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Die Keimzelle Berlins

[Der ›Heilige Georg‹ im Nikolaiviertel, Berlin • 26. August 2023]

(Ja, ich weiß, der Text ist lang. Ich bin niemandem böse, der die Historie nicht lesen möchte.)

Die gotische Nikolaikirche mit Resten ihres romanischen Feldstein-Vorgängerbaus ist das älteste Gebäude Berlins.
Mit ein paar Kaufmannshäusern bildete sie die Siedlung Berlin, über eine Spreebrücke verbunden mit Kölln.
Kölln lag auf der Fischerinsel, dem südöstlichen Teil der heutigen Schloss- und Museumsinsel.

Beiden Orten wurde zwischen 1230 und 1240 von Markgraf Johann I. von Brandenburg das Stadtrecht verliehen.
Die Stadtteile auf beiden Seiten der Spree prosperierten später allein unter dem Namen Berlin.

Ums Nikolaiviertel herum gruppierten sich Heiliges-Geist-, Marien- und Klosterviertel.
Deren Kirch- und Klosterbauten sind weitgehend erhalten, u.a. die Marienkirche zu Füßen des Fernsehturms.

Aus Kölln wurde das Marktviertel, ehe auf der Spreeinsel nach und nach Schlossbauten entstanden.
Drumherum wuchsen Neu-Kölln (nicht das Neukölln-Kreuzberg), Gertrauden- und Schleusenviertel.

Anders als im Rest von Berlin, blieben die engen Gassen des Nikolaiviertels bis ins 20. Jh. hinein fast unverändert.
Erst die Nazis ließen viele Häuser abreißen und entwidmeten 1938 die Nikolaikirche.
Hitler wollte hier Platz schaffen für seine größenwahnsinnige Hauptstadt Germania.

Im Krieg wurde das Nikolaiviertel 1944 fast dem Erdboden gleichgemacht, die Nikolaikirche verlor nur ihr Dach.
Viele Kunstschätze konnten schnell in der unversehrten Marienkirche in Sicherheit gebracht werden.
Weil sich in Ost-Berlin der Wiederaufbau nicht auf Kirchen erstreckte, bekam die Nikolaikirche kein Notdach.
So stürzten 1949 mehr Gebäudeteile ein, als durch den Krieg beschädigt worden waren.

Lange blieb das Nikolaiviertel eine urbane Wüste – bis Erich Honecker sich auf dessen Bedeutung besann.
Zur 750-Jahr-Feier Berlins 1987 sollte es teils authentisch, teils in historisierendem Beton wiederaufgebaut werden.
Die Ruine der Nikolaikirche wurde nicht abgerissen, sondern zum Konzertsaal und Museum ausgebaut.

Der leitende Nikolaiviertel-Architekt, Günter Stahn, wurde mit dem Nationalpreis der DDR I. Klasse ausgezeichnet.
Propagandistisch wurde das Nikolaiviertel als Vorzeigeprojekt für die DDR-Stadtsanierung gepriesen.
Der Rest des Landes, Alt- und Wohnstädte, verfiel weiterhin. So wurde das Projekt nur ein Sargnagel für die DDR.

Die Bronzeplastik ›Heiliger Georg‹ (1853) von August Kiß stand bis zur Bombardierung im Lustgarten.
Im Volkspark Friedrichshain "zwischengeparkt", blickt sie seit 1987 auf die Nikolaikirche.
Der klassizistische Bau im Rücken der Plastik gehörte zum Marstall, ab 1907 Stadtbibliothek.

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