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N. Nescio


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mausefalle

nikon coolpix

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Die Maus
aus Alfred Polgars „Zoologie“

Meine brave Frau Sedlak ruft: „Um Gottes willen, eine Maus! Da läuft sie!“ Da lief sie, huschte huschelig hinter den Kasten. Scharf in die schmale Finsternis zwischen Wand und Kastenrücken lugend, sahen wir die Maus, die uns sah und, von der greulichen Erscheinung der zwei Riesengeschöpfe in Herz und Gedärm getroffen, einen Posten schwarzer Punkte auf den Boden sprenkelte. Frau Sedlak bestand darauf, sofort den Hausbesorger zu verständigen. Der Hausbesorger meinte, in einem Köfferchen könnte sie mitgebracht worden sein, von der Reise. Oder im Kohlenkorbe aus dem Keller. Komplizen habe, seiner Ansicht nach, unsere Maus keine. So eine Maus sei oft plötzlich da, niemand wisse, woher. „Verschwindet sie auch wieder so? Plötzlich? Niemand weiß, wohin?“ Eine Mausefalle wäre, folge man ihm, immerhin rätlich. Ich wollte von Gewaltmitteln absehen. Möge die Maus, bis sie, vom Hunger benagt, die Nagende, nach üppigeren Gegenden auswandere, das Heim mit mir teilen. Doch die Hausgehilfin stellte kurzweg die Wahl: “Ich oder sie.“ Die Mausefalle wurde herbeigeschafft. Ich tat, was ich immer als erstes tue, wenn eine neue, der Wissenschaft zugängliche Erscheinung neue Fragen in mein Leben wirft: ich schlug nach im Konversationslexikon. Mein Gast führt, wie ward mir da, den Kosenamen mus musculus. Etwa „Mausmäuschen“. Also selbst die Wissenschaft sagt Mausi. Und ein Wesen, mit dem sogar die Lateinität zärtlich ist, das sogar von der Hand der Forschung gestreichelt wird, soll ich morden lassen? Lächerlich sind die Anklagen des Lexikons gegen das Geschlecht der Hausmäuse. „Sie wird durch ihre Naschhaftigkeit, mehr noch dadurch lästig, daß die wertvolle Gegenstände, namentlich Bücher, benagt.“ Meine Maus soll Bücher haben, so viel sie will. Sie kann sich den Verlag aussuchen. In die Falle lockt ein stark duftendes Stück geräucherten Specks. Endlich sehe ich einen nicht metaphorischen Speck, mit dem man Mäuse fängt. Daß es das wirklich gibt, was doch nur in der Sprache lebt! Es hat sein Ergreifendes, solches Zurückgleiten des Bildes in die Realität, solche Heimkehr der Phrase ins Vaterhaus. Manchmal höre ich Knabbern und Knistern aus der Zimmerecke. Das ist die Maus. Ich habe mich an sie gewöhnt. Ich möchte nicht mehr sein ohne sie. Sie beschäftigt mich, wenn mich nichts beschäftigt. Ihre geheimnisvolle Lebendigkeit durchtränkt wie ein zartes Fluid die Luft der Stube. Sie macht das Zimmer um ein Nuancechen heimlicher und um eines unheimlicher. Wo sitzt sie, was treibt sie, was plant sie? Wie gefällt es ihr bei mir? Hat sie Angst? Ist ihr bange nach andern Mäusen, oder schätzt sie, unsozial, die Einsamkeit? Ich möchte nicht, daß sie in die Falle geriete, ausgeliefert werden müßte ihren Henkern. Nein, das soll keinesfalls geschehen. Eine leichte Knickung der schicksalhaften Metallfeder… Frau Sedlak kann sich’s nicht erklären, wieso der Speck immer fort und die Maus nicht in der Falle ist. Siebenmal holte sie sich den Speck, dann kam sie nicht wieder. Sie verschwand, wie sie gekommen war. Kein Knabbern, kein Rascheln mehr. Es ist ganz still in der Stube, mäuschenstill geradezu. Warum ist sie nicht geblieben? Es ging ihr doch gut bei mir. Sie hatte Speck und Bücher und war sicher vor einer Welt, in der die Katze lauert, das Schweinfurtergrün und die biologische Versuchsanstalt. In der Nachbarswohnung ist ein Exemplar von mus musculus gesichtet worden. Nicht die unsrige, eine viel kleinere. Es gibt also Mäuse im Haus, Mäuse?!
Der Plural löscht alle Sympathie für das Einzelwesen.
Die Natur mag es halten, wie sie will – meine Liebe gehört dem Individuum, nicht der Gattung. Dies gilt, was mich anlangt, für alle warmblütigen Tiere, nicht nur für Mäuse. Deshalb habe ich die schicksalhafte Metallfeder wieder grade gebogen. Wenn nochmals eine Maus sich her verirrt, wird sie dran glauben müssen. Ich gehe keiner mehr in die Falle.
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also, die hier stammt vom 5.12.2005 und wurde von mir mehrmals gefangen - bis ich sie nicht mehr in den garten, sondern schlußendlich mehrere kilometer weit entfernt aussetzte.

Commentaire 17

  • Johann Pondorfer 25/01/2008 15:57

    Ein putziges Mausgetier, aber im Wohnmobil sind sie mir auch nicht so sympathisch.
    Jo's Frage wäre auch die meine, wie Du sie erkannt hast ?
    Hast sie markiert ? oder hat sie mehrmals die gleichen Vorlieben für bestimmte Sachen :-))
    lg Herwiga
  • J. Und J. Mehwald 24/01/2008 15:13

    Diese niedergeschriebenen Gedanken hatten wir auch schon, alles angesprochene haben wir selber schon erlebt, nur bis jetzt sind unsere Mäuse noch nicht weggefahren worden. Da sind wir uns alle einig! :-))
    Ach ja, das Bild ist klasse.
  • Jo Kurz 24/01/2008 10:19

    *g*
    ja, diese fallen verwende ich auch.
    du sagst, das mäuschen kam mehrmals zurück? bitte verrate mir, wie du es wiedererkannt hast... *g*
    gruss jo

    ps: der text ist köstlich!
  • Wolfgang Weninger 24/01/2008 9:58

    recht so, Mäuse gehören in die Wildbahn als Futter für die Eulen *g* gebackene Mäuse haben keine Fleischeinwaage :-)
    Servus, Wolfgang
  • Stefan Jo Fuchs 24/01/2008 7:08

    warum sich vor allem das weibliche geschlecht vor ihnen fürchtet oder ekelt, scheint auch mit udn nach deinem bild rätselhaft. sie sind eigentlich so niedlich. wenn sie dir im haus dann die knabbertüten und ähnliches anfressen - wie bei uns vor einiger zeit - muss man dennoch zur tat schreiten, wobei ich deine humane vorgehensweise hiermit ausdrücklich unterstütze:-))
    lg stefan
  • Wolfgang Graf 24/01/2008 6:50

    Schöne Makro :-)) aufnahme...
    Wenn Du ein paar hast, kannst Du einen Mantel draus machen!!
    lg
    Wolfgang
  • Wulf von Graefe 24/01/2008 2:51

    Ein sehr niedliches Bild, was über Deinem mitfühlenden Herzen auch den eigentlichen Knasteindruck unerheblich scheinen läßt ;-)
    Und danke für die wundervolle Geschichte dazu!
    lg Wulf
  • Sigrid nordlicht in der pfalz 24/01/2008 2:30

    alfred polgar liegt sozusagen grad neben mir im bett .... ich liebe ihn!
    ganz im gegensatz zu diesen viechern : vor denen kriech ich notfalls auf den schrank!
  • Marguerite L. 24/01/2008 0:18

    Ein so süsses Mäuschen .... und eine ganz tolle Geschichte.
    Ich habe öfters mal eine Maus in der Wohnung, die Katze bringt sie herein.
    Mit einem Körbchen fange ich sie, das dauert manchmal ...., und lasse sie im Garten wieder frei ... ja, ja es ist auch schon passiert, dass sie gleich wieder 'reingebracht wurde ;-))
    Grüessli Marguerite
  • N. Nescio 24/01/2008 0:17

    @christian: was, meinst du, wie mich frau, tochter und der rest der family beäugt hätten - jahrelang - wenn ich der maus nur ein härchen gekrümmt hätte ...
    lg gusti
  • Karl H 24/01/2008 0:15

    Nett sind sie ja - wenn sie sich nicht gerade in den Zwischendecken einnisten wollen ... :-))

    lg Karl
  • Christian Fürst 24/01/2008 0:13

    ach, wie schön. ich kannte auch so einen gutmenschen, der hatte eine hölzerne Falle und uhr damit mit dem fahrrad. klassische Mausefallen sind brutal.

    Diese Maus schaut schon so, als wisse sie, dass ihr nix geschieht!
  • KaPri 23/01/2008 23:55

    ha, sorry: die 120 jahre bezogen sich auf die maximale lebensdauer des menschen im vergleich zur maus im gefundenen artikel... die optischen mäuse werden kaum älter als hausmäuse... *g*
  • Dagmar Gernt 23/01/2008 23:40

    Ja, wir hatten auch mal eine in der Wohnung, die aus Vernunftsgründen per Falle den Tod fand. Und dann haben wir gestritten wer sie denn entsorgt. Ich hab verloren und in der Nacht von einem Mäuschen mit Nickituch geträumt. Eigentlich sind sie unheimlich putzig!
    Dein Foto zeigt es.
    Und die kleine Geschichte hab ich auch genossen.
    LG
  • KaPri 23/01/2008 23:18

    ah, I remember...and you were "driving miss mausi"...
    wie es ihr wohl ergangen sein mag? rein theoretisch könnt sie grad noch leben...(suchte gerade nach der lebensdauer von mäusen - und fand zuerst: optische mäuse: 120 jahre... dann aber: bis zu 4 jahre kann eine maus werden)

    eine nette geschichte zur guten nacht! und so ein süsses mausi!
    lg k