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Rotröckchen

Foto von: Oskar


Rotröckchen musste die Großmutter besuchen. Die Eltern hatten es ihr aufgetragen und ordentlich was vom selbstgebrannten Fusel in den Korb getan, auf dass die Alte, die in einem Altenheim vor sich hin vegetierterte und nur von ihrer Widerwärtigkeit am Leben erhalten wurde, vom Genuss endlich ins Jenseits befördert würde, denn langsam wurde das ganz schön teuer. Öffentlichen Nahverkehr gab es damals noch nicht und so ging Rotröckchen durch den finsteren Wald. Da begegnete ihr der Wolf, und der sprach zu ihr: Rotröckchen, warum hast Du ein so schönes Körbchen und Rotröckchen antwortete: Damit ich das Gift zur Großmutter tragen kann, und der Wolf dachte, das Mädel wolle ihn foppen, auf das er sie in Ruhe liesse, fiel über den Korb her, soff den Fusel aus und verschied in seligem Vorlauf-Rausch.
Nun hatte Rotröckchen ein ernsthaftes Problem, konnte sie ihren Auftrag doch nicht mehr ausführen. Deshalb wandte sie sich an zwei durch die Gegend ziehende Sensationsreporter, die ihr die Geschichte plus ihre Jungfräulichkeit für eine Stange Geld abkauften, was zum restlichen Lebensunterhalt der Großmutter reichte.
Die Geschichte indes wollte keiner wirklich glauben. Deshalb schrieben sie sie um und sie wird heute noch in dieser veränderten Fassung Kindern als Gute-Nacht-Geschichte erzählt.

PS: Dass ein Altenpfleger aus Sonthofen auf irgendwelchen dunklen Kanälen an das Original gekommen sein soll, ist nichts als ein übles Gerücht.

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