Gladbeck (04) - Der Offizierskoch, der die Mutter Gottes sah
Herr Wierzgalla (Gott habe ihn selig!) war mein erster Patient überhaupt; ihn habe ich im Rahmen eines "Schnupperwochenendes" für Zivildienstleistende in Spä kennengelernt. Der Schock war Groß: ich 19, voll im Saft und dann zu sehen, dass so das Leben aussehen kann... Ich war mir sicher, das ich so eine Aufgabe nicht bewältigen könnte und schaute mich nach einen angenehmeren Zivijob um. Zwei Monate später fing ich, weil die Sahneschnittchen in irgendwelchen Kirchenbüros bei Kaffee und Kuchen für andere gedacht waren, genau dort wieder an.
Herr Wierzgalla lebte mit seiner Frau in einer kleinen 40qm-Wohnung und war schwer bettlägerig. Er konnte wegen eines schweren Schlaganfalls kaum sprechen. Was er aber zu sagen hatte, ließ mich ihn in mein Herz schließen. Jedesmal, wenn ich zur Pflege kam, erkannte er (zurecht), was für ein hübscher junger Mann ich doch sei, genau wie er früher, als er noch Koch für die Offiziere bei der Wehrmacht war.
Eines war faszinierend: Ab und zu ertappte man ihn dabei, wie er in den Winkel der Mauer und Decke starrte. "Herr Wierzgalla, wohin schauen Sie da?" "In die Ecke" "Ja und? Was sehen Sie da?" "Die Mutter Gottes!" "Die Mutter Gottes? Was tut die da?" "Sie strickt. Warme Socken:" Natürlich belächelten wir das in unserer jugendlichen Arroganz. Heute weiß ich natürlich, dass er Recht hatte.
Wenige Monate nach meinem Zivildienst, es war Allerheiligen, zogen wir mit ein paar Leuten über den städtischen Friedhof. An einem frischen Grab blieb ich stehen, ich wusste nicht warum, ich tat es einfach. Ich beugte mich runter, um irgendwo lesen zu können, wer in diesem Grab lag. Na, Ihr könnt es Euch ja denken. Danach bin ich erstmal nach Hause und habe mich, glaube ich, betrunken.
Wenige Wochen später Verstarb seine aufopferungsvolle Frau. Sie hatte ihre Aufgabe erfüllt.
Ich habe in der ganzen Zeit nur die Patienten fotografiert, die mir besonders ans Herz gewachsen sind.
Hier das zweite Foto:
Biggi2312 05/11/2008 8:46
eine Geschichte, die das Leben schreibt. Schön, wenn man bis zum Tod so umsorgt und gepflegt wird. Da kann man sich die warmen Socken sparen ;-).LG birgit