Loveparade, 24. Juli 2010 – Die Anklage
Bei 35 °C unterwegs mit gelbhaarduisburg
entlang des Niederrhein, der Ruhr, der Emscher und der Lippe.
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Hier wurden 21 Menschen zu Tode gedrückt oder getrampelt und über 500 verletzt.
Zehntausende erlitten ein seelisches Trauma, das wahrscheinlich ein Leben lang andauern wird.
Sie haben sich in einer Selbsthilfe organisiert, da sie mit ihrem Trauma weitgehend allein gelassen werden.
Zivilrechtliche Schadenersatzforderungen können nicht geltend gemacht werden.
Angeklagt wurden 4 Beschäftigte des Veranstalters Lopavent sowie 6 Mitarbeiter der Stadtverwaltung.
Oberbürgermeister Adolf Sauerland, der nicht zurücktrat, um seine Pension zu retten, war nicht angeklagt.
Schuldig gesprochen wurde nach 184 Verhandlungstagen niemand; inzwischen setzte die Verjährung ein.
Erwiesen allerdings ist laut Gutachten die Schuld dreier Angeklagter, doch Corona stoppte den Prozess endgültig.
In der Aufarbeitung wird auch dem unkoordinierten Polizeieinsatz eine Schuld zugewiesen.
Letztendlich war es aber die Profitgier, die zur Genehmigung einer ungeeigneten Location führte.
[Panorama aus zwei Querformatfotos]
gelbhaarduisburg 26/08/2020 17:51
VIPEnde Juli, das Wetter hat sich gedreht, es ist schwül. Schwerer Himmel, doch ein Hitzegewitter bleibt aus. Es könnte ohnehin nichts reinwaschen von dem, was geschehen ist. Es ist, als dauerte es immer noch an. Zehntausende in zäher Bewegung, hierher, dorthin, die Polizei als überforderter Puppenspieler, das riesige Areal vor dem Hauptbahnhof rettungslos verstopft. Mittendrin stehen sich ein junger Mann und ein Polizist gegenüber, am Arm des jungen Mannes ein magentafarbenes Plastikbändchen.
„Sehen Sie das!?“, empört sich der junge Mann, „Ich hab das lila Band, ich bin nämlich VIP, ich muss auf das Gelände, ich hab hier besondere Rechte!“
„Wat hasse?“, brüskiert sich der Polizist, „Hasse nich mitgekricht, wat hier passiert is!? Hier kommt keiner mehr auf dat Gelände! Verschwinde!“
„Wie bitte!? Ich bin VIP! VIP! Verstehen Sie das nicht!? Ich bin extra aus Mannheim hierhin gekommen! Ich bin nicht irgendein Besucher! Ich bin VIP!“
Das Weiße kriecht ins Auge des Polizisten...
„Pass auf: Hier geht gar nix mehr, die Fete is´ vorbei, schnallsse dat!? Dein Armband kannze inne Tonne kloppen! Hau ab jetzt! Verpiss dich!“
„Verdammt! Ich muss hier ganz einfach durch, ich muss! Ich bin VIP! Das kann doch nicht so schwer zu verstehen sein! VIP!“
Die blanke Wut schießt in dem Polizisten auf:
„Weisse, wat ich gleich muss, Männeken!?“
Ein zweiter Polizist mischt sich ein. Massen strömen vorüber, langsam, zäh. Tausendfaches Raunen, Murmeln. Was angeblich geschehen ist, was schief gelaufen sein könnte. Lachen. Fluchen. Laute Beschwerden. Torkeln, Stolpern, fliegende Händler, Drinks, Drinks, Drinks… Unverdrossenes Weiterfeiern in Biergärten, an Trinkhallen, vor den Internetcafés, den Asia-Shops, Bataillone von Bierdosen, dröhnende Techno-Beats, Radio- und Fernsehtöne aus weit geöffneten Fenstern: „…ein tragisches Unglück ereignet, dessen Dimensionen… spricht im Moment von dreizehn Toten… Lage noch nicht im Griff…“ Leergutsammler mit wuchtigen Einkaufstaschen bücken sich ekstatisch nach Flaschen und verbeulten Dosen, Helikopter rattern in schwülwarmer Luft. Laute Bässe dringen vom Festgelände in die City, versinken in Gemurmel und Geschrei und verstummen irgendwann ganz. Wieder und wieder wird von irgendwoher der neueste Stand der Dinge vermeldet, Opferzahlen, auf Monitoren blinkend.
Am Morgen danach, jetzt, herrscht Stille. Als wartete die bleiche Stadt auf so etwas wie ein vorläufiges amtliches Endergebnis. So weit das Auge reicht, beherrscht Unrat das Bild. Scherbenmeere sind die Pflaster geworden, Fetzen durchfeuchteter Poster kleben an Schaufensterscheiben, verlorene Schuhe, T-Shirts und Konfetti, Schnapspullen und zerquetschtes Weißblech säumen Gehwege und Grünstreifen. Abgerissene Wegweiser liegen in Blumenkübeln, zerbrochene CDs auf Gullydeckeln. Nirgends ist auch nur ein einziger Mensch zu sehen, nur in der Halle des Hauptbahnhofs finden sich noch Besucher, auf Bänken und Isomatten schlafend, dösend. Die üblichen Trinker und Obdachlosen fehlen. Das Herz der Stadt steht still. Unwirklich, geisterhaft rast ein Streifenwagen die Mercatorstraße entlang. Die ganze Gegend scheint nur ein Bühnenbild absurden Theaters zu sein, das vor allem aus einem Aufkleber besteht. An Laternenpfählen hinterlassen, an Zäunen und Schaufenstern. Ungezählte Exemplare davon liegen noch versiegelt in den Straßen zwischen allem Müll. Der Slogan darauf bringt den fröhlichen Geist der Raver auf den Punkt. Er fragt keinen VIP-Status ab, ist sehr schlicht, besteht aus drei Worten. Weiße Großbuchstaben auf schwarzem Grund. Von der Marienkirche über Sonnenwall, Königstraße und Mülheimer Straße bis hierher, zum Ludgeriplatz, überall liegen, fliegen die Worte:
DANCE OR DIE.
J.E. Gelbhaar 2012
Fotobock 26/08/2020 0:27
Immer wieder passieren solche Unglücke, wo Massen von Menschen sich zerdrücken und umrennen in Panik. Erinnere mich noch an das Unglück (1973) im Löwenbräukeller und auch im Olympiastadion. Absolut traurig. lg Barbaraanne47 25/08/2020 23:46
Ich kriege Beklemmung, wenn ich mir nur vorstelle, dort im Gedränge zu stehen. Die Leute hatten ja keinerlei Ausweichmöglichkeiten.Herr Sauerland hat ja von Anfang an seine Hände in Unschuld gewaschen. Es ist schon mancher Minister wegen kleinerer Lappalien zurück getreten, er nicht.
LG Anne
Kurt CLAUS 25/08/2020 10:44
Sehr trauriges Motiv. Gedenken und Nachdenken ist wichtig.Jeder Grundstückseigentümer und Veranstalter ist grundsätzlich für Sicherheiten der Teilnehmer verantwortlich, dachte ich...
homwico 25/08/2020 0:40
Es waren erschütternde Szenen. Aber ich glaube nicht, das man wirklich daraus gelernt hat. Die Gier nach Profit wird immer stärker sein.LG homwico
Vitória Castelo Santos 24/08/2020 23:42
Top Street!