Eingang zur Böttcherstrasse heute
Golden schwebt der "Lichtbringer" über dem Eingang der Böttcherstraße und schwingt sein Schwert gegen einen dreiköpfigen Drachen. "Schööön", raunt es durch die Schar der Touristen, die sich um eine Gästeführerin drängen. Von ihr hören die Besucher Bremens einiges über Erzengel und Drachentöter - aber nicht, dass der Künstler mit diesem Relief beweisen wollte, "wie sehr ich unseren Führer und seine Taten verehre."
Ebensowenig erfahren die vielen Touristen, die täglich durch die enge Gasse strömen, dass die heimliche Hauptstraße Bremens einst als "ein Versuch, deutsch zu denken", konzipiert worden war - um "aus Verfall und Schmutz ein reines und starkes Deutschland entstehen" zu lassen. Heute wird die Böttcherstraße als eine romantische Märchenstraße vermarktet, in der sich gediegen speisen, shoppen und Kultur goutieren lässt - der ideologische Hintergrund ihrer Entstehung wird ausgeblendet.
Bernhard Hoetger, der Architekt des Hauses "Atlantis" und des Paula-Modersohn-Becker-Museums in der ehemaligen Handwerkergasse, wird vielmehr als ein Künstler vorgestellt, der "von den Nazis bekämpft" worden sei, "die seine Bauten als Dokument des Entarteten stehen ließen." Doch von Hoetger stammt auch der oben angeführte Kommentar zum "Lichtbringer"-Relief, in dem er seine Bewunderung für Hitler erklärte. Das zweite Zitat stammt vom Initiator des Neubaus der Bremer Gasse, dem Kaufmann Ludwig Roselius, der in den Veröffentlichungen der Böttcherstraßen-GmbH lediglich als "widersprüchlich und bedeutend" vorgestellt wird.
Kaum ein Besucher der historischen Straße wird vermuten, dass die neo-gotischen Giebel, die expressionistisch aufgetürmten Backsteinmassen des Paula-Modersohn-Becker-Museums oder das lichtdurchflutete Art-Deco-Treppenhaus im Haus Atlantis einen Zusammenhang zum nationalsozialistischen Denken aufweisen könnten.
Obwohl gerade die Expressionisten in zahlreichen Retrospektiven zur Kunst der klassischen Moderne immer wieder auf ein immenses Publikumsinteresse stoßen, ist deren politische Haltung vielen Kunstfreunden bis heute unbekannt. Mit faschistischer Ästhetik werden ausschließlich die Monumentalbauten eines Albert Speer oder der heroisierende Körper-kitsch eines Arnold Breker assoziiert. Dass auch manche Vertreter der künstlerischen Moderne zumindest die völkischen Anteile der Nazi-Ideologie teilten und in den dreißiger Jahren dem NS-Regime einen "nordischen Expressionismus" als Staatskunst andienen wollten - ehe sich 1936 die naturalistische Linie des nationalsozialis-tischen Kultur-Ideologen Alfred Rosenberg durchsetzte - fällt meist unter den Tisch. Weil sie später als "entartet" verfemt worden sind, gelten die Expressionisten in erster Linie als Opfer der faschistischen Kulturpolitik.
Auch Hoetgers Arbeiten fanden sich in der Ausstellung "Entartete Kunst". Hitler wandte sich 1936 in einer Parteitagsrede scharf gegen die "nordischen Phrasen" der "Böttcherstraßen-Kultur"; 1938 wurde der Künstler aus der NSDAP ausgeschlossen. Doch dabei wurde nicht die Integrität seiner nationalsozialistischen Überzeugung angezweifelt, die sich in seinen Äußerungen oder in seinem Entwurf für ein "Deutsches Forum" mit seinem hakenkreuzförmigen Grundriss unzweideutig spiegelt. Vielmehr ging der Parteiausschluss darauf zurück, dass Hoetger in der Weimarer Zeit - wie im Fall der Figuren für die Fassade des Volkshauses in Walle - auch für die politischen Gegner der Nazis gearbeitet hatte.
Rainer und Antje 14/02/2010 11:41
Sehr interessant, die drei Bilder, die ein Jahrhundert abdecken und dazu die ausführliche Erklärung. Habe mich bis jetzt ehrlich gesagt noch nie mit dem geschichtlichen Hintergrund der Böttcherstrasse beschäftigt.L.G. Antje