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Camera obscura, Doppelbelichtung, 6x6 Diafilm, Crossentwicklung

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"... Das Kind A.S. zeigte früh Absonderlichkeiten. Sein monoton wippender

Körper glich einem Kokon, einem unsichtbaren Kerker. Es hatte, da

man es zu uns brachte, keine Silbe je verlautbart, nichts schien es zu

erreichen, sein Blick glitt ohne Regung durch uns durch. Während der

Monate seines Aufenthalts dachte ich immer wieder: Fenster! Wir

brauchen eine Art Fenster! Doch alle Versuche, einen kleinsten

Durchschlupf zu finden, scheiterten. Ohne Fenster werden wir das

Labyrinth dieser Seele nicht verstehen, wird Hilfe niemals möglich.


Am Tag, da die armen Eltern mit ihrem wesenlosen Kind abreisten,

belichtete ich eine Platte.


Später zeigte sich Erstaunliches. Die Photographie brachte einen

Ausdruck zutage, den niemand je zuvor gesehen hatte: Das monoton

wippende Kind war unscharf – doch – in dieser Unschärfe zeigte sich

etwas, das an Lachen erinnerte.

Ich setzte Himmel und Hölle in Bewegung, doch alle Anstrengungen,

mit der Familie Kontakt aufzunehmen, scheiterten. Sie schienen wie

vom Erdboden verschwunden. Ich reiste von Dorf zu Dorf, sprach mit

den Bürgermeistern. Eine Familie mit einem auffälligen Kind, daran

hätte man sich erinnert. Doch vergebens.


Bisweilen scheint es mir, als habe es diesen Fall nie gegeben.

Was bleibt, ist meine Photographie. Ein geckenhaftes Grinsen,

das in seiner Wesenhaftigkeit lebendiger scheint als das arme Kind. "



Dr. Gordon Mendenhall, Psychiater, Aufzeichnungen 1930

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