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Lappenmänner und Kinder (Sami) bereit zum Rentiere fangen.(Die sog.Scheidung)Foto von 1929

Lappenmänner und Kinder (Sami) bereit zum Rentiere fangen.(Die sog.Scheidung)Foto von 1929

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Ulfert k


Premium (World), Südniedersachsen

Lappenmänner und Kinder (Sami) bereit zum Rentiere fangen.(Die sog.Scheidung)Foto von 1929

Ich habe eine SW.Fotoserie mit ca.80 historischen Norwegen-Fotos aus 1929 entdeckt und möchte sie für Norwegenfans hier einstellen
http://www.fotocommunity.de/pc/pc/pcat/403425

Rentierzucht im Laufe der Jahrhunderte
Die Sami sind zunächst Jäger und Sammler, die sich hauptsächlich vom Rentier ernähren. Im 17. Jahrhundert müssen sie ihre Lebensweise ändern. Durch Bevölkerungswachstum und starke Besteuerung auf der einen und (infolge dessen?) Abnahme der Rentiere auf der anderen Seite kann die Jagd den Bedarf nicht mehr decken. So werden Rentiere gezüchtet und die Sami ziehen mit den Herden mit. Bisweilen kennt man jedes einzelne Tier der Herde.

Diese Art der Wirtschaft ändert sich bis Mitte des 20. Jahrhunderts nur wenig. Dann aber dringt die Technik im Zuge des Kolonialisierungsprozesses (Straßenbau, militärische Versuchsgelände, Staudämme, Holzwirtschaft, Ausbeutung von Bodenschätzen) in den Norden und die Sami, die durch die Besteuerung nunmehr der Gewinnmaximierung verpflichtet sind, nehmen sie an: Die Zeit der 1960er Jahre wird als ›snowmobile revolution‹ bezeichnet: Walkie-Talkies, Motorschlitten, Wasserflugzeuge und Geländefahrzeuge erleichtern die Arbeit, zwingen aber zu maximaler Ausbeutung, damit sie bezahlbar sind. Natürliche Ausfälle, die früher noch durch Ausweichen auf andere Nahrung kompensiert werden konnten, sind nicht mehr zu verkraften, Fleischproduktion tritt an die Stelle der Selbstversorgung. Die Geländefahrzeuge verursachen überdies eine starke Schädigung des Bodens.

Die Sami werden jetzt im Zentrum des Weidebezirks seßhaft, die immer größeren Herden laufen halbwild herum und werden lediglich durch einige weiträumige Zäune im Bezirk gehalten. Der Streß für Mensch und Tier ist ungleich größer geworden: Zog man früher mit den Herden, so muß man sie heute zweimal im Jahr zusammentreiben:

Das erste Mal ist die Rentierscheidung im November. Innerhalb von zwei bis vier Wochen werden die Rentiere in einen großen Pferch getrieben und dann, an den Ohrmarken erkannt, nach Besitzern sortiert. Das Schlachtvieh, ca. 30 % des Bestandes, wird aussortiert und geschlachtet. War die Scheidung früher ein Riesenfest, so haben die Rentierbesitzer heute ein Auto und fahren ›abends‹ nach Hause. Bei dieser Zählung werden auch die Steuern festgesetzt und der Rentierbesitzer erzielt einen Jahreserlös von bis zu 160.000 sFr (vor der Tschernobyl-Katastophe) (Schwaar 1990). Diese Zahl ist aber ein Extremwert, meist liegen die Verdienstsummen viel niedriger. Problematisch ist, daß es viel mehr Rentiere gibt als zugelassen sind. Dies führt zur Überweidung und zeigt, wie sehr die Sami inzwischen der Natur ent-fremdet sind. Dieses Verhalten ist als Maßnahme zu betrachten, um die ›Besatzer‹ und ihre Bürokratie auszutricksen. »Die erlaubte Anzahl stellt ein Minimum dar.« (Schwaar 1990:

Immer noch ziehen große Teile der Rentierherden im Frühling ins Kahlfjäll. Während früher die Rene mit Rentierschlitten begleitet und ständig betreut wurden, werden sie heute von Motorschlitten gehetzt, zum Teil sogar in LKW gefahren. Meerengen, die früher durchschwommen wurden, werden heute mit Schiffen überbrückt.

Das zweite Mal sehen die Rentierbesitzer ihre Herden dann bei der Markierung der Kälber im Sommer. Sie wohnen einige Wochen lang in Koten im Gebirge bei den Herden. Die Tiere werden mit Lassos eingefangen, die Kälber halten sich dicht bei der schon gezeichneten Mutter. So läßt sich feststellen, welches Kalb welchem Besitzer gehört. Mit dem Messer schneidet der Besitzer dann sein Zeichen in das Ohr des Kalbes.

Besonders alte Rentierhirten beklagen dabei den großen Streß, dem Menschen und Tiere heute gleichermaßen ausgesetzt sind: War die Rentierzucht früher mehr ein Pflegen und Hegen der Natur, so frißt heute das wirtschaftliche Denken an der Lebensqualität und quält sowohl Tiere als auch Menschen. Frauen, Kinder und Alte sind vom Rentiertrack und z. T. auch von der Markierung ausgeschlossen, der alte Sippenzusammenhalt zerfällt langsam. Immer noch gibt es aber eine starke Kooperation beim Bau von Gehegen, Brücken und Unterkünften, bei der Markierung und der Scheidung.

Durch die ›snowmobile revolution‹ haben die Rentierbseitzer viel mehr Freizeit, da sie sich um ihre Herden nur noch zweimal im Jahr kümmern müssen. Oft wird die Freizeit zum Trinken benutzt. Soziologen machen oft Depression während der dunklen Wintermonate als Ursache aus, aber das dürfte mehr auf die zugewanderten ›Südler‹ zutreffen, die Sami leben seit eh und je in der Landschaft und viele können auch der dunklen Jahreszeit viel Schönes abgewinnen. Grund für Depressionen und Alkoholismus besonders bei der Generation der heute Fünfzigjährigen dürfte die Tatsache sein, daß die radikale Umstellung auf Technik, Fleischproduktion und damit Ausbeutung der Natur nicht verkraftet wird. Die neue Lebensweise widerspricht der traditionellen, vielleicht mehrere tausend Jahre alten von Grund auf und so sind Schwierigkeiten in der Umstellung nicht weiter verwunderlich, zumal sie aufgezwungen wird.

Quellen:
[ Schwaar 1990 ]

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