Gerade oder nicht?
Um es gleich mal vorweg zu nehmen: Gerade und korrekt ist das obere Bild.
Es wurde mit Stativ und Wasserwaage auf dem Blitzschuh gemacht. Um perspektivische Vereichnungen zu vermeiden wurde das Stativ exakt auf die Mitte des Steges und das mittlere AF-Feld auf die Mitte des Stegendes ausgerichtet. Natürlich gibt es trotzdem noch leichte Ungenauigkeiten - die sind aber in diesem Abbildungsmaßstab mit Sicherheit zu vernachlässigen.
Das Ergebnis seht ihr selbst: Die Wasserlinie wirkt schief.
Warum?
Bei kleineren Gewässern ist das was fälschlicherweise oft als Horizont bezeichnet wird, nicht der Horizont, sondern schlicht und ergreifend das gegenüberliegende Ufer. Wäre das gegenüberliegende Ufer nun eine Gerade könnte man eine horizontale und ungekrümmte (wirkende) Oberfläche erreichen, in dem man die Kamera parallel zum gegenüberliegenden Ufer ausrichtet. Nur - und da liegt der Knackpunkt - was wird aus dem Vordergrund? Der wird in diesem Fall natürlich schief, was manchmal für den Betrachter nicht erkennbar ist, wie hier bei einem Steg jedoch sehr wohl.
Hinzu kommt, dass das gegenüberliegende Ufer selten eine Gerade ist. Das Problem wird natürlich durch zunehmende Entfernung gemindert ...,
Auch ein möglichst tiefer Kamerastandpunkt (idealerweise Wasseroberfläche) wäre ein Lösungsansatz, aber auch das ist in vorliegenden Fall wohl gestalterisch kaum sinnvoll - es sei denn man würde gerne die Stegunterseite ablichten wollen:-)
Garnichts tun kann man gegen die Tatsache, dass das Ufer meist keine Parallele zum optischen System bildet, dadurch liegt die Wasserlinie an den näheren Teilen tiefer im Bild als an den entfernteren (außer optische Ebene = Wasseroberfläche) und das meist sogar auf einer Seite mehr als auf der anderen.
Was tun?
Meine eigenen Bilder lasse ich in der Regel, so wie die Natur verläuft. Hier in der FC ist das den Leuten meist nicht zumutbar, deshalb heißt es entzerren, wo eigentlich nichts zu entzerren ist (sofern es der VG zuläßt), um gekrümmte Verläufe gerade zu bekommen, zu drehen, was eigentlich gerade ist und - was mich dabei am meisten stört - jedesmal Bildqualität zu opfern. Wir kaufen teure Kameras und teure Optiken und entzerren dann 8MP-Bilder auf das Niveau einer 5MP-Cam.
Ob das alles so richtig ist, mögen sich die fragen, die immer wieder nach solchen Punkten suchen.
Ich für mich habe schon lange beschlossen: In dubio pro reo - also im Zweifel für den Angeklagten. Wenn ich ein gutes Bild sehe, das schief wirkt gehe ich erst mal davon aus, dass das Bild gerade ist. Obendrein ist das Ziehen von Hilflinien und das Drehen eines Bildes so simpel, dass ich dies eigentlich jedem zutraue, der in der Lage ein einigermaßen Bild zu schießen.
Ach ja noch ein Wort zum Thema Horizont... Die Entfernung des Horizontes lässt sich unter Berücksichtigung von Augenhöhe und Erdkrümmung errechnen. Bei 2m ist er gut 5 km entfernt, das bedeutet, an den meisten Gewässern sehen wir wohl eher nicht den Horizont, sondern die gegenüberliegende Uferlinie. Also etwas Vorsicht mit der Aussage "Das Bild ist schief" oder gar "Der Horizont ist schief", der ist nämlich meist nicht auf dem Bild ...
Gruß Hans
P.S.: Ein einfacher Selbstversuch zum Thema Uferlinie: Stellt euch vor, der See wäre rund. Nehmt eine CD und haltet sie vor euer Gesicht: Ihr seht einen Kreis als Uferlinie - das wäre eine Luftaufnahme :-) Jetzt dreht ihr die CD langsam von euch weg - die Krümmung der Uferlinie ändert sich - gerade ist sie aber erst dann, wenn die CD vor euch nur noch ein Strich ist - das wäre dann der Fall, wenn die Kameraebene gleich der Wasserebene wäre :-)
Sehr gut läßt sich das auch mit einer Postkarte versuchen ... dreht sie mal schräg vor euer Gesicht gehalten etwas und beobachtet, wie sich die Kanten im Vergleich zur Horizontalen verändern ... vor allem wenn die Postkarte nicht parallel zum Gesicht liegt ...
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