ablenkung".

Doch nicht jeder war so beeindruckt. In der hintersten Reihe stand ein kleiner Junge, der die Hand seines Vaters hielt. "Papa, warum ist da nichts?", fragte er unschuldig. Der Vater beugte sich zu ihm hinunter und flüsterte: "Das, mein Sohn, ist die tiefgründige Leere der menschlichen Existenz."

Karl Schwarz stand triumphierend neben seiner Schöpfung und genoss das Spektakel. Er wusste, dass sein Lebenswerk vollbracht war. Die wahre Kunst, dachte er, bestand nicht darin, etwas zu schaffen, das die Menschen sehen konnten, sondern etwas, das sie dazu brachte, ihre eigene Wahrnehmung und Bedeutung zu hinterfragen.

Am Ende der Ausstellung wurden die Kritiken veröffentlicht. Eine Zeitung titelte: "Schwarz auf Schwarz: Ein Meisterwerk der Sinnlosigkeit" während eine andere schrieb: "Karl Schwarz bringt die Kunst zu ihrem endgültigen Punkt: dem absoluten Nichts". Und so ging Karl Schwarz in die Geschichte ein, nicht nur als der Mann, der die tiefste schwarze Wand malte, sondern als der Künstler, der uns zeigte, dass Kunst nicht immer sichtbar sein muss, um Bedeutung zu haben.

In einem letzten ironischen Twist wurde sein Lebenswerk später als "das nichtsigste Kunstwerk aller Zeiten" gefeiert und erzielte bei Auktionen Preise, die selbst Karl in den Schatten stellten. Schwarz, so wurde gesagt, war das neue Gold.

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