ES SIND DOCH NUR HAARE Zwischen Anpassung und Selbstbestimmung
Die ideale Frau hat langes Haar, welches bitte nicht zu sehr gestylt sein sollte. Eher etwas wild. Ja, so mag es scheinbar die Männerwelt. Das habe ich mir an dieser Stelle nicht ausgedacht, dies ist tatsächlich das Ergebnis einer Umfrage.
Nun gut. Aber was ist, wenn eine Frau diesem Ideal gar nicht entsprechen möchte, da es nicht ihrem eigenen Wohlfühlfaktor entspricht?
Nehmen wir ein ganz krasses Beispiel. Frauen mit Glatze.
Diese Frauen stehen oft vor einem gewaltigen Problem. Nämlich unserer Gesellschaft.
Trägt ein Mann eine Glatze, hat das in der Regel Style, wirkt kompetent und wird gar nicht erst hinterfragt.
Bei einer Frau sieht die Sache ganz anders aus.
Der erste Gedanke bzw. die erste Frage ist meistens. „Oh mein Gott, hast du Krebs?“ Ganz ehrlich, würden Sie auf den Gedanken kommen, einen Mann zu fragen, ob er Krebs hat, nur weil er eine Glatze trägt? Vermutlich nicht.
Wenn eine Frau eine Glatze trägt und sich um einen Job bewirbt, wird diese Frisur mit Sicherheit Einfluss auf das Ergebnis einer Bewerbung haben.
Glauben Sie nicht? Nun, ich habe es selbst erlebt. Seit etwa 10 Jahren rasiere ich mir in unregelmäßigen Abständen den Kopf. Ich liebe meine Glatze. Aber andere oftmals nicht.
Ja, ich wurde schon häufig von Eltern anderer Kinder in der Schule gefragt, ob ich ernsthaft krank sei. Damals, bei meiner Jobsuche war meine Frisur auch nicht unbedingt förderlich. Aber auch innerhalb der Familie oder im Freundeskreis wurde meine Entscheidung teilweise mit Ablehnung gestraft.
„Deine schönen Locken, damit hast du so süß ausgesehen!“ Natürlich möchte jede Frau über 30 einfach nur süß sein.
„Wie schade, mit Haaren warst du so hübsch!“ Ja, und zack ist Frau hässlich, weil sie keine Haare mehr hat.
„Das kannst du doch nicht machen, dann denkt doch jeder, du hättest Krebs!“
Man fragte mich sogar, ob ich einen Nervenzusammenbruch gehabt hätte.
Das, meine Damen und Herren sind noch harmlose Sprüche, die man sich als Frau ab und an anhören darf, sobald man aufhört, Haare zu tragen. Die zahllosen KZ Vergleiche von der älteren Generation möchte ich Ihnen an dieser Stelle ersparen.
Es ist erschreckend. Wir schimpfen uns als so fortschrittlich, tolerant und sind natürlich total offen für selbstbestimmtes Handeln. Aber wenn jemand seine eigene Individualität ausleben möchte, ist das falsch. Individuell sein bedeutet meist, sich aber bitte Rahmen der Norm der anderen zu bewegen. Verstehen wir das wirklich unter Selbstbestimmung?
Akzeptanz scheint dennoch bei vielen nach wie vor ein Fremdwort. Das stimmt mich schon ein wenig traurig, wenn wir verpassen, damit einmalige Chancen ganz wunderbare Menschen kennenzulernen, weil wir diese aufgrund von Äußerlichkeiten schon vorverurteilen. Ich möchte noch mal anmerken: In meinem Fall geht es wirklich nur um Haare!
In den letzten 10 Jahren habe ich mir die Haare einige Monate nach dem Kahlschlag wieder wachsen lassen, weil mir manche Menschen doch auf die Nerven gegangen sind. Und wie diese Menschen kaum, dass meine Haare wieder länger waren, von meinen Haaren geschwärmt haben. Man gab mir immer wieder das Gefühl, nur angepasst gut genug zu sein.
Wollte ich das? Auf meine langen, dicken Locken reduziert werden? Bei Weitem nicht. Also kamen die Haare wieder weg. Ohne Haare fühle ich mich frei. Und das ist für mich die Hauptsache.
Probleme bei der Jobsuche habe ich nicht mehr, da ich inzwischen als selbstständige Fotografin unterwegs bin. Ich fotografiere einzelne Menschen, Familien, Paare, schlicht: Individuen jeglicher Art. Und ich liebe es. Durch meine Arbeit habe ich noch mehr gelernt, wie einzigartig jeder Mensch ist, ganz egal, wie er aussieht oder welche Frisur er trägt.
Heute trage ich meine Glatze mit Stolz (und im Winter mit Mütze). Und natürlich spüre ich die ein oder anderen Blicke, wenn ich in Hilden durch die Mittelstraße gehe. Und ganz ehrlich? Das ist okay.
Ich glaube tatsächlich auch, dass vielen gar nicht bewusst ist, wie diskriminierend ihre Aussagen sind.
Eins ist sicher, auch ohne Haare bin ich weiblich, sexy und attraktiv.
Und wie sagt man doch so schön: Ein schönes Gesicht braucht Platz ;-)
Andreas H. Schneider 07/12/2023 17:19
Obwohl ich lange Haare (nicht nur) bei Frauen schön finde, ist es immer wieder eine spannende Frage: Ist jemand ohne seine Haare auch schön?Ich geh sogar noch weiter: Es gibt durchaus Frauen mit sehr femininen Gesichtszügen, die mit raspelkurzen Haaren (oder Glatze) schön und weiblich aussehen.
Selbstbestimmung und Anpassung: In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns ja eigentlich alle - Frauen und Männer.
Wir wollen beliebt sein, uns aber nicht bis zur Verbiegung anpassen.
Ich würde nicht immer vom Äußeren aufs Innere schließen.
Es gibt Frauen und Männer, die völlig brav aussehen, aber erfrischend unkonventionell denken.
Andererseits: Als langhaariger Mann sah man z.B. in den 1970er Jahren vielleicht ein bisschen wie ein Revoluzzer aus, konnte aber in Wirklichkeit ein Dummkopf sein, der politisch kein Durchblick hatte.
Spannend auch die Frage, ob eher Frauen oder Männer das "gekünstelte" Geschlecht sind.
Was ist "unechter": das "typisch" weibliche Verhalten oder Macker-Allüren?
Als Junge fand ich übrigens "typisch" männliches Verhalten doof.
Wäre ich eine Frau, würde ich viele Dinge vielleicht noch anders sehen.
Manfred Richard Hoffmann 04/01/2023 12:09
Dein Text ist gut und Dein Bild sowieso! Absolut richtig!George I 25/11/2022 17:10
Spricht denn das Bild nicht für sich selbst - wenn soviel dazu geschrieben werden muss? Wenn ich Konventionen über Bord werfe, dann riskiere ich missverstanden zu werden. Es kommt dann darauf an, was ich erreichen will. Wenn mich Menschen auf meine Glatze ansprechen, dann ist das eine Gelegenheit sich kennenzulernen. Wenn ich aber nicht angesprochen und schon gar nicht "missverstanden" werden will, sollte ich eine Mütze tragen.BlueIce 23/11/2022 18:16
STARK! Liebe Grüße MandyAnBes 23/11/2022 12:42
..habe tatsächlich nie darüber nachgedacht das Haare, kurz, lang, keine, Locken, Zopf, Farbe solch einen Unterschied machen - Mann halt - aber auch noch keine Glatzenträgerin im Bekanntenkreis... man / Frau muss sich wohlfühlen dann passt das. Grüßle AnBesCO777 23/11/2022 11:42
Hallo Sabrina, es ist herzerfrischend dein Statement zu lesen und eigentlich nach jeder Zeile zu sagen "wie recht du doch hast".Unsere Gesellschaft wird immer noch dominiert von Vorurteilen und Sexismus. Du hast eine sehr positive Einstellung zum Leben und das ist das Entscheidende. Ob mit oder ohne Haare ist sicher nicht von Belang, viel wichtiger ist dein selbstbestimmtes Handeln, du nötigst mir sehr viel Respekt ab.
Liebe Grüße
Achim
Klaus Rohwer 23/11/2022 10:32
!Klaus
P.B.Photo 22/11/2022 7:59
So ein geiler Text...ich bin da völlig bei dir.Weiter so...für mich bist du eine mega attraktive Frau.
Liebe Grüße
Petra
klaus Atyr diehl 26/03/2022 21:56
Also die Glatze steht Dir gut! Klar sind lange Haare schön (+ stressig) aber wie sagt man doch: ein schöne Person entstellt nichts! LG KlausHab Deinen Text noch einmal gelesen...
da zu fiel mir meine Frau ein, dunkle Haare mittellang....na ja nach dem 20. mal färben (zb Rot,Schwarz oder beides zusammen!) brachen die Haare einfach ab, meine Frau kaufte sich eine Perücke in Blond und hatte erlebnisse der besonderen Art....auf einmal waren allemöglichen Männer super hilfsbereit und zuvorkommend! Dann in der Arbeit, sie war Standesbeamtin, waren die Leute viel netter zu ihr, sie hatte sich nicht verändert nur ihre Haare, wenn sie früher nur die Beamtin war, war sie jetzt die Nette vom Amt mit den Tollen Haaren! Soll heißen: wir schauen auf kleinigkeiten ( wie Haare) und sehen nicht den Menschen dahinter, ob Rot ,Blond oder Glatze es ändert nichts an der Person! LG Klaus PS meine Frau hat die Blondenhaare genoßen und benutz sie immer noch!
K
Wolfgang P94 12/02/2022 21:46
Ich greife einfach mal den vorletzten Satz auf: Eins ist sicher, auch ohne Haare bin ich weiblich, sexy und attraktivDas ist für mich die Kernaussage von Text und Bild: wenn ich mich selbst mag, so lebe wie ich will, dann nehme ich mich selbst an, dann fühle ich mich wohl mit mir. Und das strahlt aus, wirkt: nach innen und nach außen.
Hinter Foto und Text steckt natürlich eine Geschichte der persönlichen Identitätsfindung. Hesse beschreibt es sehr treffend, dass das Leben u.a. ein Kampf zwischen Anerkennung der Gemeinschaft und Rettung der Persönlichkeit ist. Und ich glaube, dass das ein Weg ist, ein Kampf, der auch in unserer Gesellschaft immer noch nötig und wichtig ist. Und irgendwann, durch das zu sich selbst stehen, seinen Weg unbedingt gehen, kommt man dahin, dass es dann kein Kampf mehr ist, sondern Sieg und zum Schluss einfach die Akzeptanz der eigenen Person so wie sie ist.
Ich kann mich noch erinnern wie ich mir als Teenager, als männliches Wesen in den siebziger Jahren die Haare habe lang wachsen lassen was mir da begegnet ist an Aggression mir gegenüber, an Vorurteilen, an bösen oder amüsierten Blicken, an Beleidigungen etc. Aber auch ich habe damals standgehalten, mir waren meine langen Haare wichtig, das war für mich damals auch Identitätsfindung, auch Freiheit und wichtige Abgrenzung. Ich mochte es einfach. Mittlerweile habe ich auch seit fast zwanzig Jahren Vollglatze und liebe es. Genauso mag ich es wenn andere sich die Haare wachsen lasse oder abrasieren wie sie es möchten, ob männlich oder weiblich, das Menschen sich kleiden wie sie wollen, ihre Gesinnung und Orientierung in jegliche Hinsicht leben, sich damit identifizieren und sich damit wohl fühlen. Ich würde mir auch sehr wünschen, dass das geschehen kann ohne irgendwie behelligt zu werden und das alles selbstverständlich ist. Ich würde mir genauso wünschen, dass Texte wie von dir irgendwann vollkommen überflüssig seien werden, aber noch sind sie es, leider, nicht.
Ich finde Text und Bild großartig! Beide erzählen einerseits von deiner Selbstakzeptanz, deinem Weg, deinem stehen zu dir, aber auch von Stigmatisierung, von Pseudo-Toleranz (der gute alte Goehte war da seiner Zeit schon sehr voraus: „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“)
Du berichtest auch von erlebter Ablehnung. Ich glaube wer sich da ablehnend verhält, der hat vielleicht Probleme mit sich selbst, vielleicht möchte er/sie ja eigentlich auch aus dem Schema ausbrechen, traut sich nicht, hat Angst vor dem Urteil anderer…und erlebt es dann dass da jemand einfach macht, sich selbst lebt, verwirklicht und kann da nur schwer mit umgehen.
Zu seinem äußeren zu stehen, darum geht es in deinem Beitrag, und doch steht er auch stellvertretend für viele andere Bereiche, Belange wo es um das gleiche geht.
Ich kenne das durch meine psychische Erkrankung und habe es für mich erlebt dass es mir mit ihr besser geht seit ich sie geoutet habe, ganz offen mit ihr Umgehe, mit ihr lebe.
Vielen Dank für diese grandiose Auseinandersetzung!
VG
Wolfgang
Harald H. Foto 09/02/2022 11:57
Starkes Bild und ein noch viel stärkerer Text. Toll!Peter Svetitsch 06/02/2022 17:01
Ich würde den Wert einer Frau nie davon abhängig machen, ob sie Haare trägt oder Glatze. Andererseits würde es mich auch interessieren, warum sie soviel Wert auf (sichtbar gemachte!) Individualität legt. Wurde sie in der Kindheit und Jugend allzu sehr in ein von anderen auferlegtes Korsett gezwängt; ist es Ihr Protest gegen die "Gesellschaft" und wenn ja, warum? In der Praxis werden all diese Fragen zumeist unbeantwortet bleiben, zumeist auch nicht gestellt, denn schließlich hat man kein Anrecht auf eine Antwort.Wenn jemand glücklich ist mit seiner /ihrer Glatze, so ist das schön und von allen Anderen zu akzeptieren. Aber natürlich auch, dass Krebspatienten meistens sehr unglücklich darüber sind. Abschließend eine kleine Provokation: Ich glaube nicht nur der Individualist kann Toleranz und Verständnis erwarten - auch der Mensch im "Mainstream".
Zuletzt: Ich finde die gesamte Fotostrecke großartig, gibt sie doch Menschen eine Stimme, die sonst selten gehört wird. Dabei muss gar nicht Jeder gleich alle Gedanken
nachvollziehen können: Wie heißt es doch auf gut Österreichisch: "Durchs Reden kommen die Leut' zusammen!". Insofern ist der Austausch von Einstellungen, Meinungen und Sichtweisen sehr wichtig. LG Peter
Robert Adam-Frick 06/02/2022 16:24
Sehr faszinierendes Bild von einer schönen Frau.Toller Text.
VG Robert
Martin B aus E 06/02/2022 10:07
Klasse Bild und Text.Und ja ich geb zu das mir beim Anblick einer Frau mit Glatze als erstes der Gedanke durch den Kopf schießt warum macht sie das ,ist sie wohl krank ?
Erst danach schelte ich mich selber und sage mir denk nicht immer so voreingenommen.
Jeder Mensch hat das Recht zu leben wir er oder sie will.
Gemäß dem Motto :Leben und Leben lassen.
VG.Martin
Uwe Einig 06/02/2022 7:39
Guter Text! Rein optisch wird durch die reduzierten Haare das Gesicht betont. Ich habe das vor einigen mal mit einem Model und einer Mütze (wo dann alle Haare drunter verschwanden obwohl sie lange Haare hatte) Ein Model ohne Haare habe ich leider nie gefunden.