Wahrscheinlichkeitsrechnung...

Wahrscheinlichkeitsrechnung...

für Naturfotografen

1. Wahrscheinlich regnet es, wenn du Zeit zum fotografieren hast.

2. Wahrscheinlich scheint immer dann die Sonne, wenn Du im Büro sitzt.
Du machst extra früher Schluß, um die schöne Abendsonne auf den Chip zu bannen.
Wahrscheinlich schieben sich aber gerade dann Wolken über diesselbe,
wenn du dein Stativ aufgebaut hast.

3. Wahrscheinlich rasten gerade dann die Zugvögel am Fotospot, wenn du nicht da bist.
Wahrscheinlich sind sie 5 Minuten bevor Du ankommst weitergeflogen.

4. Wahrscheinlich passt immer einer der Faktoren nicht.
Wahrscheinlich tummeln sich die seltensten Tiere vor dem Objektiv, aber es gibt kein Licht.
Wahrscheinlich ist gerade das geilste Abendlicht in diesem Jahr auf dem Eisvogel-Ast.
Wahrscheinlich ist aber heute der einzige Abend, an dem er nicht kommt.

5. Wahrscheinlich hast Du dich mal wieder für den falschen Spot entschieden.

Du hast vor der Regenzeit an deinem Spot an der Singvogelwarte
bei bestem Licht vergebens auf die Gäste aus dem Norden gewartet.
Dafür konntest Du mit dem Fernglas sehr schön beobachten, wie die Falken über dem Felde
rüttelten, kiloweise Mäuse fingen und sich mit den Krähen schlugen.

Beim nächsten Mal wirst du dein Zelt am Feldrand installieren.

Endlich Sonne, und die Vorfreude auf geniale Bilder von sturzfliegenden Falken,
flüchtenden Mäusen und kämpfenden Bussarden, nur wenige Meter von deinem Zelt entfernt,
lassen Dir schon jetzt die Hände zittern.

Nach der ersten Stunde wirst Du ruhiger, erfreust Dich am Anblick eines Hasen, der – 40 Meter entfernt –
die warmen Sonnenstrahlen zu einer ausführlichen Putzorgie nutzt.

Nach der zweiten Stunde, schon leicht ungeduldig, schaust Du den Mäusen zu, die immer wieder
zwischen den Grasbüscheln hin- und herrennen. Keine drei Meter weg, aber damit bereits deutlich
unter der Naheinstellgrenze Deines Objektives.

Während der dritten Stunde verdunkelt sich der Himmel. Ein Schwarm Zugvögel fliegt ein,
mit dem Fernglas erkenne ich Wiesenpieper, Steinschmätzer und andere.
Sie lassen sich auf der Singvogelwarte nieder. Wir erinnern uns - das war der Spot, an
dem bislang nichts ging und den wir deshalb für heute nicht gewählt haben.

Ein Mann, eine Entscheidung. Schnell abgebaut und das ganze Tackle um
die 20 Meter verlegt. Auch der Schwarm scheint aus lauter Männlein zu bestehen,
denn auch er trifft eine schnelle Entscheidung. Zu meinem Leidwesen lautet die:
Weiterziehen nach Süden.

Einsam und verlassen liegt nun der kahle Strauch vor mir.
Sollte ich noch erwähnen, dass just in diesem Moment der Turmfalke
am vorherigen Spot eine fette Maus verzehrt? Nein, nicht nötig. Ihr seht es ja selbst.

Warum ich das Ganze so breit erzähle? Na, ich brauche ja schließlich eine Rechtfertigung dafür,
dass ich die Szene nur in Doku-Qualität einstelle.

Schönes Wochenende, viel Licht und seltene Motive wünsche ich allen.



Wildlife 2005
20D + 4/600 + 1.4 TC
Mehr Bilder auf http://www.naturfotografie.org