Matthias von Schramm


Premium (World), Hamburg

Theater

Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich grad bei Ingo angefangen. Er bewegte seinen Rollstuhl noch selbstständig durch die Wohnung, lächelte oft von mild bis äußerst fröhlich und sah mir zu, wie ich das Gemüse schnippelte. Er war heiß auf Bratwurst, aber gesunde Ernährung stand auf dem Spielplan. Er war durchaus in der Lage dieses lächelnd hinzunehmen. Schließlich wollte er hundert Jahre alt werden, auch wenn ihm immer bewusst war, dass seine Krankheit dies verhindern würde.

Damals hatte sich grade meine Theatergruppe aufgelöst mit der schönen Frau Anuschka Maria Krohn. Sie konnte auf Bestellung die wunderbarsten Krokodilstränen kullern lassen. Sie saß dann da im Herrenunterhemd und schrie, bis unser Übungsraum bebte. Ihr Mund verwandelte sich zu einem jungen Kelch. Sie hatte mir versprochen, ihren Mann zu verlassen, der ihr das Theaterspielen verbieten wollte, und mit mir in ihrem alten Volvo ein Stück Freiheit zu genießen.

Nach der Auflösung der Theatergruppe, versuchte ich sie zu vergessen. Schließlich wäre nie etwas aus uns geworden. Sie hatte eine Schrankwand als Bürde und war ein wenig Luxus gewöhnt. Ihr Mann arbeitete bei Mont Blanc, sie bevorzugte zwei Tennislehrer gleichzeitig, die in der Lage waren anschließend noch unter Squashpeitschen zu schwitzen. Solche Typen vom Schlage Mark Jennings aus dem Denver Clan, wenn auch ohne Schnauzer. Trotzdem war ich ganz schön verliebt damals und sehr gut im Vortäuschen ekstatischer Begeisterung. Dies hatte ich von ihr gelernt. Es war halt „Theater.“

Als ich Ingo mit gedünstetem Gemüse fütterte, berichtete ich mit gedämpfter Stimme, dass Anuschka unter Kerzenlicht und klassischer Musik die linke Brust abgenommen werden musste. Angeblich hatte sie es sich so gewünscht. Ich sagte ihm, dass ich sie nicht einfach so anrufen könne. Er lachte mich aus und sagte: „Dass ist doch kein Ding. Ruf einfach an. Sie freut sich. Kannst du gleich von hier aus machen!“

Ich hatte ihren Mann am Telefon. Der war sehr freundlich und so unnatürlich wie immer. Er gab mir Anuschka. Und am Telefon spielten wir Theater.

20. Mai 2010

Bunter Blick in die Zukunft
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Matthias von Schramm


Lenalein an Herrchens Grab
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Matthias von Schramm

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