Begegnungen....

Begegnungen....

......mit einem Achtelgott


"EINES TAGES ZUPFT EIN KLEINER JUNGE SEHR BESTIMMT AM ÄRMEL MEINES HEMDES. Ich bin gerade im Begriff auf dem Marktplatz einer kleinen indischen Stadt, deren Namen ich mittlerweile vergessen habe, ein wenig Obst zu erstehen. Zunächst gehe ich davon aus, einen jugendlichen Bettler vor mir zu sehen, wie sie in großer Zahl die Straßen auf der Suche nach Nahrung und Geborgenheit durchstreifen. Aber den ihm hingehaltenen Korb mit Früchten, aus dem er sich hätte bedienen sollen, ignoriert er und nennt mir statt dessen seinen Namen:
„Namas-té, Herr. Sei gegrüßt. Ich heiße Sarath Kumar. Du hast mich gerufen?“
Erstaunt blicke ich ihn an. Schwarze Kinderaugen, teilweise durch ungekämmt in die Stirn hängendes Haar verdeckt, sind fest auf mich gerichtet.
(...)
WAS HAT IHN, EINEN HÖCHSTENS ZEHNJÄHRIGEN INDISCHEN STRAßENJUNGEN ohne Biographie und Zukunft, zu mir geführt? In Bombay, Madras, Calcutta oder auch Bangalore wäre er fraglos in der Masse der umherstreunenden Schuhputzer, Botenjungen, Küchenhilfen oder Gelegenheitsdiebe untergegangen und selbst in den nobleren Vierteln Delhis kaum jemandem als backsteinschleppender Kinderkuli auf den Baustellen der Reichen aufgefallen. Er erscheint aber zu einem Zeitpunkt, als ich gerade begonnen habe die Träume auf dem Silberfaden meines Lebens zu einer Perlenschnur aufzureihen und sie so dem Tageslicht darzubieten. ......"


aus: DAS TOR (unveröffentlichte Reiseerzählung)


________________________________

Melghat/ Semadoh, Maharashtra (INDIA) April 2012 - Nikon D700