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Andreas Bemeleit


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Mahler #5

Mahler #5

Mein Vater, ein Mann der alten Schule, orthodox bis ins Mark, hielt nicht viel von den leichten Dingen des Lebens. Seine Welt war streng, geordnet, durchzogen von Prinzipien, die ich als Kind nicht verstehen konnte. Aber es gab eine Ausnahme, eine einzige: Mahler.

Es war nicht so, dass Musik bei uns zu Hause einen großen Stellenwert gehabt hätte. Klassische Musik war für mich lange Zeit nur ein Begriff, ein leeres Wort, dem ich keine Bedeutung zuordnen konnte. Aber eines Tages, ich war vielleicht sieben Jahre alt, legte mein Vater eine Kassette ein. Mahler, die Fünfte. Und plötzlich veränderte sich der Raum, die Luft, alles. Es war, als hätte jemand die Schwerkraft verändert, als hätte alles um mich herum plötzlich eine Bedeutung, die es vorher nicht hatte.

Mein Vater setzte sich in seinen Sessel, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Die Musik füllte den Raum, und ich wagte kaum zu atmen, aus Angst, den Moment zu zerstören. Es war, als wäre ich plötzlich Teil von etwas Größerem, als hätte ich einen Schritt in eine Welt getan, die bisher nur mir gehört hatte. Die Melodien schienen eine Sprache zu sprechen, die ich nicht verstand, die aber in mir widerhallte.

Monatelang, vielleicht jahrelang, war diese Kassette sein ständiger Begleiter. Oft sah ich ihn einfach nur dasitzen und zuhören. Ich konnte nicht verstehen, warum er so versunken war, warum ihn diese Musik so gefangen nahm. Und dann, eines Morgens, war es vorbei.

„Warum hörst du sie nicht mehr?“, fragte ich in der Unschuld meiner Kindheit. Er sah mich an, mit einem Blick, der wehmütig und entschlossen zugleich war. „Ich habe sie ausgelöscht“, sagte er, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt.

„Aber warum?“ hakte ich nach, unfähig zu verstehen, wie man auf etwas so Schönes verzichten konnte.

„Man muss wissen, wann es genug ist“, antwortete er. „Mahler hat alles gesagt, was gesagt werden muß. Mehr zu hören hieße zu ertrinken“.

Diese Worte verfolgten mich. Wie konnte etwas so Schönes zu viel werden? Warum musste man aufhören, bevor man in der Schönheit ertrank? Aber ich verstand, dass es in seiner Welt keine halben Sachen gab, keine Kompromisse. Er wollte die Dinge in ihrer reinsten Form bewahren, bevor sie ihre Bedeutung verloren.

Viele Jahre später, mein Vater war längst nicht mehr unter uns, fand ich die alte Kassette. Sie lag verstaubt in einer Schublade, vergessen zwischen anderen Relikten der Vergangenheit. Ich zögerte lange, bevor ich sie einlegte. Die Melodien erfüllten den Raum, so intensiv wie damals. Ich lauschte und begriff: Mein Vater hatte sich nicht von der Musik abgewandt, weil sie ihm nichts mehr bedeutete. Im Gegenteil, sie bedeutete ihm zu viel.

Es war nicht das Ertrinken, vor dem er sich fürchtete. Es war der Gedanke, dass etwas so Schönes durch Gewöhnung seine Kraft verlieren könnte. Er wollte es rein, unversehrt, in der Erinnerung behalten, wo es immer vollkommen sein würde. Und ich verstand, dass in dieser Entscheidung mehr Liebe und Respekt steckte, als mir je bewusst gewesen war.

So blieb Mahler für mich eine Brücke in eine andere Welt, in die Welt meines Vaters, die ich erst nach und nach zu verstehen lernte. Eine Welt, in der man die schönsten Dinge manchmal loslassen muss, um sie in ihrer reinsten Form zu bewahren.

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Exif

APN E990
Objectif ---
Ouverture 4
Temps de pose 1
Focale 23.2 mm
ISO 400