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Stillsitzen ! Mund halten ! Gedicht aufsagen !

Stillsitzen ! Mund halten ! Gedicht aufsagen !

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Jürgen Laudi


Premium (Basic), Schönkirchen

Stillsitzen ! Mund halten ! Gedicht aufsagen !

Das verwendete "Klassenfoto" stammt aus Halle/Saale. Bei näherem Hinsehen gibt es jedoch einige Rätsel auf, denn die Kinder auf dem Bild sind sehr unterschiedlich alt - den Gesichtern nach etwa zwischen 5 (vorn unten rechts) und 15 Jahren (dritte und obere Reihe, jeweils Mitte). Es ist auch kein Konfirmationsbild - dagegen spricht die eher "alltagstaugliche" Kleidung der Mädchen, die auf Konfer-Bildern damals immer schwarz gekleidet waren. Meine Vermutung geht dahin, dass gar keine Kinder einer Halleschen Schule abgebildet sind, sondern dass dieses Bild aus einer anderen, kleineren Ortschaft stammt und die gesamte Schülerschaft der dortigen ein- oder zweiklassigen Ortsschule zeigt, und zwar anlässlich der Schulentlassung der Ältesten.

Commentaire 7

  • T. Schiffers 16/08/2021 20:32

    gutes und sehr interessantes bildwerk zur schulzeit in verg. zeiten...topdas.tino

     Staubsauger Omega 1064
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    T. Schiffers
  • p.z 11/08/2021 22:52

    Klasse Fotoarbeit. 
    VG Peter
  • ConnieBu 10/08/2021 17:03

    Dein Text lenkt mich jetzt total von der Überschrift ab. Als ehemaliges Deutsch-Streberchen würde ich jetzt lieber ein lustiges Gedicht aufsagen!!!
    ....


    Sebastian im Traum von Georg Trakl

    Mutter trug das Kindlein im weißen Mond,
    Im Schatten des Nußbaums, uralten Hollunders,
    Trunken vom Safte des Mohns, der Klage der Drossel;
    Und stille
    Neigte in Mitleid sich über jene ein bärtiges Antlitz

    Leise im Dunkel des Fensters; und altes Hausgerät
    Der Väter
    Lag im Verfall; Liebe und herbstliche Träumerei.

    Also dunkel der Tag des Jahrs, traurige Kindheit,
    Da der Knabe leise zu kühlen Wassern, silbernen Fischen hinabstieg,
    Ruh und Antlitz;
    Da er steinern sich vor rasende Rappen warf,
    In grauer Nacht sein Stern über ihn kam;

    Oder wenn er an der frierenden Hand der Mutter
    Abends über Sankt Peters herbstlichen Friedhof ging,
    Ein zarter Leichnam stille im Dunkel der Kammer lag
    Und jener die kalten Lider über ihn aufhob.

    Er aber war ein kleiner Vogel im kahlen Geist,
    Die Glocke lang im Abendnovember,
    Des Vaters Stille, da er im Schlaf die dämmernde Wendeltreppe hinabstieg.

    2
    Frieden der Seele. Einsamer Winterabend,
    Die dunklen Gestalten der Hirten am alten Weiher;
    Kindlein in der Hütte von Stroh; o wie leise
    Sank in schwarzem Fieber das Antlitz hin.
    Heilige Nacht.

    Oder wenn er an der harten Hand des Vaters
    Stille den finstern Kalvarienberg hinanstieg
    Und in dämmernden Felsennischen
    Die blaue Gestalt des Menschen durch seine Legende ging,
    Aus der Wunde unter dem Herzen purpurn das Blut rann.
    O wie leise stand in dunkler Seele das Kreuz auf.

    Liebe; da in schwarzen Winkeln der Schnee schmolz,
    Ein blaues Lüftchen sich heiter im alten Hollunder fing,
    In dem Schattengewölbe des Nußbaums;
    Und dem Knaben leise sein rosiger Engel erschien.

    Freude; da in kühlen Zimmern eine Abendsonate erklang,
    Im braunen Holzgebälk
    Ein blauer Falter aus der silbernen Puppe kroch.

    O die Nähe des Todes. In steinerner Mauer
    Neigte sich ein gelbes Haupt, schweigend das Kind,
    Da in jenem März der Mond verfiel.

    3
    Rosige Osterglocke im Grabgewölbe der Nacht
    Und die Silberstimmen der Sterne,
    Daß in Schauern ein dunkler Wahnsinn von der Stirne des Schläfers sank.

    O wie stille ein Gang den blauen Floß hinab
    Vergessenes sinnend, da im grünen Geäst
    Die Drossel ein Fremdes in den Untergang rief.

    Oder wenn er an der knöchernen Hand des Greisen
    Abends vor die verfallene Mauer der Stadt ging
    Und jener in schwarzem Mantel ein rosiges Kindlein trug,
    Im Schatten des Nußbaums der Geist des Bösen erschien.

    Tasten über die grünen Stufen des Sommers. O wie leise
    Verfiel der Garten in der braunen Stille des Herbstes,
    Duft und Schwermut des alten Hollunders,
    Da in Sebastians Schatten die Silberstimme des Engels erstarb.

    ... 
    Doll, ne? 
    :))))
    • Jürgen Laudi 10/08/2021 18:44

      Doll - im Sinne von "hinreißend" ?  Eher nein.  Doll im Sinne von "Schwelgen in Symbolen und dunklen Andeutungen" - ja.  Ich glaube, es ist schlichtweg nicht möglich, über Inhalt und seine Bedeutung dieses Gedichtes zu einer schlüssigen, gewissermaßen "endgültigen" Fassung zu kommen.  Zu sehr werden hier Symbole mit einander verknüpft und auf einander getürmt, und mit der zwangsläufigen Unschärfe eines jeden Symboles steigt die Unschärfe - oder etwas überspitzt gesagt : die Undeutbarkeit- des ganzen Textes.  Mit einzelnen Bildern des Textes kann ich mich gut anfreunden, aber mit der Verknüpfung solcher Bilder ohne (für mich) erkennbare Sinnhaftigkeit habe ich so meine großen Schwierigkeiten (Beispiel Zeile 9 - 13.  Oder 2. Vers, die letzten beiden Dreizeiler). Sollte ich gezwungen sein, eine Kurz-Interpretation dieses Gedichtes abzugeben, dann würde ich alles etwa auf den Nenner bringen, dass Trakl hier  Ausweglosigkeit und "süße" Todessehnsucht zum Thema nimmt  und sie in expressionistischer, symbolistischer Sprache, in dunklen Bildern auf einer tieferen, sehr emotionalen Ebene des Empfindens formuliert.  Je nachdem, wie ein Leser auf dieser Ebene ansprechbar ist oder nicht, bekommt er dann Zugang.
      Du siehst schon - ich war in der Penne kein "Deutsch-Streberchen".  Schlimm, schlimm ... ;))
      LG, Jürgen
    • ConnieBu 12/08/2021 17:44

      Große Güte! da habe ich ja nochmal was losgetreten ... und du hast dir noch solche Mühe hier mit einer Antwort gegeben. Herzlichen Dank dafür, Jürgen.
      Nun - wir werden nie erfahren, was sich der Herr Trakl da gedacht hat und in welcher Gemütsverfassung er wohl war ... oder wie man das im Nachgang - weit über 100 Jahre später noch interpretieren sollte.
      Eines darfst du aber erfahren: meine Gemütsverfassung beim Einstellen dieses soooo langen Textes.
      Bei der Aufforderung "Stillsitzen ! Mund halten ! Gedicht aufsagen !" kam das kleine Trotzköpfchen in mir widder durch: Stillsitzen??? Nie und nimmer!!! Mund halten? Ja gerne. Wer denkt und trotzt, kann dabei durchaus den Mund halten. Gedicht aufsagen? Jaaaaa - bei Gedicht gibt es spontan gesehen genau 2 (!!) derer von:
      1) Zicke, zacke
      Hühnerkacke! und 
      2) Der Zauberlehrling von Goethe oder vielleicht noch 
      3) der Herr von Ribbeck auf Ribbeck und so weiter
      ... Nö!! Wenn schon - denn schon. Und dann den Trakl. Der ist undurchschaubar und guckt blaue !!! Schmetterlinge (!!!!!!) im Gebälk, die aus silbernen Puppen schlüpfen. 
      Ja - wenn da keine Freude aufkommt!!! ... wenn da kein Lebenswille vorherrscht. Wenn da keine FREUDE in Reinstform erkennbar ist  - wann dann? 
      :))))
      Dir einen tollen und inspirierenden Abend noch - auf welcher Ebene auch immer :))) ... und ja:
      Mathematiker sind immer so schrecklich lösungs-orientiert.
      Bei langatmigen Frauenanmerkungen reicht manchmal schon ein kurzes: Ja. Stimmt. Hast Recht! :))))))
    • Jürgen Laudi 13/08/2021 7:45

      ...und wenn dieses "Ja. Stimmt. Hast Recht." nicht wie erwartet kommt, dann ... siehe mein letztes Mittwochsblümchen-Bild ! ;)))
      LG, Jürgen
  • Jürgen Hanke 10/08/2021 14:29

    Mit deiner Vermutung wirst du wohl richtig liegen. Ich weiss aus den Erzählungen meiner Großmutter, dass noch in den 30er-Jahren in kleineren Dorfschulen mehrere Jahrgänge gleichzeitig von einem Lehrer gemeinsam in einem Klassenraum unterrichtet wurden.
    Da musste schon eine gewisse Disziplin herrschen, sonst hätten die Kinder nichts gelernt.
    Sehr interessantes Zeitdokument, das du hier zeigst.

    Gruß
    Jürgen