Beerdigt mit Blick nach Jerusalem ...
... wurden die verstorbenen Gemeindemitglieder der israelitischen Kultusgemeinden aus Aidhausen, Friesenhausen, Haßfurt, Hofheim, Kleinsteinach, Knetzgau, Lendershausen, Westheim, Wonfurt, Zeil (alle Lkrs. Haßberge) und Schonungen (Lkrs. Schweinfurt) auf dem ehemaligen Judenfriedhof westlich von Kleinsteinach (Gemd. Riedbach).
Angelegt wurde diese jüdische Zentral-Begräbnisstätte mit seinen 1200 Grabsteinen im Jahre 1453, der erste schriftliche Nachweis für ein Begräbnis stammt aus dem Jahr 1596 und mit der Jahreszahl 1604 ist eine der ältesten lesbaren Inschriften auf einem Grabstein nachgewiesen. Seit 12. März 1940 (!) ist der jüdische Friedhof vom Landratsamt im "Amtsblatt Nr.9 des Landrats von Haßfurt" als Naturdenkmal eingestuft und unter besonderen Schutz gestellt!
Als letzte jüdische Beerdigung ist die im März 1942 (!) verstorbene Rosa Lonnerstädter aus Haßfurt verbürgt. Im Februar 1945 wurde der italienische Zwangsarbeiter Giuseppe Fava beigesetzt, er war als angeblicher Rädelsführer eines Aufstandes in Haßfurt standrechtlich erschossen worden. Mit seiner Beisetzung war der Friedhof nach jüdischem Glauben seiner rituellen Funktion entweiht und es durften fortan keine Beerdigungen mehr dort stattfinden.
Neben den Schändungen in der Nazizeit gab es schon 1894, in den 20er Jahren und nach dem Krieg im Jahre 1947 Friedhofsschändungen.
Im Jahr 1961 wurde der Friedhof instandgesetzt, er untersteht jetzt dem Landesverband der israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, mit Sitz in München.
Am Eingang des älteren Teils des Friedhofes befindet sich ein Leichenhaus. Es wird auch als "Taharah"-Haus bezeichnet. Hier wurden die Verstorbenen nach ritueller Vorschrift gewaschen und mit einem weißen Gewand, Schuhen und Kopfbedeckung eingekleidet und in einer einfachen Holzkiste als Sarg in den "Tallit", den Gebetsmantel, gehüllt zwei Tage lang aufgebahrt. Diese Dienste verrichtete die "Chewra Kadischa", die Beerdigungsbruderschaft oder -schwesternschaft in der jüdischen Gemeinde. Die einfache Sargkiste, der Leichenwagen und die Pferde, die ihn auf den Weg zum Grab zogen, waren alle völlig mit schwarzen Tüchern verhängt. Unterwegs hielt der Trauerzug der jüdischen Tradition folgend mehrmals an. Das jüdische Totengebet, der "Kaddisch" wurde von mindestens zehn Männern am Grab in Richtung Osten gesprochen. Nachdem die Holzkiste mit den Toten waagerecht und in Blickrichtung nach Jerusalem in das Grab hinabgelassen wurde, sprach der Gemeindevorsteher oder der Rabbi ein Gebet für den Verstorbenen. Dreimal wird dann Erde in das Grab geworfen und die jüdischen Gemeindemitglieder schaufelten das Grab zu.
Der Beerdigungszug verließ dann auf einem anderen Weg den Begräbnisplatz, der Vorschrift folgend, dass Hin- und Rückweg verschieden sein müssen. Der Leichenwagen der Kleinsteinacher Juden wurde auch von den christlichen Mitbürgern bei ihren Begräbnissen im Ort mitbenutzt, er wurde wie viele Synagogen beim November-Pogrom im Jahr 1938 von den Nazis zerstört.
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Vielen herzlichen Dank an: Herrn Israel Schwierz (Würzburg), dem ehemaligen Rektor der Hauptschule von Arnstein (i.Ufr.) für die Hintergrundinfos zu den jüdischen Glaubensriten und an die ehemalige Leiterin des Bibliothekszentrums Haßfurt Frau Cordula Kappner(Haßfurt), die sich mit der jüdischen Geschichte im Landkreis Haßberge seit 23 Jahren intensiv befasst.
@an alle: Habe heute (Mo. 12.09.05) das Bild von Sektion "Deutsche Zeitgeschichte" nach Sektion: "Architektur, Friedhöfe, jüdische Friedhöfe" verschoben! (UK)
Ulrich J. Kind 08/09/2005 15:33
Hi Matthias,sicher hätte ich da noch etwas "herausholen" können, aber die Text- und Bildreportage für die Lokalausgabe des "Boten vom Hassgau" Verlagsgruppe Mainpost Würzburg (Veröffentlichung vom Die. 16. 08.05, mit vier Bildern) machte ich dort beim "Sauwetter", mit Gummistiefeln und Regenschirm ausgerüstet, anläßlich einer Infotour Mitte August zum Dekanats-Rahmenprogramm des Welt-Jugendtages in Köln! Weitere Bilder hiervon in der fc geplant.
Der Friedhof ist normalerweise nicht zugänglich, bei Interesse kann ich aber den Schlüssel beim zuständigen örtlichen mir gut bekannten Friedhofspflege-Beauftragten besorgen.
Der Weg ist nicht ausgeschildert, da man, wie Du schon vermutest, Friedhofs-Schändungen von Wirrköpfen nicht Vorschub leisten möchte.
Cordula Kappner hält öfters übers Jahr Führungen für Gruppen, Hauptsächlich auch für Besucher von in die USA und andere Länder ausgewanderte Nachfahren der ehemalig in Kleinsteinach bis 1933 ansässigen jüdischen Familien.
Aktueller Termin:
Zum "Tag des offenen Denkmals", am Sonntag 11. September 2005, findet um 14 Uhr eine weitere Führung mit Israel Schwierz (Würzburg) und Cordula Kappner im ehemaligen jüdischen Friedhof von Kleinsteinach statt.
LG Uli
Matthias Endriß 08/09/2005 14:01
Uli, aus dem Bild hättest Du sicher noch etwas mehr herausholen können, aber die Informationen sind für mich als alten Volkskundler natürlich sehr interessant. Ich kenne den Friedhof in Schweinshaupten, den in Kleinbardorf, in Sulzdorf an der Lederhecke und wenn mich nicht alles täuscht den in Maroldsweisach... von dem in Kleinsteinach wusste ich noch gar nichts. Ist der begehbar oder wie viele andere als Schutz vor Wirrköpfen abgeschlossen. Da wäre doch mal eine gemeinsame Fotoexkursion interessant, oder?LG Matthias