Schwanenfeder
Die Feder
Eine goldne Feder fiel
Aus Gabriels Gefieder:
Der losen Lüfte Spiel
Allmählich sank sie nieder:
Zur Erde leise, leise,
Doch sicher gieng die Reise.
Am Berge Golgatha
Da blieb sie endlich hangen.
Es fühlte wer sie sah
Unsägliches Verlangen:
Erwerben wollte Jeder
Die große goldne Feder.
Man griff nach ihr, man zog,
Sie lag wie Blei am Platze;
Auch kaum ein Fläumchen bog
Gewalt am goldnen Schatze.
Man schirrte zwanzig Kinder
Davor: das half noch minder.
Da sah ein weiser Mann
Der Menschen thöricht Leben.
Er seufzte: gleich begann
Die Feder auszuschweben:
Vom Seufzerhauch gehoben
Entschwebte sie nach Oben.
Die ewge Wahrheit zieht
Kein Menschenwitz hernieder:
Versucht es, sie entflieht
Und schwebt zum Himmel wieder.
Mit Hebeln und mit Schrauben
Erzwingt ihr nicht den Glauben.
Karl Simrock
Aus der Sammlung Lieder und Romanzen
Vitória Castelo Santos 16/06/2018 22:22
Klasse Aufnahme in tollen Farben.lg Vitoria