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Frank Mühlberg


Premium (World), Frankfurt am Main

McLaren M6B

Nürburgring Saisonfinale Orwell Super Sports Cup

Nikon D100 80-400mm VR-Objektiv, 1/250Sek. Blende 11
Brennweite 189bb = 270mm bei KB-Film

So - Ihnen macht also niemand mehr etwas vor? Sie sind schon mit dem Klapprad von Köln nach Rom gefahren, barfuß über glühende Kohlen gelaufen, und neulich haben Sie sogar einen Bungee-Sprung vom Fernsehturm gewagt. Mal ganz unter uns: alles Kinderkram! Wenn Sie wirklich Kontakt mit den Mächten des Bösen suchen, kommen Sie an einer Fahrt im McLaren M6B nicht vorbei!
"Wenn Ihnen die Belastung zu groß wird, geben Sie mir ein Zeichen." Manfred Dolata blickt mich besorgt durch sein halb geöffnetes Visier an und zurrt noch einmal die roten Sabelt-Gurte fest. Zu hohe Belastung? Dass ich nicht lache! Gut, "unser" CanAm-McLaren hat über 600 PS, wiegt nur 800 und ein paar zerquetschte Kilogramm und erweckt auch sonst den Eindruck, als käme er ganz gut um die Ecken. Aber die bei McLaren haben doch auch nur mit Wasser gekocht - damals, 1968. Ich nicke meinem Chauffeur freundlich zu. Alles Bestens. Rausfallen kann ich hier bestimmt nicht; mein Gestühl misst gerade mal 34 Zentimeter - wie maßgeschneidert für meinen Allerwertesten. "Gestühl" ist vielleicht etwas übertrieben - eigentlich hocke ich direkt auf dem Alu-Kastenrahmen, der idealerweise noch mit einer dünnen Lederhaut überdeckt ist. Mit dem rechten Fuß stütze ich mich auf einem winzigen gelochten Alublech direkt neben dem Kupplungspedal ab; das linke Bein muss ich so stark anwinkeln, dass ich das Knie fast in den Mund nehmen kann, damit der Schuh auf dem Feuerlöscher Platz findet. Den linken Arm lege ich auf den Seitenschweller, der so breit ist, dass ich auf ihm noch bequem meinen Nachlass regeln kann.
"Am linken Oberschenkel könnte es ein wenig warm werden", warnt mich der Chefmechaniker und deutet auf zwei gurkendicke Kühlwasserrohre, die ungeniert an meiner Sitzmulde vorbeiführen. "So knapp 100 Grad. Aber das spürst du kaum, weil dir auch sonst ziemlich heiß wird." Seltsam - jeder scheint sich hier größte Sorgen um mein Wohlbefinden zu machen. Ist doch auch nur'n Auto - wenn auch ein ziemlich unbequemes. Im selben Augenblick drückt Dolata den kleinen runden Starterknopf rechts neben dem Lichtschalter, und ich höre das helle Winseln des Anlassermotors. Und dann ist Schluss mit Lustig. Auf einen Schlag kehrt Leben in den 6,2-Liter-Chevrolet-Small-Block; mein lässiges Dauergrinsen friert augenblicklich ein. Eine gute Handbreit hinter unseren Hälsen tut sich gerade die Hölle auf, mit jedem Gasstoß rufen die acht zornigen Teufel ein wenig lauter nach uns. Dieses Geräusch flößt keinen Respekt ein - es macht Angst! Ob das so eine gute Idee war mit meinem offenen Jet-Helm? Ob ich nicht doch besser eine Schutzbrille aufsetzen sollte? Ob ich nicht doch jetzt lieber aussteigen sollte, um einen schönen Spaziergang zu machen oder so etwas?
Manfred Dolata nickt seiner Boxencrew zu, und während mir das Lächeln inzwischen völlig vergangen ist, beobachte ich, wie sich im Nu eine Traube Schaulustiger um das brüllende Etwas versammelt. Ein grauhaariger Mann im gesetzten Alter schaut mich verständnislos an, schüttelt den Kopf und fummelt anschließend an seinem Hörgerät herum. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er jetzt keine frische Batterie eingelegt hat, um uns besser hören zu können. Ein paar Jugendliche in zerschlissenen Jeans und Turnschuhen scheinen sich an dem Lärm weniger zu stören. Sie beugen sich interessiert über unsere Schultern, um einen Blick auf die Instrumente zu werfen. Einer von ihnen deutet auf den nervös zuckenden Zeiger des Drehzahlmessers und widmet mir ein anerkennendes Nicken. Der hat gut Lachen. Steht da draußen und betrachtet alles aus sicherer Entfernung. Und ich armer Idiot sitze hier mit meinem luftigen Jet-Helm ohne Schutzbrille und Ohrenstöpsel auf dem heißen Stuhl und warte auf meine gerechte Strafe. Freiwillig.
Mit einem leichten Ruck quittiert unser Fahrstuhl zum Schaffot den ersten Gang. Mein Ruf nach Papier und Feder wegen der Geschichte mit dem Nachlass auf dem Seitenschweller verhallt unter dem anschwellenden Gebrüll des Achtzylinders. Jetzt wird's ernst. Als Manfred Dolata die Kupplung kommen läßt, denke ich im ersten Augenblick, der Streckenmeister sei uns mit dem schweren Kehrwagen ins Heck gedonnert. Gegen diese Beschleunigung ist jeder Halsmuskel machtlos. Dumpf prallt mein Sturzhelm an die Querstrebe des verchromten Überrollbügels, und bis zum Ende der Boxengasse gelingt es mir beim besten Willen nicht, den Kopf auch nur einen Millimeter nach vorn zu beugen. Nur zweimal gestattet mir Dolata ein kurzes Nicken: bei jedem Gangwechsel eines. Als wir vorm Castrol-S auf die Rennstrecke stürmen wirft mein Chauffeur mir kurz einen fragenden Blick zu. Bestimmt will er jetzt hören, dass mir hundeelend ist und ich ihn bitte, dem grausamen Treiben Einhalt zu gebieten. Und genau das werde ich ihm jetzt signalisieren! Doch als der McLaren vorm Castrol-S scharf abbremst, nicke ich erneut - und das muss er irgendwie falsch verstanden haben...
Ich schließe die Augen. Mit dieser Geschwindigkeit schafft er das enge Rechts-links-Geschlängel nie. Schade, schießt es mir durch den Kopf, nicht mal die erste Kurve werden wir heil überstehen. Dann presst es mich hart gegen die beiden Kühlwasserrohre und anschließend nach rechts gegen Dolatas Schulter. Als ich die Augen wieder öffne, liegt das Castrol-S hinter uns. Irgendwie muss er da durchgeflogen sein, und irgendwie sind wir auch nicht übers Kiesbett gerutscht, und ich glaube, wir haben uns auch nicht überschlagen. Aber physikalisch war das nicht möglich, da bin ich mir ganz sicher. Ich habe keine Zeit, mir weitere Gedanken über das Castrol-S-Wunder zu machen, denn die Ford-Kurve kommt schnell näher. Diesmal schafft er's nicht. Diesmal werde ich genau hingucken und sehen, wie wir über die Curbs schießen. Doch wir schießen nicht über die Curbs. Wir pfeffern im zweiten Gang durch den Rechtsbogen wie ein überdimensionales Carrera-Bahn-Auto, das versehentlich mit Starkstrom gespeist wurde. Aha, so geht der Trick. Einfach Vollgas geben und durch. Den Rest erledigt das Auto. Wie war das? In der ersten Runde wollte Dolata das Auto erst vorsichtig warm fahren? Damit der Motor aus Betriebstemperatur kommt? Wie, bitteschön, sieht dann erst eine schnelle Runde aus? Im Augenblick rast der McLaren mit uns im fünften Gang auf die Dunlop-Kehre zu. Meine Augen tränen, meine Trommelfelle dröhnen, und jetzt zerplatzt mir zu allem Überfluß auch noch ein saftiges Insekt auf der Nase. Das tut weh bei 280 Stundenkilometern! Als die Dunlop-Kehre in greifbare Nähe eilt, lerne ich eine völlig neue Dimension des Bremsens kennen. Mit aller Kraft stütze ich mich mit dem rechten Schuh auf dem Alublech ab (Sie wissen schon, jenes zierliche Ding neben dem Kupplungspedal), während mein linker Fuß den Feuerlöscher malträtiert. Dolata lenkt ein, folgt der Ideallinie. Und schon drückt es mich wieder mit dem Oberschenkel gegen die heißen Rohre. Mein Kopf gehorcht der Zentrifugalkraft und drängt zum Kurvenäußeren - er wäre lieber noch ein Stück geradeaus weitergefahren. Im zweiten Gang donnern wird durch die 180-Grad-Kehre, und ich fühle mich wie Godzilla im Go-Kart. Jetzt geht's deftig bergauf zur RTL-Kurve. Für mich Gelegenheit, noch dreimal ordentlich zu nicken - dann ist der fünfte Gang drin. Längst kämpfe ich nicht mehr gegen meine tränenden Augen an, aber die Reste des dahingeschiedenen Käfers reibe ich mir von der Nasenspitze während die Tribüne 10a an uns vorüberfliegt. In RTL- und Bit-Kurve schunkele ich wieder ein wenig mit meinem Nachbarn und den gurkendicken Kühlwasserrohren, die sich trotz Lederauflage und Renn-Overall inzwischen anfühlen, wie der Griff eines Schmelztiegels. Und dann, auf dem Weg durch den Hatzenbach-Bogen, bergab zum Veedol-S, soll mir so richtig Hören und Sehen vergehen. Der peitschende Fahrtwind verfängt sich unter dem putzigen Schirmchen am Helm, zieht den Kopfschutz nach hinten, und ich werde vom Kinnriemen stranguliert. Nein, zeigen Sie bitte kein Mitleid an dieser Stelle, ich habe es selbst so gewollt. Im Veedol-S gibt es keine Gelegenheit, meinen Hut zu richten, aber vor der Coca-Cola-Kurve hätte ich das Ding schon gerne aus meinem Nacken entfernt. Manfred Dolata beobachtet mein Gehampel aus dem Augenwinkel, und ich weiß, dass er sich ein Grinsen nicht verkneifen kann...
Dolatas Einführungsrunde zum Kennenlernen und Aufwärmen ist zu Ende. Und ich auch. Mein Steuermann hingegen scheint ungeahnt Reserven zu mobilisieren. Wäre doch gelacht, wenn die Start-und-Ziel-Gerade nicht mit 300 Sachen ginge. Bestimmt stellen wir einen neuen Rekord für Landfahrzeuge mit Hubkolbenmotoren auf. Und morgen werde ich gefeiert - als erster Überlebender mit Jet-Helm ohne Brille. Im Prinzip gestaltet sich die zweite Runde genauso wie die erste. Nur, dass wir diesmal nicht so "dahinbummeln". Und dass mir diesmal die Augen nicht tränen, sondern sprühen. Außerdem bekomme ich noch ein lustiges Brandzeichen am Oberschenkel, und mein Kopf baumelt nun völlig unkontrolliert durch die Gegend.
Als nach weiteren zwei Runden plötzlich das inzwischen vertraute Achtzylindergebrüll abstirbt, öffne ich langsam wieder meine Augen. Da stehen wir wieder, mitten in der Boxengasse, umringt von ein paar Dutzend amüsierten Gesichtern. "Los", höre ich zwei Mechaniker tuscheln, "wirf ihm schnell den warmen Schokoriegel auf den Sitz, damit wir was zu lachen haben, wenn er aussteigt!" Ich steige noch nicht aus. Vorläufig nicht. Ich muss erst meine Sinne sortieren und warten, bis der Angstschweiß getrocknet ist. Und dann werde ich peinlich genau aufpassen, dass hier niemand mit Schokoriegeln hantiert.
Eines weiß ich nun. Die Fahrt im McLaren ist keine Runde im Kinderkarussel. Wenn Ihre sportliche Ertüchtigung nur darin besteht, abends das Bier aus dem Keller zu holen, buchen Sie lieber eine Busreise ins Sauerland.
Von Martin Brüggemann

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