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Dirk Hofmann


Premium (World), Eitorf

No busses 'til 4 AM

Benancio B. Ramirez treffe ich in einem Whataburger Fast Food Restaurant. Es ist Samstag Nacht, etwa um 01:00 Uhr. Während ich missmutig aufgrund nicht gelungener Aufnahmen, unzufrieden mit mir selbst und der Welt, auf einen Burger herumkaue, bemerke ich ihn alleine an seinem Tisch sitzen und mit gesenktem Blick einen Kaffee trinken.

Ich versuche es, gehe zu ihm herüber und spreche ihn an.

Ja, natürlich, gerne darf ich mich zu ihm setzen. Was ich denn mache und woher ich komme. Ich erkläre. Sehr schnell komme ich darauf zu reden, dass ich gerne Bilder von ihm machen und ein wenig mehr über ihn erfahren möchte. Er stimmt zu; wir gehen nach draußen und auf der Terrasse des Burger-Lokals erzählt mir mitten in der Nacht Mr. Ramirez seine Geschichte:

Geboren wurde er in Alpine, Texas, das etwa 300 Km südöstlich von El Paso liegt. Damals lebten in der kleinen Stadt etwa 4000 Menschen. Das war 1933 ... seitdem sind nicht wirklich viele dazugekommen. Er hatte als Truck-Fahrer sein Geld verdient und das ganze Land gesehen. Vielleicht hat er nie geheiratet, weil er immer unterwegs war und nirgendwo länger als ein paar Tage geblieben war. Irgendwann war er krank geworden ... er konnte nicht mehr fahren und stand plötzlich als „disabled man“ da. Das war vor mehr als 20 Jahren ... (Er erzählt nicht, um welche Krankheit es sich handelt und ich frage nicht danach).

Nach El Paso ist er gekommen, weil es damals ein Programm des El Paso State Center gab, in dem Mittellose mit Kostenerstattung für Ärzte, Medikamente und Behandlungen gefördert wurden. Rücklagen hatte er keine, so dass er auf diese Hilfe angewiesen war. Seitdem lebt er in einer Art „Residence for disabled“, gemeinsam mit zwei anderen Herren seines Alters bei einer Familie ...
In seiner Freizeit macht er nicht allzu viel ... er liest Thriller, wenn man ihm hier und da ein Buch schenkt. Manchmal bringen seine beiden Schwestern, oder sein Bruder, die ihn alle zwei Wochen abwechselnd besuchen ein neues Buch mit. Oft zieht er auch durch die Stadt und findet in Bussen oder an Bushaltestellen Zeitungen, die er liest.

Betteln kommt für ihn nicht in Frage. Er will nicht auf die Strasse, warum auch? Er hat Geld und ist mobil! (Ich biete ihm kein Geld an, sondern hole noch einen frischen Kaffee und decke ihn reichlich mit Zigaretten ein, die ich ihm in die Hand drücken muss, bevor er sie behutsam in seine Schachtel befördert.)

Das Bus-Ticket kauft er sich von den 40 Dollar, die er jeden Monat als Unterstützung erhält. Die Monatskarte, die er mit zitternden Händen aus seiner abgewetzten Geldbörse zieht, kostet ihn 10$. Der Rest wird eingeteilt und manchmal, ja, manchmal leistet er sich einen Kaffee in einem Fast-Food Restaurant, wenn er wieder einmal nicht schlafen kann. Dann fährt er mit dem Bus in eben eins dieser Restaurants und verbringt die Nacht dort. Weil in der Nacht einige Stunden lang keine Busse fahren, bleibt er dann bis in die frühen Morgenstunden dort sitzen und wartet darauf, dass irgendjemand eine Zeitung auf seinem Tisch liegen lässt, bevor der erste Bus fährt.

Während ich mich auf den Weg nach Hause mache, wartet Benancio Ramirez noch eineinhalb Stunden auf den ersten Bus ...




Commentaire 21

  • Anna Helmholz 01/05/2004 10:53

    hmmm... prinzipiell sehr interessantes gesicht, nur irgendwas fehlt zum "WOW IS DAS TOLL!!!!!"...
    anders beschneiden und s/w?!? weiß nich..

    rock on!
    anna
  • Dirk Hofmann 12/06/2003 23:05

    @raphael:
    danke für das kompliment, aber bei solchen vergleichen werde ich immer ein wenig nervös. da kamen schon namen wie "weegee", "holdt" oder jetzt guthrie und ich kann nur entgegnen: diese leute haben "mitten drin gelebt" ... ich kann nur an der schale kratzen und das noch nicht richtig.
    ich ziehe mich nach den aufnahmen in die geborgenheit und sicherheit von familie und beruf zurück, was den oben genannten nicht möglich war ...

    dennoch: der vergleich ehrt!

    gruß
    dh
  • Ray Riley 12/06/2003 10:26

    a true american hero, ein woodie-guthrie-bild
  • Erwin F. 07/06/2003 21:04

    ...das Bild ist schon Geschichte !!!
    Gruss,
    Erwin
  • Georg Banek – 1 04/06/2003 0:08

    Deine Geschichten machen aus den Bildern immer mehr, als eh schon in ihnen steckt. Es ist wundervoll, an diesen Begegnungen, die Du für uns erlebst, teilhaben zu dürfen. Danke.
  • Angelika Vaca Benavides 03/06/2003 23:25

    ein beeindruckendes portrait !
    danke auch für die wundervolle begleitgeschichte.
    lieben gruß Angelika
  • Dirk Hofmann 03/06/2003 20:21

    auch euch natürlich ein dank ...

    nachtrag zu dieter m:

    ich versuche mich an robert capas ausspruch zu halten: "... es gibt nur fotos, bei denen du nicht nahe genug dran warst ..." in letzter zeit gelingt es häufiger ... ;-)

    der vergleich mit holdt ehrt mich sehr ... aber ich fürchte, dass mir hierzu noch sehr viel fehlt ... holdt war während seiner reise 24 stunden mittendrin ... holdt hat alle risiken auf sich genommen und ist sie bewusst eingegangen ...
    mir bleibt immer noch der rückzug in die geborgenheit von familie und beruf ... ich kratze vielleicht ein wenig an der oberfläche ... aber nicht mehr.

    dennoch fühle ich mich jetzt sehr geschmeichelt!

    gruß
    dh
  • Egon Vellusig 03/06/2003 19:15

    Gut und bewegend (was soll ich mehr sagen).
  • Paul Scheller 03/06/2003 18:45

    Du schreibst gute Geschichten. Am liebsten hätte ich eigentlich mehrere Bilder dazu, ein solches, eines mit Umgebung, eines im Bus etc. pp.
    Paul
  • Dirk Hofmann 03/06/2003 15:14

    hallo da draussen!
    danke für die netten anmerkungen.
    in diesem fall hat mir das gesicht sehr fasziniert, weshalb ich wohl diese relativ engen ausschnitte gewählt habe. vielleicht liegt das unterbewusst auch daran, dass die burger-lokale hier alle mehr oder weniger gleich aussehen und für mich "nichts besonderes" darstellen.
    mich erstaunte bei der "auswertung" der bilder aber sehr, dass sich die beiden gesichter in meinen augen doch stark voneinander unterscheiden - in diesem bild kommt er mir recht markant vor, während er auf dem anderen noch eher distanziert aussieht (eins der ersten, die ich von ihm gemacht habe).
    auf jeden fall freut es mich sehr, dass ich euch wieder ein stück vom amerika, wie ich es erlebe vorstellen durfte.
    lg
    dh
  • Reiner K. 03/06/2003 10:55

    Tolle Story, sehr beeindruckendes Foto !
    Reiner
  • Blende EinsAcht 03/06/2003 10:41

    geht mir wie mike. auch ich hätte mir noch etwas mehr von seiner umgebung gewünscht. ansonsten: weiter so *g*

    lg
    barbara
  • Mike Peuker 03/06/2003 10:38

    Stakes Portrait mit gut erzählter Story.
    Ich glaube in diesem Fall hätte man auf dem Bild ruhig etwas mehr von der Umgebung sehen dürfen!
    LG Mike
  • Wolff H. 03/06/2003 9:19

    1 A
    Ich ziehe meinen Hut vor Deiner einfühlsamen Art, diese Bilder zu erzählen.


    Gruß Wolff
  • Thomas Meyer 03/06/2003 8:41

    Dirk, so kenne ich Dich ja gar nicht... Die Geschichte ist echt klasse erzählt, nur in den Augen hätte ich noch ein paar sehr unruhige Reflexe entfernt. Unruhe paßt doch gar nicht zu dieser Person. Aber weiter so!
    Gruß, Thomas