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Bahnchef Mehdorn verweigert eine Ausstellung über die Deportation jüdischer Kinder.

Bahnchef Mehdorn verweigert eine Ausstellung über die Deportation jüdischer Kinder.

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† Klaus Baum


Premium (Basic), hamburg

Bahnchef Mehdorn verweigert eine Ausstellung über die Deportation jüdischer Kinder.

Widerwärtig
22.10.2006
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56569

BERLIN/PARIS/NEW YORK/OSWIECIM (Eigener Bericht) - Zwischen dem Bundesminister für Verkehr, Wolfgang Tiefensee, und dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG, Hartmut Mehdorn, ist es zu einem persönlichen Eklat gekommen. Tiefensee verließ eine gemeinsame Besprechung, als sich Mehdorn trotz wiederholten Drängens kategorisch weigerte, die deutschen Bahnhöfe für das Gedenken an die internationalen Opfer der NS-Deportationsverbrechen zu öffnen. Eine Foto-Ausstellung über mehrere Tausend Kinder, die mit der Deutschen Reichsbahn in den Tod geschickt wurden, werde er auf den deutschen Bahnhöfen zu verhindern wissen, heißt es über Mehdorn aus Teilnehmerkreisen. Die Ausstellung wurde von der französischen Opferorganisation "Fils et Filles des Déportés Juifs de France" (FFDJF/Söhne und Töchter der deportierten Juden Frankreichs) zusammengestellt und ist in den vergangenen Jahren über 18 französische Bahnhöfe gewandert. Teile der Ausstellung sind in Museen in Polen, den USA und Israel zu sehen. Gegen die Weigerung des deutschen Bahnchefs protestieren deutsche und internationale Organisationen und rufen für Anfang November zu massiven Aktionen auf. Um dem öffentlichen Druck zu entgehen, kündigt Mehdorn in einem heute erscheinenenden Zeitungs-Interview an, er werde für eine eigene Ausstellung sorgen - außerhalb der Bahnhöfe. Das Interview enthält schwere Beleidigungen, wonach FFDJF (die französische Opferorganisation um Beate Klarsfeld) den Holocaust unangemessen darstellen wolle.

Der Eklat zwischen Minister Tiefensee und Bahnchef Mehdorn ereignete sich nach monatelangen Bemühungen des Verkehrsressorts der Berliner Regierung, das den internationalen Forderungen nachgeben wollte. Geplant war, die Ausstellung über elftausend jüdische Kinder und deren Reichsbahn-Deportation in die Vernichtungslager (1942-1944) im Lichthof des Berliner Ministeriums zu eröffnen und anschließend über eine begrenzte Zahl deutscher Bahnhöfe wandern zu lassen.[1] Mit diesem Konzept hatten sich die Kuratoren der Ausstellung (FFDJF, Beate und Serge Klarsfeld, Paris) grundsätzlich einverstanden erklärt. Auch die deutsche "Initiative Elftausend Kinder", die seit über zwei Jahren für die Übernahme der Ausstellung eintritt, unterstützte den Kompromiss. Gesprächen im Berliner Ministerium, die konkreten Einzelheiten der Wanderausstellung gelten sollten, blieb die Bahn AG trotz offizieller Einladungen mehrfach fern.[2] Damit brüskierte der Bahnvorsitzende Mehdorn, der die Verhinderung des geforderten Gedenkens zur Chefsache erklärt hat, nicht nur die aus Paris angereiste Opferorganisation, sondern ebenso den Minister.

Brutal
Nachdem Mehdorn auch das vorerst letzte Treffen im Berliner Ministerium platzen ließ [3], hieß es aus Teilnehmerkreisen Ende September, binnen weniger Wochen werde Tiefensee für eine politische Klärung sorgen und den Bahnchef zu einem Kompromiss veranlassen. Doch statt des erwarteten Kompromisses kam es zu einem Eklat: Als Mehdorn die Ausstellungs-Erinnerung an elftausend deportierte Kinder auf deutschen Personenbahnhöfen erneut und kategorisch ablehnte, verließ der Minister den Raum. "Er hat auf Äußerungen reagiert, die man als brutal verstehen kann", erfährt diese Redaktion von Bundestagsabgeordneten über Tiefensee und den Anlass seiner Empörung.

Ruhig stellen
Da der "Spiegel" in seiner morgigen Ausgabe über den Eklat berichten wollte, hatte der Bahnchef entsprechende Reaktionen zu befürchten. Um Negativmeldungen zuvorzukommen, gab Mehdorn der "Welt" ein Interview, das in der heutigen Sonntagsausgabe des Springer-Blattes erscheint. Darin kündigt Mehdorn an, er werde eine eigene Ausstellung erarbeiten und "durch Deutschland wandern (...) lassen" [4] - außerhalb der Bahnhöfe. Mehdorn bezieht sich auf Exponate, die in einem Bahnmuseum in Nürnberg zu sehen sind und das Schicksal der elftausend Kinder nicht erwähnen. Diese Ausstellung werde man "mit Experten auf den neuesten Forschungsstand bringen" und "die Schicksale der Opfer des Massenmordes stärker herausstellen", heißt es in dem "Welt"-Interview. Bereits im Frühjahr hatte der Pressesprecher der Bahn AG wissen lassen, man verschließe sich dem Gedenken nicht und wolle an die Deportationsopfer erinnern.[5] Die Ankündigung wurde nach empörten Nachfragen aus dem Deutschen Bundestag verbreitet und blieb folgenlos. Wie damals versucht die Bahn AG auch mit dem heutigen "Welt"-Interview, die Öffentlichkeit ruhig zu stellen.

Wider besseres Wissen
Mehdorn, Vorstandsvorsitzender der Bahn AG und zum Zeitpunkt der Reichsbahn-Deportationen geboren, greift in dem Zeitungs-Interview die Nachkommen der Opfer und Kuratoren der französischen Gedächtnis-Ausstellung über die elftausend jüdischen Kinder rücksichtslos an. Der Kuratorin Beate Klarsfeld schwebe offensichtlich vor, den Holocaust "nicht angemessen" [6] darstellen zu wollen, äußert Mehdorn über das Ausstellungs-Konzept, das auf 18 französischen Bahnhöfen über mehrere Jahre geprüft werden konnte - mit großem Erfolg. Die Ausstellung zeigt Familienfotos der Kinder und letzte Briefe, die sie aus den Deportationszügen warfen. Trotz einer äußerst sensiblen Präsentation, die auf Todesdarstellungen bewusst verzichtet und dem Reisepublikum die lebendige Erinnerung an lachende Schulkinder oder jugendliche Ausflügler näher bringen will, behauptet Mehdorn in dem Zeitungs-Interview, Frau Klarsfeld wolle "nach der Methode 'Shock and go'" vorgehen. Die Behauptung erfolgt wider besseres Wissen. Dem Bahnchef wurden mehrmals Kataloge mit Exponaten aus der französischen Ausstellung übergeben.[7]

Unredlichkeit
"Ich habe der Bahn AG zu Händen von Herrn Mehdorn wiederholt Fotos der Kinder zukommen lassen", bestätigt Beate Klarsfeld auf Anfrage von german-foreign-policy.com. "Über die Darstellung der Kinder derart herablassend zu reden, über die Fotos, die nichts Grauenhaftes, sondern erwartungsvolle Kindergesichter zeigen, das zeugt von Unredlichkeit. Erst hieß es, die Bahn AG habe für die Ausstellung kein Geld und jetzt will Herr Mehdorn den Opferfamilien erzählen, sie würden an ihre ermordeten Kinder nicht angemessen erinnern wollen. Und das aus dem Munde eines Mannes, dessen Familie überleben durfte. Das ist widerwärtig."

Commentaire 32

  • Heinrich Flor 18/05/2015 12:30

    Es gehört auch zu den Leistungen von Beate Klarsfeld,
    dass die Ausstellung "Sonderzüge in den Tod" der Deutschen Bahn AG viele Jahre in verschiedenen deutschen Städten gezeigt wurde. In Bielefeld kamen im Jahre 2009 in 16 Tagen fast 1.600 Bescucher/innen in diese Ausstellung. In einigen Wochen werden Beate und Serge Klarsfeld in Paris die Bundesverdienstkreuze überreicht. VG. Heinrich Flor
  • OLD No13 16/01/2014 10:08

    Well done , Stars sprangled banner - These Colors Don´t Run

    In 2014, the 70th anniversary of D-Day and the Battle of Normandy will be commemorated by many Allied Heads of State and hundreds of thousands of visitors from all over the world from June through till the end of August.The majority of Allied troops who landed on the D-Day beaches were from the United Kingdom, Canada and the USA. Allied Troops from many other countries participated in D-Day June 6,1944 and the Battle of Normandy, in all the different armed services: Australia, Belgium, Czechoslovakia, France, Greece, the Netherlands, New Zealand, Norway and Poland.Over 425,000 Allied and German troops were killed, wounded or went missing during the Battle of Normandy.

    We will remember them.

    https://www.youtube.com/watch?v=OZJMtJtrsnE

    https://www.youtube.com/watch?v=b0_Y7aBWV5Q
  • ele w. 16/02/2009 19:39

    Informationspolitik ist scheinbar relativ ...
    siehe aktuelle Tagespresse mit Bespitzelung der Bahn Mitarbeiter...von denen will Herr Mehdorn alles ganz genau wissen.

  • Toy Lette 01/11/2006 7:08

    @Helle: Der Punkt, den Du ansprichts, ist imho der entscheidende. Es wäre ein Stück weit Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit.

    Heutzutage werden hier Flüchtlinge, die keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, unter z.T. menschenunwürdigen Umständen ausser Landes gebracht. Es hat dabei schon mind. einen Todesfall gegeben.
    Ich will das auf keinen Fall mit den von den Nazis durchgeführten Deportationen gleichsetzen. Aber ich frage mich, ob es nicht ein Akt der Zivilcourage wäre, wenn sich Transportunternehmen, die Bahn, Fluggesellschaften, gegen "Verfrachtungen" unter derartigen Umständen verwahren würden. Zivilcourage, die zeigen würde, dass man aus der Vergangenheit gelernt hat und nicht jeder Anweisung der Obrigkeit nachkommt, offenbar ohne darüber nachzudenken, woran man da mitwirkt ...

    Gruß,
    Manfred
  • Helle MH 29/10/2006 18:11

    Als nicht-deutsche nehme ich an der diskussion nicht so gerne teil, nur finde ich, eben weil so viele menschen mit der bahn deportiert wurden, wäre eine ausstellung an bahnhöfen vielleicht nicht so eine abwägige idee.
    Für den gedanken, dass es auch etwas reicht immer und überall was machen zu wollen, habe ich aber auch eine gewisse sympatie. Aber es ist ein enorm schwieriges thema, und ich finde immer, es in wenigen sätzen zu diskutieren wie hier, sehr unbefriedigend.

    lg Helle
  • † Klaus Baum 28/10/2006 21:50

    danke für all die anmerkungen. gemeinsam bekommen wir doch ein differenziertes urteil zustande. martin wissmann möchte ich sagen, daß es sicher nicht darum gehen kann, aus solch einem thema ein "spektakel" zu machen, aber meine erfahrungen sagen mir: sobald man eine ausstellung mit solchen bildern betritt, sobald man zwischen den bildern steht, stellt sich betroffenheit ein. wenn die bilder stark genug sind, vergeht einem das "spektakel".
  • Doro E. 28/10/2006 21:40

    die ganzen anmerkungen habe ich jetzt mal nicht gelesen , die debatte habe ich in den medien verfolgt .
    meiner meinung nach sollte man einfach ehrlich mit den dingen umgehen . ich fühle mich natürlich nicht schuldig , 64 geboren , aber es ist enorm wichtig zu wissen , was geschehen ist , und wie es dazu kommen konnte . und eine wanderausstellung in den bahnhöfen wäre eine wichtige information am richtigen ort . genauso , wie ich meinem kind später verdun zeigen werde , würde ich ihr bei einer solchen gelegenheit eben versuchen zu erklären , was im zweiten weltkrieg geschehen ist . so einfach . und ich finde dieses wissen heute viel wichtiger als geschichtszahlen aus dem römischen reich .
  • Reinhardt Graetz 28/10/2006 17:18

    Nein, wir sollten nicht wegschauen, auch keinen "Schlussstrich" ziehen. Geschichte kann man schließlich nicht per "Schlussstrich" wegdiskutieren.
    (Käme jemandem in den Sinn, die Völkerschlacht bei Leipzig oder den Dreißigjährigen (Religions-)krieg wegdiskutieren zu wollen??)
    Es gibt ja immer und zu allen Zeiten Unbelehrbare, Ewiggestrige, die nicht wahrhaben wollen, was wirklich passiert ist. Leider gehören auch viele Prominente dazu.
    @Renate: Du hast vollig recht mit Deiner Sichtweise - wir haben die Verantwortung, dass sich solche Dinge nie wiederholen!
    Dazu gehört aber auch das "Ausgraben" der vollständigen Wahrheit - wer hat mitgemacht, welche Interessen standen und stehen dahinter, unter welcher Tarnkappe taucht derselbe Ungeist wieder auf?
    (Beispielsweise haben bei der Waffen-SS FREIWILLIGEN-Verbände ! aus ganz Europa mitgemacht...)
    So ist das Stelenfeld eine ständige Mahnung, dass wir nicht noch einmal in denselben Schlamassel reinschlittern, und hinterher hat's "keiner gewusst"!

    Ausstellungen auf bestimmten Bahnhöfen könnten dazu beitragen. Dazu sollte man denn aber auch möglichst die Originalschauplätze bei der Bahn einrichten (z. B. Berlin - Grunewald, Oranienburg-Sachsenhausen...).

    Und: die Schauplätze des Stalin-Terrors gehören ebenso dazu! Auch hier spielte die Reichsbahn eine besondere Rolle...

    Warum? Unsere Verantwortung kann nicht scharfkantig NUR den Naziterror im Auge behalten und mit den Achseln zucken, wenn es um ähnlich motivierte Gewalt und Terror geht. (Deportationen in die Sowjetunion nach Kriegsende, Anwerbemethoden der frz. Fremdenlegion in Deutschland, heutige Abschiebepraxis, Guantanamo - um nur einige Beispiele zu nennen...)
    Berlin - im Stelenfeld
    Berlin - im Stelenfeld
    Reinhardt Graetz

  • Pelue 27/10/2006 23:23

    Ich sehe Dein Foto jetzt erst. Ich stimme vielem zu, was hier geschrieben wurde (nur nicht dem Beitrag von Andreas Graf), ergänze aber gerne noch das, was Renate angemerkt hat: Die Nachgeborenen haben natürlich keine Schuld an dem, was passiert ist, aber sie (=wir) tragen die Verantwortung dafür, was aus der NS-Geschichte wird. Und wenn ich mir anschaue, was sich aktuell in der rechten Szene entwickelt und wie rechtes Denken Einzug bis weit in die Mitte der Gesellschaft gefunden hat, dann wiegt diese Verantwortung schwer. Insofern sollte sich Herr Mehdorn schämen.

    Martin

  • † Klaus Baum 27/10/2006 12:45

    zwei perspektiven:




    Kommentar zu diesem Foto:

    >>Hoho, mit Reichsbahn-Beschriftung - da schlägt das Herz höher!
  • Fräulein Xinhixnh 26/10/2006 15:46

    es wurde ja bereits viel gesagt und komentiert, deshalb schließe ich mich dem Herrn Ansorge an.
    genau so empfinde ich auch bei solchen Nachrichten.
  • Renate Bonow 26/10/2006 13:47

    das argument : "kann das nach 60 Jahren nicht endlich mal ruhen. wieso soll ich mich schuldig fühlen, wenn ich doch noch gar nicht geboren wurde." höre ich immer wieder von meinen SchülerInnen. Meine Antowrt lautet regelmäßig: "Es geht nicht darum, dass Du dich schuldig fühlst. Wofür auch? Es geht darum, dass Du weißt, was passiert ist, welche Interessen dabei eine Rolle gespielt haben, wer mitgemacht und wer weggeschaut hat, damit sich das niemals auf deutschem Boden wiederholen kann."
    Dafür braucht es immer wieder das Erinnern.
    Danke für Deinen Beitrag, Klaus.
    lg renate