Seehaus Hohes Fichtelgebirge
Wandererphantasie oder Hüttenzauber am Seehaus
O Täler weit, o Höhen!
Das Fichtelgebirge ruht im zauberhaften Abendglast. Müde tauchen wir Wanderer in die lieb gewonnene Jausenstimmung des Seehauses ein, laben uns an einer einfachen, aber wohlschmeckenden Brotzeit; gönnen uns einen gehopften Nachtrunk.
Es war ein schweißtreibender Aufstieg herauf, vorbei an den steinernen Zeugen der Vergangenheit, der Waldsteinruine, dem hochaufgetürmten Rudolfstein, dem Blockmeer des Habersteins und der mystischen Aura des Nußhardts.
Nun lechzt das müde Haupt nach einem Nachthäubchen voll Schlaf im Matratzenlager.
Es ist angerichtet. Bretthart gestärkt und geplättet erwarten uns existentialistisch kariertes Bettzeug und Laken. So muss es sein, gekuschelt werden kann zuhause! Flax den Rucksack mit einem burschikosen Bogen ins Eck’ befördert; eine Geste voller Übermut und losgelöster Lebensfreude. Dem Kiefernbretterboden entströmt ein kindheitsferner Duft von frischem Bohnerwachs.
Aber was ist das? Hat sich da nicht ein zweiter, in seiner aufdringlichen Würze überlagernder, Geruch dem altvertrauten Hüttenaroma beigesellt? Urheber dieses ungustiösen, ja einem beim Näher treten jegliche Besinnung raubenden Odeurs sind zwei schwere, an alte gusseiserne Bügeleisen erinnernde Haferlschuhe unterm Stockbett, dessen obere Etage man soeben bezogen hat. Die einzig verbliebene Liegestatt des Rustikalzimmers. Und da schlurft er auch schon vom Nebenraum herein, er, dessen ungewaschene Füße für diesen buttersäurehaften Duftkegel im Raum verantwortlich sind. Eingehüllt in dicke, zopfmusterne waidmanngrüne Kniesockerln, die sich offensichtlich gerade in der Endphase ihres Langzeittragerekords befinden.
Ein benommenes Taumeln ans Fenster. Auf so weit es geht. Die Lungenflügel wie ein Süchtiger an der harzigen Waldluft voll pumpen! Sauerstoff!
Schließlich gelingt es uns, das Ohr ins etwas kratzige Kissen zu betten, da wird letzteres eines feinen, mehrstimmigen Chores von Summgeräuschen gewahr, dem just quälende Stiche in der Armbeuge und Kniekehle auf dem Fuß folgen.
Bald ist der ganze Schlafsaal von winzigen, aber blutdürstigen Mücken bevölkert; zu spät!
Hastigen Sprungs ist das Fenster wieder zugetan, doch was an peinigender Belagerung inzwischen herinnen Mitquartier bezogen hat, bleibt fortan ein sprudelnder Quell des Ärgernisses. Hier wieder ein Stich ins Ohrläppchen, da ein Ansetzen kleiner Stachel am Nacken, begleitet von einem hohlhändigen Klatschen.
Auch in den anderen Betten ertönen fröhlich noch stundenlang, von kurzzeitigen Schnarchorgien unterbrochen, ähnliche Geräusche herüber oder herauf, manchmal schallgedämpft von der Zudecke, dann wieder hell schnalzend auf blanker Haut. Und über allem lastet das dumpfmuffige Höllengebräu dieser schweißkäsigen Socken, welche unschuldig zusammengerollt ihres bügeleisernen Flakons entströmend, diesen ganz besonderen Hüttenzauber bescheren...
Nach dieser ganzheitlich-sinnlichen Fichtelgebirgsnacht erheben wir uns zerstochen, wundgescheuert und atemnötig und unterziehen den bleiernen Wandererleib unterm eiskalten Wasserhahn einer weiteren morgendlichen Schocktherapie. The torture never stops.
Aber schon erwecken die zünftig gebratenen Spiegeleier, der Tee und Kaffee und die frischen Brötchen drüben in der Wirtschaft wieder alle unsere Lebensgeister.
Und aufgezurrt ist er bald wieder, der hingeflaxte Wandrerrucksack, ein Poncho wird übergeworfen und hinaus geht es unter heute traufende Fichten, denn ein fortdauernder Regen sorgt für lustig patscherlnde Geräusche unterm Wanderstiefel.
P.S. Ich muß anführen, daß sich seit dieser etwas derben Anekdote aus den 90er Jahren viel geändert hat auf dem Seehaus. Kaltwasser und Kratzlaken sind nicht mehr. Geblieben sind die einzigartige Stimmung und leider auch die Mücken im Sommer. Die persönliche Körperhygiene einzelner Wanderer hingegen steht bisweilen nach wie vor auf dem Prüfstand... (A.d.V.)
http://www.youtube.com/watch?v=YyAcXhaEr5U&feature=related
http://de.wikibooks.org/wiki/Kronacher_Ausfl%C3%BCge:_Fichtelgebirge
Joachim Irelandeddie 11/01/2021 14:23
Eine abenteuerliche Geschichte die du hier zu der Aufnahme von der Hütte nieder geschrieben hast! Manchmal ist wohl so ein rustikales Leben doch mit unangenehmen Begleiterscheinungen verbunden! Schöne Aufnahme und Begleittext :-)lg eddie
Eifelpixel 07/11/2015 6:25
Sieht aus wie eine Alm in den BergenImmer gutes Licht wünscht Joachim
Gerhard Meyer1 12/12/2011 8:23
...klasse...lg Gerhard
Markus 4 08/12/2011 19:26
klasseHabedieehre
Markus
Daguma 07/12/2011 21:21
Herrlich! Du hast wirklich Talent zum Schreiben - z.B. von heiteren Kolumnen...