familia - family - familie
Die Zeit des Abschiednehmens rückte unweigerlich näher.
Für den Samstag unserer Woche war ein Convoi des Rotarier-Clubs angesagt, der mit Hilfsgütern gegen Nachmittag eintreffen sollte.
Am Morgen und Nachmittag feierten wir die bereits angesprochenene Fiesta. Mit steigendem Bierkonsum wurden die Tarahumara immer entspannter und sowohl die Damen als auch ich zogen uns aus dem Fest zurück.
Später am Abend war es dann soweit. Ich saß mit einigen Tarahumarakindern, einem Kaffee und einer Zigarette auf meinem Lieblingsplatz vor dem Haus und genoß die Stille und den Ausblick in die Ferne, als sich die Lichtlanzen von Scheinwerfern ihren Weg in unsere Richtung bahnten und drei Jeeps, teilweise mit Anhänger, das letzte Stück ihrer Reise hinter sich brachten.
Es ist nur sehr schwer zu beschreiben, was in den nächsten Minuten vor sich ging, da ich nur meinen subjektiven Eindruck wiedergeben kann ...
Recht zügig fahren die Jeeps vor die Gebäude und bauen sich fast Wagenburgmäßig auf ... Türen fliegen auf, Männer springen aus den Wagen heraus, großes Geplapper, Begrüßung, man schlägt einander lachend auf die Schulter.
Heckklappen werden aufgerissen, die Tarahumarakinder wieseln umher, um einen Blick in das Wageninnere zu erhaschen ....
Mitten drin in diesem Chaos sitze ich mit Zigarette und Kaffee ... äußerlich ganz ruhig, aber innerlich sehr genervt, fast agressiv ... da wo vorher absolute Ruhe war, herrschte jetzt das Chaos. Immer wieder taucht das Wort "Invasion" vor meinem geistigen Auge auf ... und so ähnlich war es auch ...
Widerwillig biete ich meine Hilfe an und helfe das Reisegepäck der Rotarier zu verstauen. Auch das gemeinsame Abendessen kann ich nicht so recht genießen - es wird einfach zuviel geplappert ...
Am nächsten Tag, dem Sonntag wird mir eine besondere Ehre zuteil. Romayne hatte eine der Damen und mich als Taufpaten für Gregorio, den Jungen oben im Bild, ins Auge gefasst. Und da es der Sitte entspricht, als Taufpate um das Kind zu bitten, wurden wir bei seinen Eltern (Louis und Martitha) vorstellig und haben uns als potentielle Taufpaten angeboten. Lois nickte sofort und auf unsere Frage, was denn wohl Martitha sagen würde, schmunzelte er: "Sie wird es auch wollen ..."
An diesem Sonntagmorgen soll es also soweit sein. Die Zeremonie sollte ursprünglich unter einem Baum stattfinden, der eine religiöse Bedeutung hat, aber in Anbetracht der Hektik durch die Gäste, ziehen wir uns in eine der Hütten zurück ... seltsamerweise läßt sich einer der Herren davon nicht abhalten, folgt uns, meiner Meinung nach recht ungefragt, und wohnt der Taufe mit verschränkten Armen auf einem Bett sitzend bei.
Es ist eine Sache von 15 Minuten, dann bin ich Patenonkel. Dennoch bin ich sehr aufgeregt, denn schließlich unterscheidet sich diese Patenschaft von den üblichen "ich werde Patenonkel in der Familie" Geschichten. Ich fühle mich stolz, weil man mich in die Familie aufgenommen hat ...
Beim Lesen in Romayne Wheelers Buch "Life Through the Eyes of a Tarahumara" entdecke ich eine Stelle, die mir beschreibt, wie elementar diese Taufe und auch die Erlaubnis Bilder zu machen ist:
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Touristen - Kochi/Touristenwelpen
So groß ist unser Abstand vom Eigentlichen in der Natur gwordern durch unsere künstliche, zivilisierte Kultur, daß wir "reiche Touristen" es uns etwas kosten lassen, um ein solches Volk wie die Raramuri aus der Nähe zu betrachten. Gewöhnlich benehmen sich die meisten von uns auch so, als wären sie im zoologischen Garten, oder auf Safari, hinter einem Schutz aus Glas, Gitter und Kamera. Tagtäglich zieht der Touristenstrom vorbei, ohne je zu erröten. Meine Raramurifreunde vertrauen mir an: 'Sie kommen wie die Kochis (Welpen), beschnuppern uns, gaffen uns an, machen Fotos von jedem und allem, um dann später damit große Geschäfte zu machen. Fast niemand redet mit uns. Sie kommen und gehen wie die Kochis. Sie sind Menschen mit Verstand aber ohne Herz. Sie lieben die Dinge mehr als die Menschen, denn sie nehmen nicht teil an unserem Leben und wollen keine wirklichen Freunde sein."
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Familie ...
P.S.: Die Rotarier sind ganz nette Kerle, übrigens ... :-) ... Als wir viel, viel später gemeinsam zur amerikanischen Grenze zurückfuhren, waren es, auch in meinen Augen, sehr angenehme Reisbegleiter ...
ganz normale Leute ... wird also wohl der Stress oben auf dem Berg wirklich ein höchst subjektives Gefühl eines Menschen gewesen sein, der eine Woche lang in ziemlicher Ruhe dort gelebt hat ...
Wie müssen sich da die Tarahumara fühlen, wenn Besuch auf diese Weise kommt????
Joerg. W Pfeiffer 19/02/2005 11:22
Hallo lieber Dirk und alle guten SeelenIch habe auf deiner Seite einen kleinen Teil erst gebe ich zu Betrachtet und die Texte Gelesen. Jedes einzelne Wort was ich Gelesen habe hat mich sehr Inspiriert und Motiviert an meinem Buch über die Menschen in meinem Leben und den Mensch allgemein weiter zu Schreiben mit noch mehr Einsatz. Am 30 April dieses Jahres werde ich nach Kanada Auswandern und Versuchen das Leben und die Freiheit im Yukon zu Finden.
Joerg
Angelika Vaca Benavides 29/04/2004 9:21
wunderbar, ein bild das mich ganz stark berührt...deine erzählung ist wie immer einmalig und sehr informativ, vielen dank dafür.
lieben gruß Angelika
Mike Peuker 20/04/2004 10:06
.....ein unverzichtbarer Text unter einem Foto, dass eben nicht ohne denselben gezeigt werden sollte.....Seeehr gut zusammen!
LG Mike
JSK 15/04/2004 8:04
Ich denke unwillkürlich an die Sintis Dirk, vielleicht weils...ich weiss nicht,
im Abstand empfinden das alle immer so supertoll, aber Menschlichkeit im direkten Umgang weckt bei den meisten Ängste, jene Ängste verletzt zu werden, die letztendlich Kaltherzigkeit und Krieg verantwortlich zeichnen.
petra xoxox 13/04/2004 21:30
wie immer tolles bild und toller text... man muss einfach nachdenken und in sich gehen...lg petra xoxox
Baerbel B. 13/04/2004 15:48
Man muss die Bilder anschauen und die Texte lesen......immer wieder grosse klasse und sehr beeindruckend.Dein Bericht macht auch sehr, sehr nachdenklich.LG Bärbel
Lea Marai 13/04/2004 15:41
danke für das Bild und wunderschönen Text!!!Gruß
Lea
Herr Karl 13/04/2004 11:34
schönes Bild und informativer Text, wie gewohnt :-)grüsse
karl
Frank Stefani 13/04/2004 10:24
Lieber Dirk,deine Bilder werden für mich vor allem durch die Texte vergoldet. Ohne den Text hättest du auch einer von denen sein können, die ein paar Kekse hergeben, damit die "Zootiere" recht fröhlich in die Kamera gaffen.
Danke - mach weiter so!
Viele Grüße aus den Alpen, Frank
João Carlos Espinho 13/04/2004 0:01
ausdrucksstarkes portrait.sehr gut gemacht.
grüsse joão
Iris Richter 12/04/2004 22:58
Es ist ein Problem des Hineinversetzen-Könnens in einen anderen Menschen... was denkt der andere, wie mag er sich in diesem Augenblick fühlen?Wie Sylvia schon sagt: Man schafft es nicht immer. Aber man kann es immer wieder üben. Bilder wie dieses mitsamt dem dazugehörigen Text sind ein guter und wichtiger Anstoß dazu.
L.G.
Iris
Dirk Hofmann 12/04/2004 22:22
moises ... gracias ...sylvia: geht uns vielleicht allen so ... manchmal frage ich mich auch nachher (weniger bei diesen bildern), ob ich mich so richtig verhalten habe .... aber dass die tarahumara mit ihrer feststellung nicht ganz unrecht haben, konnte ich selbst feststellen: ein besucher lief fast ständig herum, die hände in den taschen, kamera vor der brust baumelnd und immer stehend, von oben herab, auf die menschen blickend ...
charito ... ;-)
Charito Gil 12/04/2004 22:19
immer ..wiede ..
intensiv !
schöne grüsse
.. charito
Sylvia Mancini 12/04/2004 22:16
Intensiv, das Bild ... aber das muss ich ja nicht extra sagen.Bedanken möchte ich mich für das "den-Spiegel-vorhalten", denn obwohl ich eine eher sensible Umgehensweise mit potentiellen "Fotoopfern" habe (auch nur selten Fremde fotografiere) erkenne ich trotzdem einige mögliche Verhaltensweisen wieder...
Yololo C. 12/04/2004 22:12
Fantastica fotografia. Felicidades.