Zum 9.11.2004 (1) (15 Jahre zuvor: was ...)
... tat ich da? Nun, ich weiß es noch genau: nach einem Telephonat mit meiner damaligen Freundin, die in Hamburg lebte, fing ich an zu bügeln, Hemden für die kommende Woche; wie oft und ohne bestimmten Grund schaltete ich die AK (Aktuelle Kamera :-) ), jedenfalls DDR-Fernsehen, ein; Schabowski las irgendeinen Text vor. Ich hörte mit halbem Ohr hin, irgendwie war ich in Gedanken in Hamburg; etwas "störte" mich: was war das? Alle Bürger könnten ausreisen? Die Grenzorgane seien angewiesen ... oder so ähnlich? Die Szenen in den Botschaften waren sehr gegenwärtig, die Friedensgebete im Ostteil und in Leipzig ebenfalls. Ich telephonierte mit einem Freund, und dann nochmals mit Hamburg, und schwang mich in mein Auto und fuhr zu meiner Arbeitsstelle (Uni wollte ja finanziert werden), dem Reichstag. Auf der Avus dann Trabbis?? Ja!! Und Stau am Funkturm, um diese Zeit? Wen störte es? Unwirklich, unglaublich. Zum Reichstag kam ich nur mit meinem Dienstausweis durch, und dann kurze Gespräche mit der Sicherungsgruppe, und rauf auf das Dach: sie kamen gerade, Tausende, an das Brandenburger Tor; und sie stiegen dann über die Absperrungen oder öffneten sie; und sie erkletterten die Mauer, und die Menschen auf "unserer" Seite waren ruhig, fassungslos, stiegen dann auch hoch. Oder umgekehrt, jedenfalls waren sie plötzlich auf dieser Mauer.
Und kein Schuß fiel.
Den Rest der Nacht verbrachte ich mit Fahrdiensten mit meinem kleine alten Auto, brachte junge Menschen nach Tegel und anderswo hin, Großeltern zu besuchen, Freunde zu sehen, die "rübergemacht" hatten.
Und am Morgen, frisches Hemd und kein Schlaf, dann wieder am Reichstag (schon damals Sitz des Bundestages), ratlose Politiker (West) und viele, viele Menschen, die sich freuten (West und Ost). Und immer noch kein Schuß.
Nichts war mehr wie es gewesen war.
Danke!
Zum Bild: etwas bearbeitete Aufnahme aus dem Jahr 1989, Sommer, vom Dach des Reichstages aufgenommen, in irgendeiner Mittagspause an einem Sonntag wahrscheinlich.
Weiteres Bild:
Noch älteres Bild:
Und ein Bild zum Thema dieses Tages, auch zu der Pogromnacht am 9.11.1938:
Hierzu auch:
http://www.lpb.bwue.de/publikat/pogrom/pogrom.htm
http://www.nadir.org/nadir/initiativ/agip/aim2004/startseite.html
http://tacheles.hagalil.com/Kalender
Auch dieses Datum darf nicht vergessen werden.
Gruß und Dank für Euer Interese.
Hellmut Hubmann 11/11/2004 19:05
Ein Bild der Erinnerung für Reflexionen unterschiedlichster Art.> FRIEDEN
Habe ich eine Meldung verpaßt? In den vergangenen 15 Jahren kam der Krieg immer näher und die Bundeswehr sammelt Erfahrungen unter scharfem Beschuß.
Gruß
Hellmut
Peter Wolf v. Miriquidi-Staufen 09/11/2004 22:32
Dank für Euere Anmerkungen; Mirko: doch, der Reichstag war der Sitz des Bundestages in Berlin, mit Ausschußsitzungen, Tagungen, Empfängen (ich erlebte so verschiedene Präsidenten (Chaim Herzog, Reagan, Mitterand, ...), und viele, viele deutsche Politiker, Militärs, Bürger, die alle dieses Mauer-Monstrum nicht begreifen konnetn (nun, einige fanden sie ganz gut :-(). Nachts, wenn nur der Todesstreifen erleuchtet gewesen war, bedrückte es besonders Stephan und Anja: ich weiß; aber jedem, der so redet, wünsche ich eine Zeitreise zurück; und endlich die Erkenntnis, daß die Nachkriegszeit jetzt beginnt. Und es liegt an uns, ob wir dieses Mal zum allgemeinen Frieden und zum allgemeinen Wohlstand in Europa undder Welt beitragen können und unserer Verantwortung gerecht werden können. Auch eine Verpflichtung aus dem 9.1..1938 und 1918. Sandra und Uwe und Horst und alle nochmals Dank. Gruß.Horst Wunderlich 09/11/2004 21:20
Hallo Peter,danke, daß du den 9.11. 1989 und auch den 9. 11. 1938 hier an diesem Platz würdigst.
Es ist ein Geschichtsbuch, in das du die Betrachter einbeziehst.
LG. Horst.
Thomas Geng 09/11/2004 20:49
Wehmut macht sich breit wenn ich an die Zeit denke.Uwe Sauerland 09/11/2004 20:40
Leider habe ich aus der Zeit keine Fotos von der Schandmauer.Jeder hat wohl seine eigene Erinnerung an diesen Tag. Ich weiß noch genau, was ich tat, als auch ich die Ankündigung von Schabowski im Radio nicht richtig würdigte.
Aber abends strömte mir die Realität entgegen: Ich wohnte damals am Grenzübergang Sonnenallee… :)
Gruß Uwe
J. Ecco 09/11/2004 17:23
Freue mich sehr, daß du auch auf den 9.11.1938 zu sprechen kommst. Leider wird das ja gar nicht mehr angesprochen heutzutage...Sam
S.M. H. 09/11/2004 9:22
ein grandioser tag - und deine persönliche geschichte ist bewegend - das bild rundet das ganze ablg
sandra
Tobias Nackerlbatzl 09/11/2004 9:19
Ich mag solche Zeitdokumente auch sehr, ein gutes Bild, das Du uns da zeigst. Die Geschichte dazu find ich auch sehr interessant, heute weiß wirklich noch fast jeder, was er damals gerade gemacht hat.LG,
der Nackerlbatzl.
Mirko Seidel 09/11/2004 9:09
ein klasse Zeitdokument!Der 9. November 1989 ist einer der wenigen tage, an dem man so ziemlich genau weiß was man gerade gemacht hat, als das Ereignis seinen Lauf nahm.
Kaum vortsellbar, dass dies (erst/schon) 15 Jahre her ist.
Der Reichstag war damals noch kein Sitz des Bundestages, oder? Er hat vielleicht mal dort getagt, aber offiziell war doch Bonn Regierungssitz und Tagungsort.
VG Mirko
Peter Wolf v. Miriquidi-Staufen 08/11/2004 23:57
Ingo: ja, die straße scheint heute dort zu verlaufen; kaum zu glauben; nochmals Mareike: jetzt erinnere ich mich auch an den Kirchentag, konnte wegen der Arbeit (immer am Wochenende und an Feiertagen besonders viel eingeteilt) nur kurz teilnehmen; und jetzt noch ein Bild von heute, vor dem Brandenburger TorWelch ein Unterschied. Gruß.
Ingo T. 08/11/2004 23:47
Hallo Peter !Eine wirklich historische Doku ! Gefällt mir, zumal ich das Brandenburger Tor nur im derzeitigen Zustand kenne. Das einzige was ich immer noch sehe ist die Mauerlinie !
Gruß
Ingo
Peter Wolf v. Miriquidi-Staufen 08/11/2004 23:42
Danke für Eure Anmerkungen, war mir nicht sicher, ob ich diese meine kleine Geschichte hier schreiben sollte; ja, Mareike, mir geht es heute auch noch so, ich sah wieder mein Zimmer und erinnere mich an diese Tage in Berlin, in denen nicht geschimpft worden ist, in denen ich kein böses Wort gehört habe, wirklich wahr; und ich bin auch noch heute sehr ergriffen. Philip: leider sind die noch vorhandenen Bilder (ein Teil ist damals wohl in Hamburg geblieben :-)) alle ziemlich angegilbt oder eben von sehr geringer technischer Qualität, die Kamera war eben die eines "armen" Studenten ..., Karin und Alexander: Dank auch an Euch, und ich stimme zu, es war ein guter Weg, denn er war friedlich und mutig (im Osten) und anständig; und es wäre doch zu schlimm, wenn wir dies vergäßen und nicht die Schwierigkeiten in den Griff bekämen. Gruß und Dank.Alexander Mehnert 08/11/2004 23:23
Hallo Peter,ich war zwar damals noch jung, aber jetzt leb ich in München und bin immernoch der Ossi, irgendwie hängt es einem an...aber warum...
Aber wenn ich deine Geschichte so lese und das Bild sehe, dann weiß ich wie richtig das hier alles ist. Jetzt mal ganz von der Wirtschaft abgesehen. Aber rein menschlich ist ein ein guter Weg gewesen, den wir Deutschen da beschritten haben...
Danke Dir für diese Gedanken und Erleuchtungen an diesem späten Abend :)
Und das Bild kenn ich nur zu gut...und wie es jetzt aussieht auch...drei mal darfst du raten, was mir lieber ist.
LG Alex
Mareike Schaal 08/11/2004 23:05
Ich war im Frühjahr 89 zum Kirchentag in Berlin und habe einen freien Vormittag genutzt, mal in den Osten zu gehen. Was bin ich froh, dass ich das noch getan hab.Am 9.11. hab ich dann vorm Fernseher gesessen und geheult. Ich heule auch heute noch, wenn ich die Bilder sehe....irgendwie ergreift mich das immer wieder total!
Danke für das Bild! Wir sollten diesen Anblick nie vergessen!
lg
Mareike
Karin RoWo 08/11/2004 23:04
An diesen Tag (vor 15 Jahren) kann ich mich auch noch sehr gut erinnern: auf einer vierwöchigen Reise in Australiern haben wir zufällig mal Nachrichten gesehen und konnten im ersten Moment überhaupt nicht begreifen, was auf der anderen Seite der Erde los war.Dein Bild ist sozusagen ein Fotodokument, was man sieht gibt es so nicht mehr.
lg karin